Kunst gucken: „Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg
Die Ausstellung wurde ab November 2016 in Bochum gezeigt und wanderte dann nach Rostock. Eigentlich sollte sie auch in Wrocław, dem ehemaligen Breslau, gezeigt werden, aber der Vertrag der dortigen, liberalen Museumsdirektorin wurde nicht verlängert, und ihr Nachfolger sagte die Ausstellung ab. (Kat. Ausst. Bonn 2016, 9)
Unser Rosenheim-Seminar besuchte die Ausstellung in Bochum (ich war leider nicht dabei) und war wenig begeistert. Kommilitoninnen bestätigten die Rezension in der Zeit, wonach man erstmal großformatige KZ-Bilder betrachten musste, bevor man die eigentlichen Bildwerke zu sehen bekam. Als ob man Besucher*innen noch mal dringend erklären müsste, was zwischen 1933 und 1945 geschah, bevor sie biederen Abbildungen von Bauernfamilien und pseudo-dynamischem Jungvolk ausgesetzt sind.
Auf der oben verlinken Website aus Rostock kann man ein paar Blicke in die Ausstellung werfen, was ich spannend fand, denn auch ich habe sie nun endlich gesehen: im Kunstforum der Ostdeutschen Galerie in Regensburg, wo sie noch bis zum 29. Oktober gezeigt wird. Die Hängung ist an allen drei Orten unterschiedlich, was natürlich schon den räumlichen Begebenheiten geschuldet ist, aber anscheinend hat man die Werke auch jedesmal neu gruppiert; zumindest sehe ich kleine, aber nicht unwichtige Unterschiede zwischen Rostock und Regensburg.
In Regensburg muss man nicht erst Bilder aus Bergen-Belsen sehen; die hängen zwar auch gleich im ersten Raum, sind aber relativ kleinformatig. Die erste Bildpaarung, die man sieht, ähnelt dem Titelblatt des Katalogs: Links hängt Sepp Happs Ãœber allem aber steht unsere Infanterie (1943), rechts Alexej von Jawlenskys Mädchenbildnis (1909). Und damit beginnt auch schon mein Problem mit dem generellen Ausstellungskonzept. Die Gegenüberstellung von ideologischer NS-Kunst und … hier musste ich etwas überlegen, bevor ich mich für die folgende Formulierung entschieden habe … irgendeinem Bild, das keine ideologische NS-Kunst ist, finde ich arg billig. Vor allem, weil Jawlenskys Werk nicht mal annähernd zwischen 1933 und 1945 entstanden ist. Wenn man schon dringend die ideologische NS-Kunst in einen Kontext setzen will, dann wenigstens in einen, der eine gewisse Zeitgleichheit aufweist. So steht man entspannt vor dieser Bildpaarung und kann schaudernd den ollen Nazikram doof finden und den Jawlensky richtig und schön und alles. (Ist er ja auch.) Aber damit macht es sich die Ausstellung halt viel zu einfach und ist keinen Schritt weiter als diverse andere Ausstellungen von NS-Kunst vor ihr. Einen kurzen und guten Ãœberblick über diese bekommt man im Katalog, den ich eben verlinkt habe; bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostet er gerade 7 Euro. Die sind gut angelegt. Darin ist auch Elk Ebers Die letzte Handgranate (1937) vom Titel abgebildet, das ich gerne gesehen hätte, das in Regensburg aber leider nicht hing.
Ich schrieb das bestimmt schon gefühlte hundert Mal in diesem Blog, dass es „die NS-Kunst“ nicht gibt, weil es keinerlei Vorschriften der Machthaber gab, wie NS-Kunst auszusehen habe, höchstens welche, wie sie nicht auszusehen habe. Wenn man heute „NS-Kunst“ sagt, haben die meisten vermutlich genau die Bilder vor Augen, die es in Bochum, Rostock und Regensburg zu sehen gibt: die Herrenmenschen in blond und blauäugig mit überzeichneten Vorstellungen von männlichen und weiblichen Idealmaßen, bei denen die Jungs immer aussehen wie Bodybuilder, die nicht wussten, wann sie mit den Drogen aufhören sollten, und bei den Mädels herrschen gebärfreudige Becken, adrette Frisuren und eine eher kleine Oberweite vor, da spannt dann auch die BDM-Bluse nicht so. Dass diese Bilder nur einen winzigen Teil der Werke bildeten, die in der Großen Deutschen Kunstausstellung (1937–1944) zu sehen war, wird gerne vergessen.
