I am Charlotte Simmons
Ich halte The Bonfire of the Vanities ja immer noch für einen der besten Romane, den ich je gelesen habe. Ich liebe Tom Wolfes Fabulierkunst, seine Verliebtheit in seine Worte, die aber nie umschwenkt in blöde Geschwätzigkeit, sondern die, jedenfalls bei seinen alten Werken, stets eine penible, unterhaltsame und umfassende Beschreibung der Situation, der Personen und der Geschichte liefert. Bei seinem neuesten Werk I am Charlotte Simmons hat diese Schreibfreude ein wenig nachgelassen und ist ersetzt worden durch etwas sehr Unangenehmes: dem rationalen Nachhecheln eines Sujets, das man emotional nicht mehr begreifen kann, weil man als Autor schlichtweg zu alt und damit zu verständnislos geworden ist. Und deswegen lesen sich fast alle Beschreibungen sehr altbacken und langweilig. Und deswegen ist fast das gesamte Buch leider für die Tonne.
I am Charlotte Simmons erzählt die Geschichte einer begabten College-Anfängerin (die Titelheldin), die ihre ersten Erfahrungen mit dem großen, wahren und manchmal bösen Leben macht: Sie geht auf eines der besten Colleges der USA und glaubt an die Lehre, an das Wissen und dass alle ihre Mitschüler genau das gleiche hehre Ziel haben wie sie: noch mehr zu lernen. Stattdessen entpuppt sich das (fiktive) College als der klischee- und sexbeladene Ort, wie wir ihn aus MTV Spring Break und einer Menge schlechter Filme kennen, und Charlotte muss lernen, mit ihren ganzen idiotischen Mitmenschen klarzukommen: mit Basketballspielern mit einem IQ von nicht-mehr-messbar, mit nerdigen Schülerzeitungsredakteuren, die die große Story wittern, mit großkotzigen frat boys, zickigen Paris Hilton-Imitatorinnen und ihren eigenen Hinterwäldler-Eltern, die sie noch nie als solche gesehen hat, die ihr jetzt aber plötzlich peinlich werden.
Die gesamten Charaktere lesen sich schon wie aus dem Vorurteils-Bilderbuch, und die Story ist leider auch nicht viel besser. Mag ja sein, dass das College-Leben wirklich ein einziges Trinkfest ist, aber genau deshalb fand ich die anfängliche Exposition von Charlotte so spannend: Sie erscheint nämlich zuerst zutiefst angewidert von diesem ganzen pubertären, angeblich so wichtigen Erfahrungssammelquatsch und besinnt sich auf ihre Stärken: ihr Wissen und ihren Anstand (ja, das Wort passt). Aber leider fängt sie dann doch irgendwann an, sich für die „richtigen“ Klamotten zu interessieren und wie man am besten in die coolen Cliquen reinkommen kann und mutiert so zu einem typischen College-Klon, der mich persönlich absolut nicht mehr interessiert hat. Das ändert sich zwar irgendwann wieder, als sie entsetzt feststellt, dass sie nicht zu den Coolen gehört, sondern stattdessen ihre Jungfräulichkeit mal eben einem Idioten nachgeworfen hat, dementsprechend in eine tiefe Depression fällt (weil sie sich plötzlich so „dreckig“ fühlt – how old-fashioned can you get?) und sich erst sehr spät wieder auf ihre Stärken besinnt, aber da war mir die Kleine schon komplett unsympathisch geworden. Und die Geschichte, die sich um sie herum entfaltet, hat ihren Namen auch nicht wirklich verdient: Jeder Handlungsstrang beruht auf banalen Charakteren, und so bleibt auch die Handlung logischerweise banal.
Vielleicht hätte mir I am Charlotte Simmons trotzdem gefallen, auch wenn mich die Story nicht umgehauen hat. Schließlich kann Herr Wolfe doch großartig beschreiben. Kann er sicherlich, aber anscheinend nur, was er kennt. Zur Recherche für dieses Buch hat Wolfe sich monatelang von Campus zu Campus gehangelt, um die Redeweise der Kids richtig hinzukriegen, auf welche Musik sie stehen, auf welche Klamotten usw. Das hat er anscheinend penibel aufgeschrieben, denn so leblos und pflichtbewusst hören sich seine Beschreibungen an. Mal abgesehen davon, dass es mehr Jeans-Marken als Diesel gibt und sicherlich nicht aus jedem dorm room Rap-Musik schallt – das ganze Buch klingt so, als ob ein 70jähriger versucht, etwas für 20jährige zu schreiben. Sehr her, ich hab euch zugehört, so sprecht ihr doch, oder? Nee, leider nicht. Drei Zeilen Synonyme für das Wort fuck aufzuzählen, um zu beweisen, wie gut man mitgeschrieben hat oder fiktive Rap-Songs zu texten, die in ihrer Peinlichkeit selbst die Wirklichkeit überbieten, überzeugt mich persönlich nicht davon, dass Wolfe verstanden hat, worum es geht. Alles klingt, als ob er sich es selbst nochmal erklären hätte müssen, bevor er es aufgeschrieben hat.
Die wenigen Male, in denen das Buch mir gefallen hat, waren die Stellen, an denen Wolfe ältere Menschen beschreibt, Menschen, deren Handlungen und Lebensentwürfe er anscheinend nachvollziehen kann. Wenn er zum Beispiel den Präsidenten der Uni und einen Lehrer biografisch vergleicht, dann kommt die alte, Wolfe’sche Präzision wieder durch, dann klingen die Worte wieder richtig und nicht anbiedernd. Wenn er fassungslos die Vorzugsbehandlung von dummen Athleten an Colleges beschreibt, dann machen seine Sätze Sinn und sind nicht nur blödes Geschwafel. Leider gibt es zu wenige dieser gelungenen Passagen in I am Charlotte Simmons, und so habe ich nach 200 Seiten, in denen ich noch Hoffnung auf ein großes Buch hatte, die restlichen 500 nur noch pflichtbewusst durchgelesen. Schade drum. Fing wirklich gut an.
Can recommend Bret Easton Ellis’ ‘Rules of Attraction’ if you are interested in American college life, written by a young American novelist. Don’t get distracted by the profanity, it’s really quite readable…
Ole am 16. February 2005
Och jo, “Rules” war nett. Da passte auch Sprache und Stimmung zusammen.
Anke am 16. February 2005
Zählt ‘A Man In Full’ noch zu den alten Werken? Da empfand ich jedenfalls Sprache und Story noch gewaltig.
Michael Schmidt am 16. February 2005
Ich hatte mich eher auf „Bonfire“ und „The Right Stuff“ bezogen. „A Man in Full“ habe ich leider nicht gelesen.
Anke am 16. February 2005
“A Man in Full” – don’t do it.
Picking you nose is more fun and vastly more rewarding.
iko-chan am 16. February 2005