Bücher Mai 2010
Shelby Foote – The Civil War: A Narrative. Vol 1: Fort Sumter to Perryville
Ein Klassiker der Civil-War-Literatur, allerdings nicht unbedingt ein Buch für Einsteiger. The Civil War setzt einiges an Wissen voraus, zum Beispiel wie es überhaupt zur Spaltung der Vereinigten Staaten kommen konnte, wie die Situation der USA war, was die Ausbreitung nach Westen anging usw. Das Buch steigt mit kurzen Biografien der beiden Präsidenten Davis und Lincoln ein (interessanterweise kommt Davis zuerst dran) und leitet dann direkt über in die Tage vor Kriegsausbruch, bevor das Buch den Leser bzw. die Leserin von einer Schlacht zur nächsten führt.
The Civil War erzählt einem sehr wenig über die politischen Hintergründe, sondern beschränkt sich fast ausschließlich auf das Nacherzählen der Kampfhandlungen und mal mehr und mal weniger ausführlichen Beschreibungen der Soldaten und Anführer. Das ganze erschlägt einen ziemlich in seiner Masse; man hat nie Zeit, eine Schlacht zu verdauen, weil an einem anderen Ort der USA bzw. der Konföderation auch gekämpft wird. Man hastet von Schauplatz zu Schauplatz, erlebt dort eine Schlacht in ihrer epischen Breite und springt dann zur nächsten. Das ist anfangs ziemlich unwiderstehlich; Foote klingt wie ein Mittelding zwischen Roman und Sachbuch, und seine Beschreibungen der Menschen und Umstände werden oft unterbrochen mit überlieferten Aussprüchen oder Zitaten aus Briefen, Befehlen oder Zeitungen, was es sehr anschaulich macht. Auf die Dauer ermüdet es allerdings doch ein bisschen, so gar keine Umstände um die Schlachten herum beschrieben zu bekommen. Zwischen dem ganzen Nachladen bzw. Kanonengeballere hätte ich mir ein bisschen mehr Hintergrund gewünscht – und wenn es nur zum Atemholen ist.
Das Buch liest sich nicht mal so eben weg; sein Sujet ist nicht unbedingt was für die entspannende Abendlektüre. Deswegen lege ich eine kleine Pause ein, bevor ich mich an den zweiten und dritten Band mache. Denn obwohl es ein eher angestrengtes Lesen ist, belohnt es durch die Präsizion der Beschreibungen ungemein und vermittelt ein sehr gutes Bild der militärischen Strategen, die sich gegenüberstanden.
Leseprobe aus der Schlacht von Shiloh (Links sind natürlich von mir eingefügt):
“When Sherman and McClernand gave way, taking up successive rearward positions, the Confederate left outstripped the right, which was stalled in front of the Hornets Nest, and thus presented Johnston with the reverse of what he wanted. He rode toward the far right to correct this, carrying in his right hand a small tin cup which he had picked up in a captured camp. (…)
At this end of the battle line, on the far flank of the Hornets Nest, there was a ten-acre peach orchard in full bloom. Hurlbut had a heavy line of infantry posted among the trees, supported by guns whose smoke lazed and swirled up through the branches sheathed in pink, and a bright rain of petals fell fluttering like confetti in the sunlight as bullets clipped the blossoms overhead. Arriving just after one of Breckinridge‘s brigades had recoiled from a charge against the orchard, Johnston saw that the officers were having trouble getting the troops in line to go forward again. “Men! they are stubborn; we must use the bayonet,” he told them. To emphasize his meaning he rode among them and touched the points of their bayonets with the tin cup. “These must do the work,” he said. When the line had formed, the soldiers were still hesitant to re-enter the smoky uproar. So Johnston did what he had been doing all that morning, all along the line of battle. Riding front and center, he stood in the stirrups, removed his hat, and called back over his shoulder: “I will lead you!” As he touched his spurs to the flanks of his horse, the men surged forward, charging with him into the sheet of flame which blazed to meet them there among the blossoms letting fall their bright pink rain.”
James McPherson – The Atlas of the Civil War
Sehr schönes, großformatiges Begleitbuch. Auch hier gilt: Ohne Vorwissen macht das Ding keinen Spaß, aber wenn man so halbwegs weiß, wie es zum Krieg gekommen ist und worum’s geht, ist der Atlas eine sehr gute Ergänzung. So ziemlich jede größere Schlacht wird auf einer bis zwei Doppelseiten beschrieben, die jeweiligen Generäle bzw. Anführer werden kurz biografiert, der Ablauf der Schlacht wird beschrieben und mehrere Karten bzw. Diagramme verdeutlichen den Schlachtverlauf aus mehreren Perspektiven bzw. zeigen verschiedene Zeitpunkte des Kampfs oder Truppenbewegungen.