„Artige Kunst“ zeigt immerhin noch ein bisschen mehr, und damit höre ich auch auf zu meckern, denn für mich war der Erkenntnisgewinn trotz aller Vorhersehbarkeit und ollem Konzept groß. Man beginnt in Regensburg, wie gesagt, mit Happ/Jawlensky und einigen Fotodokumenten nach der Kapitulation, darunter auch Fotos von Richard Peter sen. wie das schreckliche Das Lächeln des Wahnsinns (1945/46). Blickt man in den zweiten Raum, ist der dritte bereits sichtbar, wo eine Männerstatue einen anblickt. Mein Kopf meinte „Breker“, war er auch, aber erstmal kam ein Raum namens „Der genormte Mensch“. Dort hingen teils klassische, teils bürgerliche Motive in der NS-Interpretation.
Über Ivo Saliger kann ich einfach nur mit den Augen rollen, aber seitdem ich seine Bilder erstmals im Original und nicht nur als winzige Katalogabbildung gesehen habe, weiß ich besser, warum. An seiner Madonna mit Jesuskind (1938/41) blieb ich nicht lange hängen, das war schlicht langweilig. Aber Das Urteil des Paris (1939) sowie Die Rast der Diana (1939/40) sah ich mir länger an. Wenn Adolf Ziegler als „Meister des deutschen Schamhaars“ verspottet wird, möchte ich Saliger als „Meister des deutschen Warzenhofs“ ergänzen. Da hat der Herr sich schon sehr große Mühe gegeben. Ich fand es spannend, diese beiden recht bekannten Bilder im Original sehen zu können und las mir brav die Wandtexte durch. Die sprachen bei Saliger von einer „deckend schlichten Malweise“ und auf einmal fiel mir auf, warum mich Saligers Werke immer so nerven. Sie sehen genauso totgepostet aus wie heutige Anzeigen, an denen Menschen gebastelt haben, die den Photoshop nicht recht beherrschen. Saligers Werke tun so, als wären sie alte Meister, aber die Haut der Damen ist poren- und faltenfrei, die Posen sind banal, und nicht mal Vorder- oder Hintergrund sind irgendwie aufregend. Die Bilder sehen auf 160 x 200 Zentimeter genauso langweilig aus wie als Katalogbild. Das klingt zwar komisch als große Erkenntnis, aber ich hatte mich ein bisschen davor gefürchtet, alle Bilder im Original auf einmal toll zu finden.
Nochmal kurz zur Madonna: Ich lernte aus den Wandtexten, dass es bis 1941 ganze acht Heiligendarstellungen auf der GDK gab, danach keine mehr. Christliche Motive gehörten nicht zu den gewünschten Motiven der NS-Zeit. Das deckt sich mit meinen Erkenntnissen, die ich bei der Arbeit zu Leo von Welden (1, 2) gewonnen habe.
Im zweiten Raum hing auch noch Hans Schmitz-Wiedenbrücks Familienbild (vor 1939, unter dem Link zu sehen oder hier mit Provenienz). Das hätte, bis auf wenige Details, von Motiv und Malweise her auch aus dem 19. Jahrhundert stammen können. Aus der Bochumer Ausstellung berichteten meine Kommilitoninnen, dass an den „NS-Bildern“ kleine Aufkleber mit der Aufschrift „Artige Kunst“ (natürlich in Fraktur) befestigt waren, und dass die Aufbauenden manchmal nachfragen mussten, an welche Bilder der Aufkleber denn soll – das war anscheinend nicht immer sofort ersichtlich. Mir ging es einen Raum weiter so, dass ich beim schnellen Rundumblick bei einigen Werken dachte, jo, NS-Zeit, aber falsch lag. Soviel zum Thema „So sieht NS-Kunst aus, total eindeutig, das Zeug“. Beim Familienbild kann man die weiße Bluse und den braunen Rock des Mädchens links als BDM-Uniform lesen, und die Jacke des kleinen Jungen links sieht auch ein bisschen nach Uniform aus – es könnte aber auch eine Jägerjoppe sein. In der Abbildung erkennt man nicht, dass der Farbauftrag recht fein und lebhaft ist; ich starrte lange auf die rote Decke auf der Bank rechts im Bild und mochte generell die Stofflichkeit gerne. Und so begann schon im zweiten Raum bei mir der innere Kampf zwischen „Da gucke ich jetzt total unbeteiligt als Profi drauf“ und „Verdammt, das Bild hat einen gewissen Reiz, den ich gerade wegargumentieren will, damit ich mir nicht nachsagen lassen muss, Nazischeiß gut zu finden“. Ich fand das Bild nicht gut im Sinne von „Muss ich dringend über der Couch hängen haben“, aber ich konnte es auch nicht so doof finden wie die Saligers. Ein Propagandaplakat für „Gesunde Eltern – gesunde Kinder“ der NS-Volkswohlfahrt sorgte dann wieder für Kontext, wovon ich wieder genervt war. Ja, ich weiß, warum das Ding da hing (NS ist böse, nur falls das jemand bereits im zweiten Raum wieder vergessen haben sollte), aber das war echt Didaktik für Dummies.
