Tagebuch 10. Oktober 2015 – Guess who’s coming to dinner

Gestern lud ich den ehemaligen Mitbewohner zum spontanen Dinner ein. Diese grandiose Idee hatte ich allerdings erst Mittags, daher hatte ich nicht viel Zeit, um über ein Menü nachzudenken und einzukaufen, geschweige denn irgendwas groß vorzubereiten. Also musste etwas schnell Kochbares her und etwas, das keine 8000 Zutaten erforderte, für die ich durch die halbe Stadt musste.

Geworden sind es ein Feldsalat mit Radieschen und meinem geliebten Kartoffeldressing als Vorspeise, Rinderrouladen mit Pesto und Sellerie-Tomaten-Gemüse als Hauptgang sowie eine schlichte Mokkacreme auf Basis der Bayerischen Creme zum Dessert. Das Kochen war eine größere Herausforderung als ich dachte, und ich habe mal wieder gemerkt, dass dieser Umzug immer mehr einer Entwurzelung gleicht, an der ich länger zu knabbern habe.

Ich habe in unserer Hamburger Küche Kochen gelernt. Dort nahm mich Lu vor gerade mal sechs Jahren unter ihre Fittiche, um mir die basicsten Basics beizubringen, meine Faszination für Wein zu wecken und überhaupt in mir die kleine Köchin wachzurütteln, die anscheinend schon länger da war, aber jemanden brauchte, der sie in die richtige Richtung schubste. Vieles von dem, was mir Lu beibrachte, ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, vieles habe ich verändert, anderes wieder sein gelassen. Aber meine ganze Entdeckungsreise zu genussvollem Essen und als unerwartete Folge zu einem neuen, positiven Körpergefühl hat in unserer Hamburger Küche begonnen. Ich konnte irgendwann alle Handgriffe im Schlaf, wie man das eben so in der eigenen Wohnung kann; genau wie man nachts den Weg aufs Klo findet, ohne Licht anmachen zu müssen – man ist da halt zuhause und alles ist da, wo es hingehört.

Mir ist schon klar, dass alle Handgriffe in einer anderen Wohnung neu erlernt werden müssen. Genau das habe ich die letzten drei Jahre hier in München gemacht – aber eben mit meiner rudimentären Münchner Kücheneinrichtung, die nie für das große Galadinner vorgesehen war. Jetzt ist mein Bratentopf hier, mein geliebter Zerkleinerer, mein Mörser, die richtig guten Messer, das Goldrandgeschirr und mein Silber. Ich fasste gestern also vieles an, das mir seit Jahren vertraut ist, aber nun auf einmal an einem ganz anderen Ort liegt. Für das Geschirr ging ich nicht zum Esszimmerschrank, sondern zog eine Umzugskiste aus der Abstellkammer, in der Silber und Geschirr liegt, weil es schlicht keinen Schrank mehr gibt, in das es passt. Für den Zerkleinerer musste ich auf meine Leiter steigen, weil er oben auf dem Küchenschrank liegt anstatt in Griffhöhe in der Speisekammer. Die guten Messer liegen nicht griffbereit rechts neben, sondern hinter mir auf der metallenen Anrichte, die ich mir vor drei Jahren kaufte, um überhaupt irgendeine Arbeitsfläche in der Küche zu haben, die aber eher Abstellfläche geworden ist. Als ich den Bratentopf mit den Rouladen aus dem Backofen zog, merkte ich, dass ich ihn nicht plan auf den vier Herdplatten abstellen konnte, während das in Hamburg auf dem flachen Induktionsherd ging. Ich stieß beim Kochen und Servieren dauernd an irgendein Hindernis, was mich innerlich doch mehr Kraft kostete als ich dachte.

Ob mein Duschvorhang jetzt nach rechts (Hamburg) oder links (München) aufgeht, ob ich Treppen steige (Hamburg) oder den Fahrstuhl nehme (München), um in meine Wohnung zu kommen – alles egal. Aber Kochen bedeutet mir sehr viel; ich weiß, wie gut es mir getan hat, es zu lernen, ich weiß, wie gut es mir immer noch tut, genussvoll zu essen und es nicht mehr als notwendiges Übel, eine Sünde, eine Herausforderung anzusehen. Es ist mir gestern erst aufgefallen, dass Dinge, die mir am Herzen liegen, nicht ganz so einfach verpflanzt werden können wie andere.

Ich verbrachte den kompletten Nachmittag mit Vorbereitungen, Kochen und Tischdecken, was normalerweise viel schneller gegangen wäre, hier aber gefühlt ewig dauerte, weil die Wege neu und anders waren und sich doch alles in meinen Händen so vertraut anfühlte. Über allem lag die anscheinend derzeit dauerpräsente Traurigkeit und ich habe mich in meiner eigenen Küche, mit meinen eigenen, geliebten Gerätschaften gefühlt, als würde ich bei jemand anders kochen, obwohl ich hier seit drei Jahren wohne.

Wenigstens hat’s geschmeckt.

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