Tagebuch, Dienstag, 22. August 2017 – To-Do-Liste

Am Montag gönnte ich mir mehrere Stunden im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, um meinen Blogeintrag von gestern fertigzuschreiben, für den ich viel mehr las als ich eigentlich brauchte, aber hey, wenn man schon mal in der Bibliothek sitzt, dann holt man sich eben ein paar Bücher an den Platz. Ich bestellte auch gleich noch ein paar Zeitschriftenbände aus den Rara-Beständen vor, in die ich für die Diss reingucken will.

Am Blogeintrag über die Ausstellung von NS-Kunst in Regensburg habe ich tagelang gesessen, und mir ist beim Schreiben, genau wie beim Schauen, mal wieder aufgefallen, wie herausfordernd die nächsten drei Jahre werden, denn ich bin eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, mich von meinem Forschungsfeld zu distanzieren. Einerseits verteidige ich die NS-Kunst als wichtig genug, um sich wissenschaftlich mit ihr zu befassen, andererseits genieße ich es sehr, im Blog alberne Adjektive zu ihrer Beschreibung nutzen zu können und sie so auf Abstand zu halten.

Ich kann vor keinem Bild, das im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 entstanden ist und dem System genehm war, rumstehen und sagen, jo, finde ich gut, würde ich mir ins Wohnzimmer hängen, wie ich das vermutlich bei jedem anderen Bild aus jeder anderen Zeit tun könnte. Bis jetzt habe ich netterweise noch kein NS-Bild gesehen, bei dem ich diese Anwandlung hatte, aber falls das mal kommt, und ich ahne, dass es irgendwann kommt, werde ich hundertmal aufschreiben müssen: „Du sollst keine NS-Kunst ästhetisch attraktiv finden, denn die ist bäh.“ Das ist, wie gesagt, anstrengend. Ich muss aufpassen, dass meine Neugier auf diese Bilder nicht zu Anerkennung wird. Aber vielleicht überschätze ich die NS-Kunst auch gerade gewaltig. Wie gesagt, bis jetzt war noch nichts dabei, das ich haben wollte, aber ich kenne schon einige Werke, die mich faszinieren konnten.

(Anstrengend.)

Gestern war der Tag des Wegarbeitens von lauter Kleinkram, den ich seit Tagen vor mir herschiebe oder den ich Montag nicht erledigen wollte, wie zum Beispiel den nächsten Schwung Akquisemails. Sich bei Leuten per Mail vorzustellen, mache ich lieber nicht am Montag, wo alle davon genervt sind, dass Montag ist, aber auch nicht Donnerstag oder Freitag, weil da alle von der Woche gestresst sind und schon ans Wochenende denken. Daher habe ich gestern, am schönen Dienstag, mal wieder ein paar Agenturen angeschrieben, Leute auf Xing zu meinen Kontakten hinzugefügt sowie bei einigen Portalen mein Portfolio hochgeladen.

Dann erledigte ich weitere lustige Dinge wie Arzttermine vereinbaren, Mails schreiben, Telefonate führen, Altpapier wegbringen, Wäsche machen, lauter Zeug halt, das sich angesammelt hatte und für das ich am Wochenende ernsthaft eine To-Do-Liste geschrieben hatte, was ich sonst nie tue. Aber es war dann eben doch viel Kleinkram, und seit gestern ist er weg. Ha!

Mittags gab’s Zucchinipuffer mit scharfem Feta. Ich merke immer mehr, dass ich es ganz gerne mag, Zeug wegkochen zu müssen bevor es vergammelt, weil ich mir stets irgendwas Neues überlegen muss, um nicht vom eigenen Essen gelangweilt zu werden. Vielleicht sollte ich doch mal so ein Gemüsekistenabo abschließen. Bisher habe ich mich geweigert, mir meine Nahrung vorschreiben zu lassen, weil mich das so unerträglich an Diätpläne erinnerte. Hm. Ich werde weiter darüber nachdenken. (Puffer waren lecker.)

Über die Kunst und die Technik, und warum letztere manchmal ein Hund ist.

Ines Häufler verzweifelt an QR-Codes – wer nicht –, plädiert aber weiterhin für den Einsatz von digitaler Technik in Museen. (Ich nenne QR-Codes ja gerne die Arschgeweihe der Wandtexte.)