Im dritten Raum stand dann wie gesagt eine Breker-Statue, die sogar noch halbwegs manierlich aussah und nicht wie die Drogenmuckijungs. Als Kontrast stand hier zum Beispiel die zarte Hungernde (1925, untere Bildreihe rechts) von Karel Niestrath, die man ein paar Räume weiter auf einem Foto zur Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ wiedersah. Das mochte ich gern, dass man Objekte in einem Zeitkontext wiederfinden konnte. Ich weiß nur gerade selber nicht, warum mich der Hinweis auf die Aktion „Entartete Kunst“ weniger nervte als die Volkswohlfahrt und die KZ-Bilder. Auch das war eine Erkenntnis der Ausstellung, die ich schon im Saal 13 der Pinakothek der Moderne hatte: Ich habe dieses ganze Forschungsfeld immer noch nicht fertig durchdacht. Immer wenn ich denke, jetzt weiß ich, wie ich selbst mit diesen Werken umgehen soll, will, muss, ändert sich wieder irgendwas. Vielleicht bin ich in drei Jahren nach der Diss irgendwo angekommen.
Ich erspare euch jetzt eine Aufzählung alle Werke, sondern lege euch die Ausstellung einfach ans Herz. Was für mich persönlich noch wichtig war: der Gesamteindruck von mehreren Werken aus der NS-Zeit in einem Raum. Das Problem an NS-Kunst, wenn man sich mit ihr wissenschaftlich befassen will: Sie wird nirgends gezeigt. Würde ich über die klassische Moderne promovieren wollen, könnte ich in so ziemlich jedes Museum des 20. Jahrhunderts gehen und einen kleinen Einblick bis großen Ãœberblick bekommen. Bilder aus der NS-Zeit hängen in wenigen Exponaten in historischen Museen in Berlin und Nürnberg und jetzt eben auch in München, aber das war’s. Alle Bilder, die ich bisher als „klassische NS-Kunst“ kannte, kenne ich nur aus Abbildungen. Deswegen war der Besuch in Regensburg so lohnend für mich, weil ich endlich viele Originale sehen konnte – aber eben auch zwiespältig. Meine erste Reaktion per DM an F. lautete sinngemäß, toll, unbedingt angucken – was nicht heißt, dass da nur gute Kunst hängt, die man dringend sehen muss, sondern es heißt, es war für mich persönlich wichtig und aufschlussreich, sie gesehen zu haben. Aber ich merke bei jedem Satz, dass es ziemlich dünnes Eis ist, auf dem ich mich bewege.
Das fiel mir besonders in der Mittelhalle des Museums auf, wo zwar auch ein paar Werke hingen, die als Korrektiv wirkten, aber die Hälfte des Raumes bis zum Raumteiler war mit NS-Kunst bestückt, und es fühlte sich ganz kurz so an, als würde ich in einer GDK stehen. Das kannte ich noch nicht, dieses Gefühl: So könnte sich das damals angefühlt haben. Und zum ersten Mal wurde mir auch klar, warum der NS-Kunst bis heute eine gewisse Verführungskraft zugesprochen wird. Ich habe da dennoch gleich ein dickes „Aber“.
Im Raum hängen direkt nebeneinander an drei Wänden zwei Kriegsmotive (Claus Bergens Im Kampfgebiet des Atlantik (vor 1941); Michael Mathias Kiefers Die Wacht (Seeadler, 1940)), zwei Motive, die sportlich-gestählte Menschen zeigen (zum Beispiel Albert Janeschs Wassersport (vor 1936)), sowie ein paar Landschafts- und Bauernmotive. Eines davon war für mich wieder spannend: Paul Junghanns Pflügen (1940). Es zeigt einen Bauern, der hinter einem Pflug geht, der von drei Pferden gezogen wird. Der Horizont ist niedrig, das Bild gelblich-bräunlich, es sieht aus wie späte Abendsonne, eigentlich völlig unaufregend. Das Format entspricht allerdings überhaupt nicht den üblichen bäuerlichen Abbildungen, die man aus dem 19. Jahrhundert kennt – es ist mit 150 x 245 cm recht großformatig. Hier sieht man es im Kontext der GDK 1940, wo es neben weiteren bäuerlichen Bildnissen hängt und immer noch recht unaufregend wirkt. Aber in einem Raum, wo nebenan ein U-Boot durch ein bewegtes Meer pflügt und kleinpimmelige Herrenmenschen ihre Körper für den Kampf stählen, bekommt es einen sehr unheimlichen Beigeschmack. Und schon haben wir die gewollte Gruselstimmung: Guckt mal, wie schlimm NS-Kunst ist.
