Tagebuch 6. September 2015 – Amsterdam, Tag 4

Amsterdam war unser erster (und hoffentlich nicht letzter) gemeinsamer Urlaub. Erst am Ende der Reise merkte ich, dass ich F. quasi die komplette Planung überlassen hatte: Wann fliegen wir los, wann zurück, was machen wir, wenn wir da sind. Einzig das Hotel kam von mir, da hatte mir eine freundliche Twitter-Followerin ein gutes Plätzchen empfohlen, nur wenige Gehminuten vom Museumplein entfernt, wo sich Rijskmuseum, Stedelijk und das Van-Gogh-Museum befinden. Wenn ich alleine geflogen wäre, hätte ich gestern entspannt ausgeschlafen, ausgiebig gefrühstückt, mich dann reisefertig gemacht und wäre zum Flughafen gerollkoffert. Stattdessen wartete noch Programm auf uns, während unsere Koffer im hoteleigenen Schränkchen außerhalb unserer Zimmer standen. Mir fehlte ein bisschen das Gefühl, eine Homebase zu haben, zu der man zurückkehren kann, aber das merkte ich eben erst gestern. Ich brauche anscheinend immer was zum Festhalten, sei es eine Person oder ein Ort.

Letztes Museum der Reise: das Van-Gogh-Museum. Ich mag van Gogh sehr gerne (wer nicht) und freute mich daher sehr, auch wenn ich gespannt war, wie ein Museum damit umgeht, dass quasi alle Bilder, die man eben so von van Gogh kennt, genau hier nicht hängen. Aber bevor mir diese Frage beantwortet wurde, standen wir erstmal eine Stunde lang in der Kassenschlange. Wir naiven Frohnaturen hatten gedacht, unsere tolle Museumkaart würde den Einlass beschleunigen, aber dem war nicht so. Die Zeit verging allerdings trotzdem angenehm schnell; wenn wir uns nicht unterhielten, versorgte uns das Museum schon draußen mit freiem WLAN, und so konnten wir lesen und twittern und überhaupt kann einem ja gar nicht langweilig werden, wenn man ein Smartphone hat. Freies WLAN gab’s übrigens in so ziemlich jeder Location, in der wir eincheckten, egal ob Museum oder Kneipe. Tach, Deutschland, du altmodische 3G-Schnecke.

Im Museum selbst kommen zuerst Gift Shop, Garderobe und die elegantesten Klos, die ich in Amsterdam gesehen habe (gerne wieder!). Dann chauffiert eine Rolltreppe einen in die eigentlichen Ausstellungsräume, die sich auf vier Ebenen befinden und chronologisch angeordnet sind. Unten begann alles mit verschiedenen Selbstporträts, an denen ich relativ schnell vorbeischlenderte. Damit war ich allerdings ziemlich alleine: Die meisten Besucher waren mit Audioguides ausgerüstet, der sie anscheinend zunächst zum allerersten Bild schickte – und da stellten sich dann auch alle an. Ernsthaft. Eine Schlange vor einem Bild, und diese Schlange zog sich dann an der Wand entlang weiter zum nächsten. Das hatte ich noch nie gesehen, fand es sehr merkwürdig – und ignorierte es total, indem ich einfach zu dem Bild ging, das ich jetzt angucken wollte und fertig. Wo sind wir denn hier.

Der erste Stock gefiel mir schon besser. Das Bauernhaus (1885) zog meine Blicke auf sich und ich besah mir genau, wo van Gogh Lichtpunkte gesetzt hatte, wo welche Brauntöne zum Einsatz kamen (und welche weiteren Töne eben nicht), wie er das Gebäude dreidimensional modellierte, was im Hintergrund passierte. Im Obergeschoss hing ein weiteres Bauernhaus (1890), so dass ich gut vergleichen konnte: Wie anders malte van Gogh nur wenige Jahre später ein sehr ähnliches Motiv, wie wenig interessierte ihn noch eine nachvollziehbare, architektonische Wiedergabe, wie anders leuchteten die Farben, wie fast egal war auf einmal der Hintergrund, weil das Wichtige eben das Hauptmotiv war. Auch eine bewusste Lichtsetzung ist kaum noch zu erkennen, viel spannender waren die Farben, die nun das Haus formten. Das gefiel mir am Museum außerordentlich gut: wie einfach man durch die chronologische Ordnung und eine kleine thematische Gliederung nachvollziehen konnte, wie van Gogh sich entwickelte.

