Unfertiges Rumsinnieren über moderne Kunst oder: Ein Blogeintrag mit vielen Vielleichts
Der charmante Begleiter gestern so im Haus der Kunst: „Einmal für Ends of the Earth, bitte.“
„Das macht zehn Euro.“
Ich so: „Gibt’s Ermäßigung für Studierende?“
„Ja, das wären dann sieben Euro.“
„Gibt’s noch nen Bonus, wenn’s Kunstgeschichte ist?“
„Gibt’s, dann kostet es gar nichts. Aber der Herr ist normal, ja?“
Das muss ich mir jetzt wahrscheinlich ewig anhören, dass man als Kunstgeschichtsstudi nicht normal ist. Aber darum soll’s mir gar nicht gehen.
Die Ausstellung „Ends of the Earth“ beschäftigt sich mit Land Art, genauer gesagt, mit Land Art in der Zeit der sechziger Jahre bis 1974. Ich zitiere zur Einführung kurz von der oben verlinkten Website, die man sich gern komplett durchlesen darf:
„Als erste große Museumsausstellung über Land Art liefert „Ends of the Earth“ den bisher umfassendsten Überblick über die Kunstbewegung, die die Erde als Material benutzte und das Land als Medium. (…) Anfang der 1960er-Jahre begannen Künstler an verschiedensten Orten der Welt, mit Erde als Material zu arbeiten und sich mit der Beschaffenheit der Erde als Planet auseinanderzusetzen. (…) Oft operierten die Künstler der Land Art direkt unter freiem Himmel. Dass die freie Natur andere Bedingungen für die Lebensdauer eines Werkes vorgab als geschlossene Räume, nutzten die Künstler produktiv. Manche Werke existierten nur für die kurze Zeit ihrer Ausführung (…)[.] Bei der Entstehung und Entwicklung der Land Art spielten Sprache, Film und Fotografie eine zentrale Rolle. Magazine und Fernsehsender gaben künstlerische Arbeiten in Auftrag, veröffentlichten sie als Erste und leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Distribution der Werke. (…) Zahlreiche Künstler der Land Art beschäftigen sich mit den Wunden und Narben, die der Mensch dem Planeten Erde zufügt, sei es durch Kriegsmaschinerie (Robert Barry, Isamu Noguchi), Diktaturen (Artur Barrio), Atomtests (Heinz Mack, Jean Tinguely, Adrian Piper) oder Besiedelung (Yitzhak Danziger); sie forderten ein verstärktes Bewusstsein für die Bedingungen von Produktion, Präsentation und Verbreitung von Kunst und verliehen in ihren Werken den technologischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Zeit Ausdruck.“
Ich gebe das nur zögernd zu, aber ich werde mit vielem aus der modernen Kunst nicht so recht warm. Vor den meisten Werken oder Installationen ploppt in meinem Kopf ein großes Fragezeichen auf. Wenn die Beschriftung der Werke mir dann auf die Sprünge hilft, macht es manchmal klick und ich grinse und freue mich über eine gute Idee oder ein spannendes Konzept. Wenn es nicht klickt, wird das Fragezeichen zu einem Achselzucken.
In der gestrigen Ausstellung habe ich sehr oft gegrinst und weniger die Achseln gezuckt, was mich sehr gefreut hat, denn natürlich weiß ich, dass ich (noch) eine sehr bornierte Haltung zur Kunst habe – „italienische Renaissance und das 19. Jahrhundert in Deutschland und dann ist gut“ –, und mein Studium dient nicht nur dazu, meine Midlife-Crisis abzuwenden, sondern auch dazu, von diesem Standpunkt runterzukommen und mir die Augen zu öffnen für Epochen und Künstler_innen, die ich bisher noch nicht kannte oder verstanden habe.
Genau über den Begriff des Verstehens habe ich gestern länger nachgedacht. Da liegt vor mir ein vier mal vier Meter großes Erdquadrat von Kristján Gudmundsson, auf das ich mir keinen Reim machen kann. Es ist einfach nur Erde, denke ich – und dann lese ich den Begleittext:
„Die Arbeit ist eine minimalistische Skulptur aus herkömmlicher Erde; eingefügt ist ein Dreieck aus geweihter Erde. Für den Betrachter lässt sich jedoch kein sichtbarer Unterschied ausmachen; er kann nur an die Existenz des geistigen Inhalts glauben.“
Und schon ist das nicht einfach nur Erde, die da vor mir liegt, sondern eine total schlaue Idee. Aus dem Fragezeichen wird ein Grinsen, aber gleichzeitig denke ich das, was ich immer bei moderner Kunst denke: „Wenn’s mir keiner erklärt, kapier ich’s nicht.“ Der nächste Gedanke ist dann immer das selbstgefällig hinterhergeschobene „Das ist bei alten Bildern ganz anders, da weiß ich ja, was ich sehe.“ Und gestern ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass das Blödsinn ist.
