Paris, jour 1
Immer wieder schön: die Heckflossen der Air-France-Flieger. Da sieht die British Airways ganz schön alt gegen aus, obwohl sie die gleiche Farbkombination haben. Und sogar unsere Koffer kommen mit. Ich habe seit 20 Jahren nichts mehr mit Französisch zu tun gehabt und kann daher ü-ber-haupt gar nichts mehr in dieser Sprache sagen. Jedenfalls nichts Sinnvolles. Aber ich verstehe noch ein wenig – oder tue an Bord wenigstens so. Aber da sagen sie sowieso immer das gleiche. Statt BA-Sandwich gibt’s buttrige Kekse und Orangensaft aus der Dose.
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Flughafen Roissy/Charles de Gaulles. Wir rollen nach der holprigen Landung (Franzosen fliegen, wie sie Auto fahren) gefühlte zwei Stunden bis zum Terminal, warten weitere gefühlte zwei Stunden auf die Koffer und setzen uns dann nichtsahnend in einen bestellten Shuttlebus, der uns bis vor unsere Zielhaustür bringt. Der junge Mann am Steuer macht über seine Schulter lebhafte Konversation mit le Kerl, während ich ein Gebet nach dem anderen spreche, weil wir bei Tempo 90 bis auf 50 Zentimeter an jede Stoßstange vor uns ranfahren und die Betonmauer links von uns auch nur noch wenige Handbreit entfernt ist.
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Ich war vor ewigen Zeiten mal für zwei Tage in Paris und habe da kaum was mitgekriegt außer Sacré CÅ“ur und Père Lachaise, denn auf dem letztgenannten Friedhof habe ich mich mit meiner Begleitung fies zerstritten. Als Sprachunkundige hat es immerhin noch zu einem Besuch des Disney-Stores auf der Champs-Élysée gereicht, wo ich Fabius aus Arielle als Stofftier gekauft habe. Dann war ich noch bei Burger King, wo ja alles so heißt, wie es überall heißt, und dann waren die zwei Tage Rainbow-Terror auch schon vorbei.
Dementsprechend habe ich kein ganz positives Bild von Paris. Dieses Mal wird es hoffentlich besser, weil le Kerl dabei ist, der ziemlich fließend franzackig parlieren kann und hinter den ich mich doof stellen kann, wenn es darum geht, Fahrkarten zu kaufen oder Zeitschriften oder Essen im Supermarkt um die Ecke. Bei Nahrungsmitteln kommen meine verschütt geglaubten Vokabeln aber ziemlich rasch wieder: So konnte ich den Großteil der Speisekarte der kleinen Brasserie, in der wir abends am Straßenrand gespeist haben, selbst entziffern, ohne dauernd „Was ist das? Was ist das? Was ist das?“ sagen zu müssen. Und im Supermarkt habe ich ganz alleine den köstlichen Kokosjogurt und das Mirabellensorbet entdeckt, während le Kerl tiefgekühlte Quiche Lorraine in seinen Einkaufskorb legte. Banause. Ich allerdings auch, denn statt der fusseligen Orangina trinke ich weiterhin Cola light.
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Normalerweise plane ich meinen Urlaub generalstabsmäßig vor, um dann am Zielort generalstabsmäßig vom Plan abzuweichen. Aber ich habe immerhin einen Plan, von dem ich abweichen kann. Diesmal habe ich mich von le Kerl einlullen lassen, der mir so gerne „sein Paris“ zeigen wollte – schließlich war er schon öfter da und will da am liebsten auch immer sein. (Kann ich nicht nachvollziehen, aber wir sind ja erst einen Tag hier; vielleicht erwischt mich die Stadt ja noch. Oder ich lerne in fünf Tagen Französisch, damit die Stadt mich erwischen kann anstatt mich ratlos vor ihr stehen zu sehen.)
Das bedeutete, dass ich am ersten Tag zwar meinen mit Post-Its gespickten Reiseführer im Rucksack hatte, wir aber trotzdem erstmal da hingegangen sind, wo le Kerl hinwollte: zum Medienkaufhaus FNAC. Während er mit verliebtem Gesichtsausdruck zwischen Büchern und Comics hin- und herirrte, ließ mich das ganze ziemlich kalt, weil ich eben mit den ganzen VERDAMMTEN FRANZÖSISCHEN BÜCHERN nichts anfangen kann. Dafür haben mich zwei riesige Regale mit amerikanischen TV-Serien auf DVD wieder versöhnt, und die 8. saison Seinfeld besitze ich jetzt mit französischem Cover. Immerhin heißt die Serie noch Seinfeld und nicht À la Maison Blanche, wie der gemeine Franzose zu The West Wing sagt.