„Mein Handy ist jetzt also um zwei Apps und ich um einige Erfahrungen reicher. Als ich die Ausstellung verlasse, spreche ich den Mann am Ticketschalter an, und erzähle, dass das mit den QR-Codes leider nicht so gut funktioniert. Er ist sehr freundlich und bedankt sich für mein Feedback. Dann zeigt mir der Mann einen kleinen Aufsteller am Eingang, auf dem ein erklärender Satz zur App und der QR-Code dafür draufklebt. Ich versuche, ihn live zu scannen (den Code, nicht den Mann), und es funktioniert auch hier nicht. Weil das Licht von oben entweder spiegelt oder man sich mit dem Handy so einen starken Schatten macht, dass der Code zu wenig Kontrast bekommt und selbst für die Cloudguide-App, die einen QR-Reader eingebaut hat, unlesbar wird. Tja.“

‘The civil war lies on us like a sleeping dragon’: America’s deadly divide – and why it has returned

Der Yale-Historiker David Blight schreibt über den Amerikanischen Bürgerkrieg bzw. die Zeit davor und was wie heute davon lernen können.

„Republics are ever unsteady and at risk, as our first and second founders well understood. Americans love to believe their history is blessed and exceptional, the story of a people with creeds born of the Enlightenment that will govern the worst of human nature and inspire our “better angels” to hold us together. Sometimes they do. But this most diverse nation in the world is still an experiment, and we are once again in a political condition that has made us ask if we are on the verge of some kind of new civil conflict. […]

Where are we now? Are Americans on the verge of some kind of social disintegration, political breakup, or collective nervous breakdown, as the writer Paul Starobin has recently asked? Starobin has written a new book, Madness Rules the Hour: Charleston, 1860, and the Mania for War, in which he revisits the old thesis that the secession moment represented a “crisis of fear” that led tragically to disunion and war. Psychologically and verbally, in the comment sections on the internet, and in talkshow television, we are a society, as Starobin shows, already engaged in a war of words. And it has been thus for a long time. Americans are expressing their hatreds, their deepest prejudices, and their fierce ideologies. It remains to be seen whether we have a deep enough well of tolerance and faith in free speech to endure this “catharsis” we seem to seek.“

A Most American Terrorist: The Making of Dylann Roof

Was auch dabei herauskommt, wenn eine Nation zu viel Hass und Angst in sich trägt. Ein Longread, der sich netterweise nicht nur mit dem Täter, sondern auch seinen Opfern befasst.

„I had come to Charleston intending to write about them, the nine people who were gone. But from gavel to gavel, as I listened to the testimony of the survivors and family members, often the only thing I could focus on, and what would keep me up most nights while I was there, was the magnitude of Dylann Roof’s silence, his refusal to even look up, to ever explain why he did what he had done. Over and over again, without even bothering to open his mouth, Roof reminded us that he did not have to answer to anyone. He did not have to dignify our questions with a response or explain anything at all to the people whose relatives he had maimed and murdered. Roof was safeguarded by his knowledge that white American terrorism is never waterboarded for answers, it is never twisted out for meaning, we never identify its “handlers,” and we could not force him to do a thing. He remained inscrutable. He remained in control, just the way he wanted to be.

And so, after weeks in the courtroom, and shortly before Dylann Roof was asked to stand and listen to his sentence, I decided that if he would not tell us his story, then I would. […]

Dylann Roof was educated in a state whose educational standards from 2011 are full of lesson plans that focus on what Casey Quinlan, a policy reporter, said was “the viewpoint of slave owners” and highlight “the economic necessity of slave labor.” A state that flew the Confederate flag until a black woman named Bree Newsome climbed the flagpole and pulled it down. A place that still has a bronze statue of Benjamin Tillman standing at its statehouse in Columbia. Tillman was a local politician who condoned “terrorizing the Negroes at the first opportunity by letting them provoke trouble and then having the whites demonstrate their superiority by killing as many of them as was justifiable…to rescue South Carolina from the rule of the alien, the traitor, and the semi-barbarous negroes.”

Roof is what happens when we prefer vast historical erasures to real education about race. The rise of groups like Trump’s Republican Party, with its overtures to the alt-right, has emboldened men like Dylann Roof to come out of their slumber and loudly, violently out themselves. But in South Carolina, those men never disappeared, were there always, waiting. It is possible that Dylann Roof is not an outlier at all, then, but rather emblematic of an approaching storm.“