Wenn ich vor irgendwelchen Heiligenbildern aus dem Mittelalter stehe, erkenne ich einen Menschen, vielleicht seine Funktion. Aber das war’s dann auch. Ich lerne gerade, welche/r Heilige/r welches Attribut mit sich herumschleppt, damit er oder sie schön identifizierbar ist; aber selbst wenn ich mir gemerkt habe, Sebastian ist der mit den Pfeilen und Katharina ist die mit dem Rad, bringt mich das nicht die Bohne weiter, wenn ich die Geschichten hinter den beiden nicht kenne. Dann sehe ich weiterhin nur irgendeinen Menschen, vielleicht mit Pfeilen oder einem Rad, aber das ist ungefähr das gleiche wie ein vier mal vier Meter großes Stück Erde zu sehen.
Vielleicht muss man Kunst nicht verstehen, damit sie zu einem spricht; ich verwende hier bewusst die Metapher, von der ich vorgestern schrieb, dass sie nicht ganz passend ist, denn ich möchte, dass die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, zu mir sprechen, damit ich mich mit ihnen auseinandersetzen kann. Einen Film sehe ich nicht passiv, ich folge der Handlung, überprüfe meist sofort, ob sie sich mir erschließt oder einen Sinn ergibt, und nach dem Abspann formuliere ich innerlich (oder im Blogeintrag), was ich gesehen habe – und vor allem, was es mit mir gemacht hat. Genauso bei Büchern, die mich in Welten führen, zu denen ich sonst keinen Zutritt habe.
Wie gehe ich mit Kunst um? Vielleicht greife ich bei ihrem Konsum unbewusst auf die Mechanismen zurück, die ich bei Filmen und Büchern und im Umgang mit Menschen gelernt habe: Ich will sie verstehen. Aber vielleicht muss ich Kunst gar nicht verstehen. Vielleicht muss ich nur würdigen, dass sie da ist? Aber kann ich etwas würdigen, das mich nicht bewegt, nicht erreicht, nichts mit mir macht, weil ich es nicht verstehe? Und da knackt es schon wieder: Es gibt genug Dinge oder Ereignisse, die etwas mit mir machen, gerade weil ich sie nicht verstehe. Mir fallen spontan nur die Klassiker ein: menschliche Grausamkeiten, politische Entscheidungen, verhängnisvolle Beziehungen usw. Vor vielen dieser Dinge stehe ich hilf- und ahnungslos, aber: Sie machen etwas mit mir.
Viele Werke der modernen Kunst machen auch etwas mit mir, ohne dass ich sagen kann, was genau. Wenn ich meine raffael‘schen Schnuffis angucke, merke ich, dass es mir besser geht, weil mich ihre Schönheit erfreut. Wenn ich Wilhelm Leibls Bilder betrachte, merke ich, dass sich Bewunderung regt. Aber was genau eine Mondrian‘sche Komposition mit Rot, Schwarz, Blau und Gelb oder ein Erdquadrat in mir auslösen, kann ich nicht in Worte fassen. Oder vielleicht doch: Sie werfen Fragen auf, die ich nicht formulieren kann. Und deswegen habe ich auch keine Antwort.
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Edit: Agnes Martin hat dazu etwas sehr Schönes gesagt: “Art is the concrete representation of our most subtle feelings.”
(via Brainpickings, die 2013 eine tolle Serie beginnt: The Reconstructionists.
„It can be extraordinarily challenging to write about notable women without ghettoizing it as “women’s issues,” and yet some of the most remarkable hearts and minds to drive humanity forward have come equipped with two X chromosomes. It gives me enormous pleasure to announce a new collaboration with artist Lisa Congdon, titled The Reconstructionists — a yearlong celebration of remarkable women across art, science, and literature, both famous and esoteric, who have changed the way we define ourselves as a culture and live our lives as individuals of any gender.“