Linda Bacon – Health at every Size: The Surprising Truth About Your Weight
Linda Bacon ist unter anderem Ernährungswissenschaftlerin und Psychologin (wenn ich ihren Lebenslauf richtig übersetze) und räumt in ihrem Buch mit ein paar grundlegenden Irrtümern über Gewicht, Diäten und dem ganzen Rotz, der dranhängt, auf. Und das auf sehr lesbare und motivierende Art und Weise. Das Anliegen von Health at every Size (HAES), inzwischen eher eine Bewegung als ein Buch, ist es, Verständnis für dicke Menschen aufzubauen und deutlich zu machen, dass auch ein dicker Körper ein gesunder sein kann (genau wie ein schlanker Körper krank sein kann). Außerdem will HAES wieder ein positives Körpergefühl etablieren, ohne Selbsthass und Essstörungen.
Dazu widerlegt Bacon Allgemeinplätze wie „Dünne Menschen leben länger“, „Abnehmen ist gesund“ und „Wer abnehmen will, der schafft das auch“. Dass der letzte Punkt kompletter Müll ist, sollte eigentlich jeder wissen, der sich mal in einer Fußgängerzone umguckt: Wenn es so einfach wäre, abzunehmen und schlank zu bleiben, würde es keine dicken Menschen mehr geben. Vor allem, weil es der Rest der Welt uns Dicken nicht unbedingt leicht macht, dick und zufrieden mit sich zu sein. Auch die immer wieder beschwörend erwähnte Epidemie der Dicken ist Schrott (ich habe mir beim Zitieren die vielen Fußnoten, die die genannten Zahlen und Daten belegen, gespart):
“More than 400,000 Americans die of overweight and obesity every year, so many that it may soon surpass smoking as the leading cause of preventable death. At least that’s what the Centers for Disease Control (CDC) told us in the prestigious Journal of the American Medical Association (JAMA). Their report grabbed headlines, helped along by dramatic, well-distributed press releases from the CDC and JAMA, and resulted in tens of thousands of citations in the popular press and thousands more in scientific journals.
But an updated federal report acknowledged that the analysis suffered from computational errors. Using better methodology and newer data, CDC epidemiologists reduced the estimate fifteen-fold, determining that obesity and overweight are only associated with an excess of 26,000 annual deaths, far fewer than guns, alcohol, or car crashes. (…)
Yes, there has been a moderate increase in weight since the last generation, but the average person is only about six to eleven pounds heavier. This is hardly epidemic proportions. Instead, it’s equivalent to eating an extra serving of French fries every month or walking a few minutes a day – hardly convincing evidence that we’re all slothful gluttons.
The CDC did a slick job of presenting this collective weight gain. Instead of noting the small increase in weight, they dramatized it by showing the percentage increase in the number of people labeled overweight and obese. Weight among populations always resembles a bell curve. Since the overweight category coincided with our average weight (the height of the bell curve), just a few pounds’ difference pushed a large number of people over the edge from “normal” to “overweight”. That the overweight category is meaningless as a health risk predictor reinforces the uselessness of this information.
Sure, we’re moderately fatter that we used to be, but life expectancy has also increased dramatically during the same time period in which our weight rose (from 70.8 years in 1970 to 77.8 years in 2004). Meanwhile, heart disease rates have plummeted and many common diseases emerge at older ages and are less severe. We are simply not seeing the catastrophic consequences predicted to result from the “obesity epidemic”.”
Das Buch ist aber keine faule (haha) Ausrede, jetzt einfach weiter kiloweise Donuts zu futtern (was übrigens auch dünne Menschen tun, aber das macht jetzt ein anderes Fass auf). Ganz im Gegenteil: HAES gibt Hilfestellungen für ein neues Körpergefühl: sich besser ernähren, sich aber nichts versagen. Sich mehr zu bewegen, es aber nicht als work-out (der Begriff allein schon!) anzusehen oder als Strafe für die Donuts, sondern als Freude an der Bewegung. HAES ruft zur Toleranz auf, erwartet aber auch, dass wir Dicke etwas für uns tun. Nämlich etwas Gutes.
Hört sich jetzt vielleicht etwas verquast an, aber ich kann aus eigener Food-Coaching-Erfahrung berichten: Sobald man Salat nicht mehr als etwas wahrnimmt, das man nur isst, weil es eben wenig Kalorien hat, schmeckt es auf einmal. Ich kann es selbst kaum glauben, aber jetzt, wo ich auf mich achte, meinen Körper würdige und was er für mich tut und ich ihn deshalb gerne mit gutem Futter versorge, sind Salat und Gemüse tolle Lebensmittel, auf die ich mich freue: auf ihr Aussehen, ihre Vielfalt, ihren einzigartigen Geschmack. Dass sie auch noch gesund sind bzw. eben wenig bis gar kein Fett haben, ist mir egal. Es schmeckt und ich fühle mich gut dabei. Genau das will das Buch erreichen. Ich war da schon vorher, aber ich kann es jedem ans Herz legen, der endlich Frieden mit seinem Körper und seinen Kilos schließen will. Und der ein paar Zahlen und Studien braucht, um den Schwätzern Kontra geben zu können, die immer noch verbreiten, dass wir alle wahnsinnig fett sind und quasi morgen daran sterben werden.