Aber, und hier kommt das Aber: Mit dieser Hängung schafft die Ausstellung eben auch einen Kontext, den die Bilder zur damaligen Zeit nicht hatten. Wie schon beschrieben, hing Pflügen neben anderen bäuerlichen Szenen und eben nicht zwischen U-Booten und Turnern. Wenn man sich mal durch die Säle der GDK klickt, was man auf GDK-Research ganz wunderbar machen kann, sieht man, dass recht themenzentriert gehängt wurde: hier die weiblichen Akte und die Blümchen, da die Kruppstahl-, Windhund- und Lederjungs, hier die Bauernstuben, dort die Tierporträts und irgendwann dann Kriegsbilder (gerne mit Landschaften kontrastiert wie Leo von Weldens Vormarsch in Norwegen (1941)). Die heutigen Ausstellungen zeigen durch ihre Werkauswahl und -kombination schlicht ein falsches Bild, um einen längst überholten Forschungsstand zu illustrieren. Und das nehme ich der Schau wirklich übel.
Wieder zum Positiven: Auch wenn ich die Hängung problematisch und die Idee doof finde, NS-Kunst mit Nicht-NS-Kunst zu kontrastieren, war es natürlich schön, zusätzlich zum Nazikram einige Werke der klassischen Moderne zu sehen, die ich noch nicht im Original kannte. Sehr gefreut habe ich mich über Komposition (1939/40) von Otto Freundlich aus dem Besitz der Ostdeutschen Galerie. Freundlichs Skulptur Der neue Mensch wurde in einer bösartig verzerrten Fotografie für das Titelbild des Katalogs zur Ausstellung „Entartete Kunst“ missbraucht. Gern gesehen habe ich auch Carl Grossbergs Brücke über die Schwarzbachstraße in Wuppertal (1927, im Link zu sehen); Grossbergs neusachliche Darstellung von Großstädten mag ich sehr gerne. Ich mag allerdings ebenso gerne Carl Theodor Protzens Straßen des Führers (vor 1940), und da sind wir dann wieder bei den Ambivalenzen, mit denen ich die ganze Zeit zu kämpfen habe. Selber schuld, ich weiß. Hätte ich mich mal auf feministische Kunst der 1970er Jahre spezialisiert, aber nein, es musste ja Nazischeiß sein.
Auch gefallen hat mir in Regensburg der Lokalbezug. In der Ausstellung waren einige Werke zu sehen, die nicht im gemeinschaftlichen Katalog abgebildet sind. So gefielen mir drei großformatige Grafiken (Ende 1940er Jahre) von Max Radler, die sich im Besitz der Ostdeutschen Galerie befinden, auf denen er sich mit der angeblichen Entnazifizierung nach 1945 befasst. Auch spannend: ein 13-minütiger Farbfilm über die GDK 1943, in der ein für mich aufschlussreicher Satz fiel: Die künstlerischen Werke der GDK seien „Dokumente unseres Wesens, um das wir kämpfen“. So hatten eben auch die Blumenstillleben und die weiblichen Akte eine Funktion und waren mehr als Deko. Das wusste ich zwar schon vorher, aber jetzt hab ich ein schönes Zitat.
Wenn ich Zeit und Lust habe, gehe ich Ausstellungen gerne noch einmal in umgekehrter Reihenfolge ab, also nicht in der Richtung, in die mich die Kurator*innen schicken. Beim ersten Durchgang fiel mir wie erwähnt der Zehnkämpfer von Breker in einer Blickachse ins Auge. Wenn man aus der anderen Richtung kommt, kann man ebenfalls schon aus der Entfernung in Raum 3 schauen. Dann sieht man allerdings Ossip Zadkines Torse de la Ville détruite (1951). Auch hier quengelte ich zwar innerlich, dass eine Skulptur von 1951 echt nicht in diese Ausstellung gehört, aber der Kontrast zur anderen Blickachse hat mich wieder versöhnt.
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Literatur zum Blogeintrag:
Kat. Ausst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus. Ruhr-Universität Bochum, Situation Kunst (für Max Imdahl)/Kunsthalle Rostock/Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2016.
Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Erinnerung & Vision. 100 Meisterwerke der Sammlung, Regensburg 2005.
Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Von Chodowiecki bis zur Gegenwart. Eine Auswahl aus der Graphiksammlung, Regensburg 1993.