Was schön war, Mittwoch, 6. Januar 2016
Platz.
Ein Bekannter kam vorbei und räumte mir so gut wie alle Umzugskartons aus meinem winzigen Kellerabteil, so dass dieses jetzt wieder benutzbar ist. Vorher musste man erstmal Zeug rausräumen, um überhaupt eintreten zu können. 40 Kartons nehmen doch ganz schön Platz weg, aber der gehört jetzt wieder mir. Und wenn mein Kreislauf nicht mehr nach einer Treppe und fünf-Kartons-Tragen anfängt memmig zu werden, werde ich auch endlich Kram aus meiner Abstellkammer in der Wohnung in einige der noch übriggebliebenen Kartons packen und sie im Keller stapeln, wie sich das gehört.
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Essen.
Nachdem ich mich drei Tage lang von Weintrauben, Schokoladenpudding und Caear Salad ernährt habe (Knoblauchcroutons kann ich auch an der Schwelle zum Exitus zubereiten und ja, ich habe für Notfälle wie Erkältungen ein Fertigdressing im Haus, jetzt isses raus), konnte ich gestern endlich mal wieder was kochen. Heißt: Ich kann schon wieder 30 Minuten am Stück irgendwo rumstehen und Gemüse schnippeln und ich kann wieder mehr schmecken.
Gestern ist es eine Kokosmöhrensuppe geworden. Ich hatte leider keine rote Currypaste mehr im Haus, von der ich sonst einen Klecks in die Suppe gebe; stattdessen warf ich aus dem Handgelenk Kurkuma, gemahlenen Koriander, gemahlenen Kreuzkümmel und Currypulver darüber. War auch okay. Als Deko gab’s Petersilie statt Koriander (hatte ich auch nicht, und gestern war in Bayern ja Feiertag, was den Nachschub stark erschwerte), Mandelblättchen, Sesam und dunkles Sesamöl. Ich sollte überhaupt mehr dunkles Sesamöl an Dinge klecksen, das war sehr lecker.
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Lesen.
Ich kann mich wieder besser konzentrieren, weswegen ich gestern nicht weiter vor Pastewka vor mich hindöste, sondern mal wieder ein Buch in die Hand nahm. Ich lese immer noch Mythos Trümmerfrauen, und gestern stieß ich auf eine Passage, die für mich als Kunsthistorikerin interessant war. (Der folgende Text lehnt sich stark an Trebers Buch an, vor allem an die Seiten 280–343.)
Es gibt in Berlin auf beiden Seiten der ehemaligen Mauer Statuen für Trümmerfrauen bzw. Aufbauhelferinnen. Die beiden Skulpturen sehen sehr unterschiedlich aus, was auch mit dem unterschiedlichen Frauenbild in den beiden neu entstehenden deutschen Staaten zu tun hat.
Hier die Aufbauhelferin von Fritz Cremer (den ich inzwischen netterweise aus unserem Ost-West-Dialoge-Seminar kenne), 1954, Rathausstraße vor dem Roten Rathaus:
“Cremer Aufbauhelferin“. Licensed under Wikimedia Commons.
Seit Ende des Krieges war in Ost-Berlin und der SBZ/DDR die Aufbauhelferin medial repräsentiert. Die Berichterstattung über ihre Arbeit diente allerdings nicht dazu, ein objektives Bild von ihr zu zeichnen, sondern das negative Image der Trümmerräumung umzudeuten. Trümmerräumung war, wenn es nicht von Maschinen erledigt wurde, zunächst von ehemaligen Parteigenoss*innen, dann von Arbeitslosen übernommen worden und galt als Straf- oder Sühnearbeit. Auch waren Männer grundsätzlich in der Mehrheit; Frauen arbeiteten sehr selten im Baugewerbe (im NS-Staat war ihnen dieses untersagt gewesen), und wenn sie es jetzt, nach 1945, taten, dann aus purer Not, um ihre Essensrationen aufzustocken und nicht aus freudigem Aufbauwillen. In der SBZ wurde nun aber genau diese Tätigkeit als Folie für das neue sozialistische Frauenbild genutzt: Die Trümmerfrau wurde zu einer Vorreiterin der Gleichberechtigung.
Der Staat folgte hier alten Forderungen der proletarischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, allen voran Clara Zetkin, die schon damals das Recht der Frau auf außerhäusliche Erwerbsarbeit als eine wesentliche Voraussetzung für die Emanzipation der Frau angesehen hatte. Die sowjetische Militärregierung hatte bereits 1946 mit dem Befehl 253 gleichen Lohn für gleiche Arbeit festgelegt, der unverändert in die DDR-Verfassung übernommen wurde; weiterhin wurden alle Gesetze, die der Gleichberechtigung der Frau in Ehe und Familie entgegenstanden, aufgehoben (im Gegensatz zur Bundesrepublik, die beispielsweise 1952 die Aufhebung des Verbots der Frauenarbeit auf dem Bau wieder rückgängig machte, so dass dort weiterhin die Regelung von 1938 galt).
