Paris, jour 2
Da gestern le Kerl bestimmen durfte, war heute mein Tag. Und ich wollte ins Musée de la Mode et du Textile in der Nähe des Louvre. Oder: Eigentlich ist es, glaube ich, sogar noch in einem der Millionen Gebäude des Louvre. Metro bis Palais Royal, an den ganzen Museumsshops vorbei – und schon steht man vor einem Minitriumphbogen und guckt auf die Pyramide vor dem Louvre. In der anderen Blickrichtung Place de la Concorde mit dem Obelisken, dessen Spitze gülden in der Sonnen glänzte blendete. Ne Menge vielsprachiges Volk.
Wir sind durch einen der acht Meter hohen Torbögen auf die Rue de Rivoli gegangen, wo der Eingang zum Museum sein sollte. Bzw. zu den Museen, denn im gleichen Gebäude ist auch das Musée des Arts Décoratifs. Kärtchen gekauft, Taschen abgegeben (Kerl parlierte mit allen Angestellen und ich guckte total wissend und nickte ab und zu) und dann ab ins dritte Stockwerk, wo ich auf mittelalterliche Roben wartete und stattdessen – viel Dekozeug zu sehen bekam. Schränke, Kommoden, Sekretäre, Spiegel, Stühle, Sessel, Betten, Kisten und Kästen und irgendwann Porzellan, Vasen, Geschirr und Kleinkram wie Parfümflakons und Schminkdöschen. Nach zwei weiteren Stockwerken, in denen wir die Renaissance hinter uns ließen und uns dem Klassizismus näherten, ahnte ich, dass wir im falschen Museum gelandet waren bzw. im falschen Flügel. War wohl doch die Treppe nach links, die zu den Klamotten führte und nicht die nach rechts, die wir genommen haben. Grrr. Wenn man nicht alles selber macht. Aber egal, denn unsereins guckt auch gerne Gläser und Kronleuchter und Silbertabletts an, und le Kerl war anscheinend ebenfalls interessiert. Jedenfalls konnte er den Checker machen und mir die Schautäfelchen teilweise übersetzen, denn die waren nur auf Französisch. Meistens musste ich aber gar nicht wissen, was genau ich da angeguckt habe; ich freue mich in Museen generell darüber, dass ich überhaupt was Neues (oder in diesem Falle Uraltes) ansehe. Ich bewundere Farben, Details, Materialien – und das reicht mir meistens auch.
Irgendwann waren wir in der Moderne angelangt und besichtigten das 20. Jahrhundert im Schnelldurchlauf. Die 60er Jahre haben am meisten Spaß gemacht: viele, viele bunte Stühle, darunter der Eames Chair und diese komische Halbkugel aus Plexiglas, die man entweder als Stuhl oder als Hängesessel von der Decke kennt. Und in einem Nebenraum waren ein paar der Klassiker nachgebaut, damit man sich mal reinsetzen konnte. Dazu lief über Beamer eine Collage aus diversen Filmen, in denen man die teilweise arg seltsamen Stuhlkreationen wiedersah.
Le Kerl hatte sein iBook mitgeschleppt und hoffte auf WLAN bei Starbucks in der Nähe der alten Oper, wurde aber enttäuscht. Dafür gab’s einen leckeren Banana Java Chip Frappuccino, bei dem mir auffiel, dass ich dieses Getränk jetzt in drei verschiedenen Starbucksen getrunken habe (Hamburg, Berlin, Paris). Und in Paris ist der mittlere 40 Cent teurer als in Allemagne.
Gestärkt und ausgeruht ging’s wieder in die Metro, diesmal die 3 Richtung Gallieni. Die Station Arts et Métiers sieht aus wie ein U-Boot; da durfte wahrscheinlich jeder Azubi der metallverarbeitenden Industrie mal ein Schräubchen in die Wand hauen. Umsteigen in République, in die 11 nach Mairie des Lilas. Wir steigen im arabisch angehauchten Pyrénées aus und schlendern zum Parc de Belleville. Kein Touriort, weswegen wir ziemlich ungestört einen wunderbaren Blick über die ganze Stadt haben. Na, fast, Sacré CÅ“ur kann ich nicht erkennen, aber sonst ist alles da: Invalidendom, Eiffelturm, Tour Montparnasse, irgendeine Kirche, noch ne Kirche und noch ne Kirche. Paris ist beige. Und sieht von oben aus wie Kairo, denn Kairo ist auch beige. Wie sehen deutsche Städte von oben aus? Ich guck so selten auf welche runter.