Mit Stillleben kriegt man mich bekanntlich immer; hier gefielen mir die Zitrusfrüchte (1887) besonders gut, vielleicht weil ich vor zwei Tagen im Rijksmuseum so viele Stillleben mit Zitronen gesehen hatte und wiederum vergleichen konnte. (Das ist ja quasi die Hauptbeschäftigung der Kunstgeschichte: vergleichen.) Auch vor einem Stillleben mit Geschirr (1885) und vor einem mit Rotkohl (1887) stand ich recht lange und besah mir vor allem die Farben und die immer kräftiger werdenden Pinselstriche, die schließlich zu Farbauftrag per Palette wurden und diesen typisch pastosen, fast holzschnittartigen Stil erzeugten. Ganz anders: die vielen Zeichnungen und Studien, die mir ebenfalls gut gefielen, zum Beispiel die hier von einem jungen Mann (1884/85). Davon hätte ich gerne mehr gesehen.

Vor den etwas bekannteren Werken wie dem Zimmer in Arles (1888) oder den Mandelblüten (1890) drängten sich die Menschen genau wie vor allen anderen Bildern; es war kaum möglich, mal alleine vor einem Bild zu stehen, aber dafür, dass anscheinend alle BesucherInnen Amsterdams in dieses Museum wollen, war es doch ziemlich erträglich. Neben der Sternennacht sind die Mandelblüten mein Lieblingsbild von van Gogh, und daher wurden sie die Grundlage für mein einziges Reiseandenken.

mandelteddy

Die Sonnenblumen sind mir sehr egal, wie ich zugeben muss; eine Version hängt auch in der Neuen Pinakothek, aber dort mag ich den Blick auf Arles viel lieber.

Im oberen Stockwerk wies die Beschriftung auf das vermutlich letzte Werk von van Gogh hin: die Baumwurzeln (1890). Das kannte ich zugegebenermaßen noch nicht und war überrascht, wie abstrakt es schon wirkte. Mal wieder das Leben van Goghs bedauert und mich gefragt, ob es ihn glücklich gemacht hätte zu wissen, dass Menschen aus der ganzen Welt in langen Schlangen stehen, um seine Bilder sehen zu können.

Das klingt jetzt alles ganz toll, aber das van-Gogh-Museum hat mich von den vielen Museen, die wir besichtigten, am wenigsten zum Wiederkommen animiert. Es ist wunderbar aufgebaut und ich glaube, man kann viel lernen und mitnehmen, aber mich persönlich hat es eher unberührt gelassen – vielleicht weil es mir so verschult vorkam. Ich freue mich jetzt schon darauf, nochmal im Rijksmuseum durch die unendlich vielen Säle zu gehen und Dinge zu entdecken, aber hier hatte ich am Ende des Rundgangs das Gefühl, jau, passt, hamwa jesehen, reicht jetzt.

Ich ging wieder ins Erdgeschoss, wartete auf F., der sich noch oben rumtrieb, und guckte auf eine Videoinstallation, die in vielen Bildern den Einfluss van Goghs zeigte; Variationen der Sternennacht, des Zimmers, des Selbstporträts, halt alle die Bilder, die wir kennen. Erst da wurde mir klar, wie sehr van Goghs Werke zu unserem kulturellen Gedächtnis gehören und wie groß sein Einfluss nicht nur auf die Kunst, sondern auch die Populärkultur war. Das war für mich eine größere Erkenntnis als alle, die ich oben vor den Bildern gemacht hatte.

video

Zum Abschluss schlenderten wir noch ein wenig durch den Skulpturengarten des Rijksmuseums und füllten die leeren Mägen mit viel Torte und heißer Schokolade, bevor wir uns wieder in eine Tram quetschten, die uns zum Bahnhof fuhr. Wir fuhren durch das alte Amsterdam, das ich nicht erbummelt hatte, weil meine Füße früher streikten als mir lieb war, was mich sehr ärgerte. Das war in Rom vor ein paar Jahren noch anders. Ja, ich bin älter geworden, aber anscheinend hat mich das ständige Radfahren meine Fußkondition gekostet. Ich brauchte mehr Pausen, was F. gutmütig mitmachte, aber für die nächste Reise werde ich trainieren. Ich habe längst nicht so viel gesehen, wie ich sehen wollte, aber im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, mal runtergekommen zu sein, die blöde Wohnsituation und das Warten auf meine BA-Note und den Studienplatz außen vor lassen zu können. (Natürlich habe ich trotzdem täglich online nachgeguckt, ob die Note oder der Platz jetzt mal da sind. Sind sie nicht.)

Mach’s gut, Amsterdam, du kleiner Schnuckel – ich komme wieder. Die Museumkaart gilt ja noch bis Anfang September 2016.

gracht