Die Praxis konnte mit der sozialistischen und gleichberechtigten Theorie allerdings nicht mithalten, denn das neue Frauenbild und die vollständige Integration der Frau ins Berufsleben traf auf die Beibehaltung der männlichen Vormachtsstellung und deren Privilegien. Trotzdem galt gerade die Trümmerfrau (die nach und nach als „Aufbauhelferin“ bezeichnet wurde) als Vorbild für alle Frauen, die nun einen vielleicht ungewohnten, sogenannten Männerberuf erlernen wollten. Trümmerräumen sollte nicht mehr als Strafarbeit oder als Arbeit aus der Not angesehen werden, sondern als emanzipatorischer Akt. Und so sieht die Skulptur dann auch aus: eine junge, tatkräftige Frau in Arbeitshosen, die in schweren Stiefeln steckt, schultert eine Schaufel. Ihr linker Fuß berührt nur noch knapp die Platte, auf der Skulptur steht, sie scheint im Vorwärtsdrang abgebildet worden zu sein.
Ganz anders das Bild, das in West-Berlin von der Trümmerfrau gezeichnet wurde. Die Plastik stammt von Katharina Szelinski-Singer und wurde 1955 auf der Rixdorfer Höhe im Volkspark Hasenheide aufgestellt.
(Die Bildquelle ist ein Artikel von Leonie Treber, die das Buch Mythos Trümmerfrauen verfasst hat. Gleich mal ne Leseempfehlung. Das Foto stammt von Dietmar Treber.)
Die Figur der Trümmerfrau hatte in den westlichen Medien kaum Wiederhall gefunden; bis auf West-Berlin war sie kaum repräsentiert. In der öffentlichen Meinung hatte sich die Trümmerfrau als Phänomen von Ost-Berlin bzw. der SBZ herausgebildet. Die Politik tat ein Übriges, um die Leistung der Frauen in einem anderen Licht erscheinen zu lassen: Sie sah die dort arbeitende Frau als ein Beispiel für die Ausbeutung des weiblichen Geschlechts. Das bundesrepublikanische Frauenbild knüpfte fast nahtlos an das des NS-Staates an: Die Vormachtsstellung des Mannes wurde nicht in Frage gestellt, die Festlegung der Frau auf die Mutter- und Hausfrauenrolle als „natürliche Anlage“ ihres Geschlechts beschrieben. Die Gleichberechtigung war zwar im Grundgesetz festgeschrieben, aber anders als in der DDR, wo alle bestehenden Gesetze, die diesem Grundsatz widersprachen, einfach gestrichen wurden, wurde in der Bundesrepublik um jede Änderung gerungen.
Auch aus finanziellen Gründen waren Frauen aber, wie ihre Schwestern in der DDR, außerhäusig berufstätig; 1960 stellten sie bereits 33,4 Prozent aller Erwerbstätigen. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Berufstätigkeit gesellschaftlich anerkannt war: „Geduldet wurde die Berufstätigkeit unverheirateter Frauen oder verheirateter Frauen, solange die finanzielle Situation dies erforderte. Kategorisch abgelehnt wurde hingegen die dauerhafte Berufstätigkeit der Frau über die wirtschaftliche Notlage hinaus und vor allem die der Mutter.“ (S. 314)
Die Trümmerfrauen-Skulptur in West-Berlin sieht dementsprechend aus: Eine ältere, müde gearbeitete Frau im langen Rock legt zur einer kurzen Pause ihre Hände in den Schoß; in einer Hand hält sie einen Hammer, was für mich neben der Haltung der beiden Figuren (sitzend vs. stehend) fast einen noch größeren Unterschied im Abbild macht. Eine geschulterte Schaufel erweckt den Eindruck einer tatkräftigen Aktion, man sieht die Dame fast vor sich, wie sie sich kraftvoll den Steinmassen nähert, während der Hammer nur an das Putzabklopfen der Ziegel erinnert, eine kleine, leise, fast bürokratische Geste. Außerdem sieht die Figur wie ein Abbild der Vergangenheit aus, während die Aufbauhelferin eindeutig den Weg in die Zukunft antritt. Zusätzlich ist der Standort der Plastik wichtig: Während die Westberliner Trümmerfrau zwar am Ort ihres Wirkens abgebildet wurde (die Rixdorfer Höhe entstand auf einem Schuttberg), bleibt sie doch eher außerhalb der Sicht – im Gegensatz zur Ostberliner Aufbauhelferin, die stolz direkt vor dem Rathaus in der Stadtmitte steht.