Meine Füße sind müde und verfluchen immer mehr das seltsame Tunnelsystem der Metro, wenn’s ums Umsteigen geht. Ähnlich wie in London irrt man teilweise sehr lange durch Gänge, steigt Treppen runter, um sie zehn Meter weiter wieder hochzuklettern und kommt irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit im Kreis um Kurven und Ecken an einem Bahnsteig an.
Etwas netter ist die Linie 14, die erst vor wenigen Jahren eingeweiht wurde und dementsprechend über sowas Topmodernes wie Rolltreppen verfügt (jedenfalls in größerer Zahl als die anderen Stationen). Außerdem kann hier niemand auf die Gleise fallen, denn sie sind durch eine Plexiglaswand vom Bahnsteig abgeschirmt. Wenn die Metro einfährt (führerlos), hält sie mit den Türen genau an den Türen der Plexiglaswand, und beides öffnet sich gleichzeitig. Man muss nirgends mehr draufdrücken oder an bakterienverseuchten Hebeln ziehen, sondern steigt einfach ein oder aus. Und obwohl die Bahn aus einzelnen Wagen besteht, kann man durch den gesamten Zug durchgehen. Ich bilde mir sogar ein, der Zug wäre klimatisiert gewesen, aber das kann auch Wunschdenken gewesen sein. Jedenfalls habe ich nicht ganz so fies geschwitzt wie in allen anderen Metrowagen, in denen die Luft einfach nur stand. Wenige Sekunden nach dem Losfahren ist allerdings ein prima Luftzug zu spüren, denn die meisten Fenster sind offen. Anscheinend ist das Genre der keifenden und fensterschließenden Alten („ES ZIEHT!“) auf Deutschland beschränkt. Hier freuen sich jedenfalls auch die Senioren über die wenigen Augenblicke Frischluft, bevor die warme Wand einen wieder erwischt.
An der Station Montparnasse Bienvenüe habe ich das angeblich schnellste Laufband der Welt erleben dürfen – und mich dabei fast auf die Schnauze gelegt. Das Band beginnt mit einer Art bewegtem Kugelteppich; es sieht aus wie diese komischen rückenschonenden Kugelteppiche, die man gerne auf Fahrersitzen in Opel Corsas sieht, nur silbrig und sehr schick. Diesen Teppich betritt man ganz normal, und der geht irgendwann über in ein wirklich schnell laufendes Band (9 km/h; früher 12 km/h, aber nachdem genug Leute sich langgemacht hatten, haben sie’s etwas verlangsamt. Zum Vergleich: Ein normales Band hat eine Geschwindigkeit von 3 km/h). Beim Ãœbergang sollte man die Füße nicht anheben, sondern sich einfach von den Kugeln auf das Band schieben lassen. Das habe ich aber nicht gewusst und daher einen Fuß angehoben, um einen normalen Schritt zu machen. Dumme Idee, denn plötzlich war mein rechter Fuß eine Ecke schneller als der Rest meines Körpers, der noch auf den Kugeln war. Ich musste mich am Handlauf festhalten, sonst wäre ich wirklich vornüber gefallen. Beim Absteigen war ich natürlich Fuchs und habe mich vom Band auf die Kugeln schieben lassen, ohne die Füße zu bewegen, und das hat hervorragend geklappt. Nur dass nach diesem Highspeed-Laufband das Gefühl nach dem Absteigen noch fieser war als auf den normalen Laufbändern; es fühlt sich auf einmal an, als ob man in Klebstoff geht. Langsamer eben. Ich finde, man sollte alle Fußwege in Städten mit diesen Bändern ausstatten. Und vielleicht könnten unterwegs ein paar Erfrischungen gereicht werden.
Apropos: Wir essen jetzt erstmal die Tiefkühlquiche und schlabbern dann eine Runde Pistazieneis. Dann wird le Kerl glücklich das französische Fernsehprogramm genießen und ich entweder beim DVD-Gucken oder beim Lesen einschlafen. Ganz wie zuhause.
(weiter zu Tag 3)