Rom, Tag 2
Dienstag, 17. Mai
Seit meiner ersten Lateinstunde wollte ich ins Kolosseum. Hat dann ja auch nur noch gut 30 Jahre gedauert, und dann war ich da. Anke in Colosseo est. Sed ubi est Kerl? Kerl fotografiert die als Gladiatoren verkleideten studentischen Hilfskräfte, während ich ein paar beeindruckte Tränchen trockne.
Das Kolosseum ist erstmal: groß. Und ich meine: groß. Man schätzt, dass um die 70.000 Leute reingepasst haben, und auf den Fotos kann man auch prima die kleinen bunten Touripunkte erkennen, die vielleicht einen Eindruck davon vermitteln, dass das Kolosseum echt jetzt mal groß ist. Und wieviel 70.000 ist, wird deutlich, wenn man weiß, dass während der Zeit der Erbauung (80 n. Chr.) Rom geschätzt 700.000 Einwohner hatte. Wenn wir so ein Ding heute in Berlin bauen würden, passten 350.000 Menschen rein.
Auch wenn das Kolosseum von innen nicht mehr ganz so aufgeräumt aussieht, kann man sich halbwegs vorstellen, wie beeindruckend es einmal war. Unzählige Sklaven haben erst einmal Mörtel und Steine in Holzverschalungen gegossen und die Masse trocknen lassen. Dann wurden die Verschalungen entfernt und alles mit Backsteinen ummauert; die kann man auch noch gut erkennen. Aber wir sind ja nicht bei Hinz und Kunz, sondern bei den Römern, die so unermesslich viel Geld hatten, dass sie nicht nur sehr große Bauwerke in die Landschaft geklotzt haben (ich komme noch auf den Palatin und das Forum zurück), sondern die auch noch richtig hübsch gemacht haben. Die Backsteine wurden weiß verputzt, und in den unteren Etagen, wo Tiere oder Gladiatoren auf ihren Einsatz warteten, und in den Gängen blieben die Wände wahrscheinlich so; im besten Falle wurden sie noch bemalt. Die Sitzplätze allerdings wurden mit weißem Marmor verkleidet, so dass man zwar etwas unbequem, aber dafür äußerst nobel saß. Im unteren Bild sieht man ein paar nachgebaute Sitzreihen, links über der nachgebauten „Bühne“.
Die Arena hatte vier Ränge; auf dem obersten durften Sklaven oder Frauen Platz nehmen, wobei kaum eine ehrbare Römerin sich bei den Spielen hätte sehen lassen (bzw. jeder ehrbare Römer hätte seiner Frau die Anwesenheit verboten. Mistkerle). Das Programm kennt wahrscheinlich jeder; Tierjagden bzw. Kämpfe zwischen Menschen und Tieren waren gern gesehen, die angeblichen Wasserspiele gab es nicht, aber dafür fanden im Kolosseum Hinrichtungen statt. Die Gladiatorenkämpfe Mann gegen Mann endeten allerdings eher selten so wie im Film. Die Jungs waren teure, gut ausgebildete Kämpfer, und daher gab es längst nicht so viele Dahingemetzelte wie man glaubt. Die Daumen-hoch-/Daumen-runter-Geste vom Kaiser wird übrigens auch neuerdings bezweifelt – bzw. ihre Bedeutung. Daumen hoch könnte auch gemeint haben: Du bekommst gleich eine unfreundliche Stichverletzung von unten, während Daumen runter heißen könnte: Du darfst noch ein wenig bei uns auf der Erde bleiben.
Direkt gegenüber vom Kolosseum beginnt schon die Gegend, die als Forum Romanum bekannt ist, selbst wenn das eigentliche Forum nur ein Marktplatz inmitten der riesigen Anlage ist. Wir erkletterten den Palatin, einen der sieben Hügel, auf denen Rom erbaut wurde, vorbei an den Resten eines Aquädukts. Davon gab es mal 20, die in die Stadt führten – alle von Ostia und dem Meer, das unterhalb Roms liegt. Auch hier waren wieder Sklaven im Einsatz, die den ganzen Tag Pumpwerke betrieben, um den Höhenunterschied auszugleichen. Von den 20 Wasserleitungen ist nur noch eine erhalten, die allerdings in beachtlicher Länge. Sie brachte bis in die Neuzeit Wasser bis zum Trevi-Brunnen, der die wichtigste Wasserquelle der Stadt war. Deswegen wurde aus dieser eben auch irgendwann der Monsterbrunnen, der er jetzt ist. (Ich glaube, Rom hat einen Hang zum Überdimensionierten.)