Erste Touri-Station: der Triumphbogen. Von der Metrolinie 6, die teilweise oberirdisch fährt, hat man hin und wieder durch die Häuser einen kurzen Blick auf den Eiffelturm und einmal auch eine etwas längere Fotogelegenheit. Ich war chronisch fotofaul und konnte mich daher über die französische Schulklasse amüsieren, die komplett mit gezückten Digiknipsen am Fenster hing und dutzendfach abdrückte, sobald irgendwo ein Stückchen Eiffel’scher Turm zu sehen war. Ah, les touristes!
Am Triumphbogen musste ich neidisch feststellen, dass die Konkurrenz von Publicis ihr Büro 100 Meter vom Stern (etoile) entfernt hat. Da kann unsere Agentur nicht ganz mithalten. Und wir vermieten unsere (immerhin vorhandene) Dachterrasse auch recht selten an fremdländische Fernsehteams wie Publicis das tut, weil man von deren Dachterrasse einen schönen Blick über die Stadt hat. Sagt jedenfalls le Kerl, der behauptet, er habe eben diese Terrasse schon auf BBC und CNN gesehen, als es um die Präsidentschaftswahl in Frankreich ging.
Beim Bummel über die elysischen Felder war ich etwas gelangweilt; am gestrigen Abend sind wir kreuz und quer durch den Stadtteil Porte d’Orleans gegangen, was weitaus mehr Spaß gemacht hat. Viele Bistros, Boulangerien, Käsehändler, Fischhändler, Patisserien, von deren Schaufenster mich le Kerl gewaltsam wegreißen musste, und normales Volk fand ich deutlich angenehmer als die ganzen Tourihorden (wie in London: eigene Nase), Planet Hollywood und Co. Komischerweise kein Starbucks in Sicht. Aber eben der Disney-Store, in den ich natürlich wieder reinmusste. Kurz überlegt, ob ich 24 Euro für ein Badetuch mit Stitch ausgeben oder Mike als Stofftier haben will … dann aber doch nichts gekauft, sondern uns wieder rausgedrängelt. Beim „Pardon!“ („Entschuldigung, dass ich in Sie reinrempele“)- und „Merci!“ („Entschuldigung, dass ich in Sie reingerempelt bin“)-Sagen bin ich übrigens schon toll.
Nach der Champs-Élysée sind wir noch durch ein menschenleeren Banken- und Galerienviertel zum Élysée-Palast geschlendert, wo sich auch netterweise gerade das gut bewachte Tor öffnete, damit ein Renault auf den Hof fahren konnte. Den Hof kannte ich, glaube ich, aus dem Schakal. Oder aus irgendeinem der vielen Jean-Paul-Belmondo-Filme, die ich mit 15 geguckt habe. An der britischen und der US-Botschaft vorbei zu den ganzen Designerläden, in deren Schaufenster magere Püppchen preisschildlose Kleidchen und Täschchen spazierenstanden. Wo ist Yamamoto? Immerhin Yves Saint Laurent bewundert. Rest war mir egal, die Läden (Prada, Hermes, Gucci, D&G) gibt’s in Hamburg auch, wo ich mich immer arm und fett noch fetter fühle, wenn ich an ihren Schaufenstern vorbeihusche.
Metrostation Madeleine Richtung Montparnasse. Dort Europas zweithöchsten Wolkenkratzer angeguckt und gelangweilt im Kopf abgelegt. Dann die müden Füße in einer Brasserie ausgeruht und erstmal was zu Essen bestellt: Sandwich avec jambon für Madame Gröner und irgendwas mit Pastete drauf für le Kerl. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass der Pariser an sich unter einem Sandwich ein 40 Zentimeter langes Baguette versteht, das ich niemals an einem Stück essen kann. Dazu eine mittlere Orangina, die sich als halber Liter entpuppte. Für die Zukunft merken: niemals was Großes bestellen. Am besten gar nichts zu trinken bestellen, denn die Halsabschneider wollten für die Sandwiches 4 bzw. 4,50 Euro haben (völlig legitim), für 0,5 Liter Orangina aber satte 7. Das Zeug wollte auch wieder raus, und so durfte ich feststellen, dass es selbst im touriüberlaufenen Montparnasse noch die fiesen, alten Klos (vulgo: Loch im Boden) gibt. Immerhin braucht man sich bei denen als Mädel nicht stundenlang mit Brille-Abwischen beschäftigen. Hat alles seine Vorteile. (Trotzdem uäh.)
Postkarte für das Patenkind gekauft und gleich im Gare Montparnasse geschrieben und abgeschickt, Postkarte fürs Schwesterherz allerdings vergessen. Eigentlich stand noch der Friedhof von Montparnasse auf unserem Spontanprogramm, aber irgendwie wollten wir dann doch lieber nach Hause und die Füße hochlegen. Urlaub halt.
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