Am Forum stehen nur noch zwei, drei Bögen eines Aquädukts, aber der ist uns jetzt egal. Wir schlendern an den mal wieder riesigen Ruinen eines Palastes vorbei, in dem mehrere Jahrhunderte lang römische Kaiser gelebt haben. Und obwohl der Circus Maximus gleich um die Ecke liegt, wurde direkt am Palast noch eine zweite, kleinere Rennbahn erbaut. Man erkennt noch die Sockel der Säulen, die einen Gang bildeten, damit die Besucher im Trockenen zuschauen konnten. Irgendwann fand eine Kaisergattin, dass Pferderennen doof seien und wollte eine Dressurmanege. Die erkennt man am hinteren Bildrand.
Was ich am Reiseleiter so mochte: dass er Zusammenhänge gut und nachvollziehbar erklären konnte. So erzählte er von den Jahrhunderten, in denen die einzelnen Bauwerke entstanden, beschrieb, wie sie unterhalten werden mussten, auch wenn die Kaiser jahrelang auf Feldzügen unterwegs waren und schuf so ein sehr dichtes Bild, das es etwas leichter machte, von den verstreuten Steinklötzchen beeindruckt zu sein. Genau wie mit dem Rest des Forums. Irgendwann standen wir vor der Maxentius-Basilika, die keine Kirche ist, sondern eine Markthalle. Das hätte aber niemand von uns anhand dieser riesigen Ausmaße vermutet. Aber so wurde eben immer noch der Anschein von Wohlstand und Macht vermittelt, obwohl das römische Weltreich schon an allen Enden bröckelte.
Der Titusbogen, der älteste, noch erhaltene Triumphbogen von circa 81 nach Christus. Das Detail zeigt die Eroberung Jerusalems. Bundeslade und so.
Der Saturn-Tempel auf dem Forum. Direkt nebenan befindet sich ein Stein (ach was), der quasi den Nullpunkt anzeigt. Also der Punkt, an dem alle sprichwörtlichen Wege nach Rom enden, was praktisch für die vielen Pilger war, die sich irgendwann mal aufgemacht haben. Eine Schrifttafel sagt dann genau das; ich erinnere mich schemenhaft an das Wort „umbilicum“, also den Nabel, und die widerliche Typo, die kurz nach 1900 für die Inschrift gewählt wurde. Ich habe sie die Comic Sans der Antike getauft.
Blick aus den kapitolinischen Museen (es sind zwei Gebäude) auf das Forum. Das ganze muss man sich mit klebrigem Muzak vorstellen, der allen Ernstes aus Lautsprechern über den Aussichtspunkt dudelt. Ruiniert ein winziges bisschen die Stimmung, wenn ich das mal so sagen darf, lieber Tourismusverband. Auf dem oberen Bild kann man hinter den drei Säulen die Reste des Hauses der Vestalinnen erkennen und am Bildrand den Titus-Bogen von eben. Auf dem unteren sieht man in gaaaanz klein hinter dem mit Baustellenplane verkleideten Gebäude die oberen Ränge des Kolosseums und im Vordergrund den Septimius-Severus-Bogen, zu dem ich rein gar nichts sagen kann. Der Vormittag war schon weit fortgeschritten und mein Kopf voll.
Bevor wir uns noch durch die Museen schleppten, gab’s erstmal Mittag. Und das ist dann auch das Einzige, was ich an der Reise zu bemängeln habe. Das Programm ist derart straff, dass wir nie die Zeit hatten, mal eine halbe Stunde mit dem Bus durch den römischen Verkehr zu gondeln, um zu einem richtig guten Restaurant (oder auch nur einer nicht touristenverseuchten Trattoria) zu kommen. Natürlich haben wir da gegessen, wo wir nun einmal gerade waren, und das sind dann eben die Läden mit den fünfsprachigen Speisekarten und den vielleicht eher globalen Würzungen. Ich habe meist versucht, etwas Vegetarisches zu bekommen und bin fast immer bei einem Sandwich (tramezzino) oder einem Salat gelandet. Ich war bei 25 Grad Mittagshitze aber auch nicht wirklich in Stimmung für Gnocchi mit Gorgonzola-Sauce, aber da war ich eine Ausnahme in unserer Gruppe, die netterweise nur aus zwölf Leuten plus Reiseführer bestand. (Mein Futter findet sich wie immer bei Flickr, nur das Sandwich von heute nicht, denn das habe ich vergessen zu fotografieren.)
Die kapitolinischen Museen wurden im 15. Jahrhundert gegründet und sind die ersten ihrer Art: Hier wurden erstmals Gegenstände ausgestellt, damit irgendwer sie angucken kann. Sie stehen auf einem trapezförmigen Platz, den Michelangelo so angelegt hat, damit er größer wirkt. In ihnen befinden sich „Klassiker“ wie zum Beispiel die Wölfin, die Romulus und Remus säugt. Eine der wenigen erhaltenen Bronzestatuen, in diesem Fall von Marc Aurel – Bronze war ein beliebter „Werkstoff“, um geklaut zu werden, deswegen gibt es nicht mehr viele Statuen daraus. Eine Menge an Marmorköpfen, bei denen augenscheinlich die Nasen restauriert werden mussten; im Mittelalter, als viele der Statuen und Köpfe gefunden werden, wusste man nicht so recht, ob einem die alten Götter schaden könnten. Daher schlug man ihnen die Nasen ab, damit sie nicht mehr atmen konnten.
Drei wunderschöne Statuen, die mich mit ihrer Lebendigkeit begeistert haben; sie fühlen sich wie Momentaufnahmen an und nicht wie irgendwas für die Ewigkeit, das sie lustigerweise geworden sind. Das ist einmal der Dornauszieher und zum zweiten der sterbende Gallier. Gerade er sieht wirklich so aus, als könnte man ihn mit ein bisschen erster Hilfe noch vom Totenbett zerren. Die dritte Statue ist die der kapitolinischen Venus, bei der man, Schockschwerenot, ein Bäuchlein sieht. Das antike Schönheitsbild sieht also bei Frauen durchaus Bauchfett vor, das man nicht mit bizarren alten Tricks lösen muss. Unglaublich.
Dann gab es ein kleines Bild von Tauben, die aus einer Schüssel trinken, was mich erstmal hat denken lassen, najut, ein Vogelbildchen. Aber wenn man sich ganz, ganz nah davorstellt, sieht man auf einmal, dass das Bild nicht gemalt ist, sondern aus winzigsten Mosaiksteinen besteht. Und schon ist es toll.
(Man merkt mir immer an, wenn der Tag später und später wurde – irgendwann wollte ich nicht mehr fotografieren, obwohl ich im Museum gedurft hätte.)
Noch ein Lob für den Reiseleiter: Er scheute sich nicht, uns auch mal Massenware zu zeigen und sie auch so zu nennen. Der Marforio zum Beispiel war eine Deko in einer Therme, die eben auf Teufel komm raus geschmückt wurde. So wie wir heute nicht jedes Zimmer mit Ebenholz täfeln, sondern Ikea-Tapete an die Wand hauen, gab es natürlich auch in der römischen Zeit Zeug, das einfach so runtergemeißelt wurde ohne große Ansprüche. Das Wikipedia-Bild ist ziemlich schmeichelhaft; gerade wenn man die beiden Michelangelos von gestern noch im Kopf hat oder den sterbenden Gallier von vor zehn Minuten, sieht man, wie grobschlächtig das Ding aussieht. (Meine liebste Aussage des Reiseleiters war in den Vatikanischen Museen, wo er einen ganzen Saal voller Putten als „Gartenzwergsammlung“ bezeichnete. Seitdem habe ich Alpträume davon, dass in 2.000 Jahren irgendwer Gartenzwerge ausstellt und sie als wichtige bildnerische Leistungen des 21. Jahrhunderts preist.)
Zum Schluss noch ein fun fact zum letzten Bild mit den beiden Statuen, von denen eine kopflos ist – mir ging es bei dem Bild nämlich nicht um den Kopf, sondern um die Baumstämme, an die sich der Mensch schmiegt. Die meisten Marmorstatuen haben eine so dusselige Gewichtsverteilung, dass sie unten einen Schwerpunkt brauchen, um nicht umzufallen. Die Griechen waren schlauer – das sieht man an der Venus, die eine Amphore hat –, die Römer laut Reiseleiter eher doof, weswegen so gut wie alle Statuen einen Baumstamm haben, der meist völlig sinnfrei ist und nichts mit dem oder der Dargestellten zu tun hat. Ist mir noch nie aufgefallen, aber danach habe ich bei allen Statuen nach den Stämmen geguckt und sie auch immer gefunden.