(Leseprobe bei amazon.de)
Kate Harding, Marianne Kirby – Lessons from the Fat-o-sphere: Quit dieting and declare a truce with your body
Eine nette Ergänzung zu HAES, weitaus weniger wissenschaftlich geschrieben mit weitaus weniger Quellenangaben, aber dafür viel persönlicher. Eben wie die beiden Blogs der Verfasserinnen (Shapely Prose, The Rotund), die sich seit Jahren mit Fat Acceptance befassen. Das Buch verstärkt dann auch den Eindruck, den ich durch die verschiedenen Blogs der Fatosphere gewonnen habe – ganz simpel ausgedrückt: Du bist nicht allein. Du bist nicht alleine in deiner Angst zum Arzt zu gehen, weil du weißt, dass der erste Spruch in Richtung dicker Hintern geht und nicht in Richtung „Was tut denn weh“. Was ja eigentlich der Job des Arztes oder der Ärztin ist. Das Buch ist leider schon vor dem Erscheinen dieses NYT-Artikels gedruckt worden, den ich schon mal verlinkt hatte. Er beschreibt, wie die Scham, der Dicke heutzutage ausgesetzt sind, genau zu den Krankheitsbildern führt, die gerne dem Dicksein zugeschrieben werden:
“Public attitudes about fat have never been more judgmental; stigmatizing fat people has become not just acceptable but, in some circles, de rigueur. I’ve sat in meetings with colleagues who wouldn’t dream of disparaging anyone’s color, sex, economic status or general attractiveness, yet feel free to comment witheringly on a person’s weight. (…)
Some of the most blatant fat discrimination comes from medical professionals. Rebecca Puhl, a clinical psychologist and director of research at the Rudd Center for Food Policy and Obesity at Yale, has been studying the stigma of obesity for more than a decade. More than half of the 620 primary care doctors questioned for one study described obese patients as “awkward, unattractive, ugly, and unlikely to comply with treatment.” (This last is significant, because doctors who think patients won’t follow their instructions treat and prescribe for them differently.)
Dr. Puhl said she was especially disturbed at how openly the doctors expressed their biases. “If I was trying to study gender or racial bias, I couldn’t use the assessment tools I’m using, because people wouldn’t be truthful,” she said. “They’d want to be more politically correct.”
Despite the abundance of research showing that most people are unable to make significant long-term changes in their weight, it’s clear that doctors tend to view obesity as a matter of personal responsibility. Perhaps they see shame and stigma as a health care strategy.
If so, is it working? Not very well. Many fat people sidestep such judgments by simply avoiding doctor visits, whether for routine checkups, preventive screenings or urgent health problems.
Indeed, Dr. Peter A. Muennig, an assistant professor of health policy at Columbia, says stigma can do more than keep fat people from the doctor: it can actually make them sick. “Stigma and prejudice are intensely stressful,” he explained. “Stress puts the body on full alert, which gets the blood pressure up, the sugar up, everything you need to fight or flee the predator.”
Over time, such chronic stress can lead to high blood pressure, diabetes and other medical ills, many of them (surprise!) associated with obesity. In studies, Dr. Muennig has found that women who say they feel they are too heavy suffer more mental and physical illness than women who say they feel fine about their size — no matter what they weigh.”
Das Buch befasst sich aber netterweise nur recht kurz mit dem Stigma des Dickseins, sondern ausführlicher mit Methoden, damit umzugehen. Zum Beispiel: Nicht jeder, der in deine Richtung guckt, findet dich scheiße. (Meine Lieblingsphobie.) Oder: Kümmere dich um dich, steh zu dir, sorg gut für dich. Gewöhn dir deinen Selbsthass ab, obwohl das nicht einfach ist, denn in unserer Gesellschaft wird uns von Politiker_innen und der Diätindustrie dauernd erzählt, dass wir uns hassen sollten, denn wir sind ja nicht so, wie es der Norm entspricht. Wer auch immer die festgelegt hat. Und (daran arbeite ich ebenfalls seit einiger Zeit:) Wenn du erwartest, dass dünne Menschen dich respektieren, respektier sie auch. Da ich in letzter Zeit keine Filmkritik mehr geschrieben habe, hatte ich noch keine Gelegenheit, meine üblichen Kommentare zu Hollywood-Blockbuster-Schauspielerinnen à la „Kann mal wer die Dame füttern“ sein zu lassen, gelobe aber hiermit Besserung. (Obwohl ich immer noch glaube, Hollywood setzt unerreichbare Maßstäbe.)
Lessons from the Fat-o-sphere ist eine gelungene und gut lesbare „Zusammenfassung“ der vielen, vielen Blogbeiträge und Kommentare der Fatosphäre. Wer keine Lust hat, sich durch die diversen FAQ-Seiten der jeweiligen Blogs zu wühlen, dem kann ich dieses Buch sehr empfehlen. Für Dicke, weil man sich nach jeder Seite besser fühlt. Und für Schlanke, die vielleicht gar nicht wissen, was wir so alles in unseren üppigen Seelen mit uns rumtragen.
Und nebenbei fand ich es sehr sympathisch, dass die beiden Verfasserinnen nie von der Adipositas-Epidemie schreiben, sondern immer von der OBESITY EPIDEMIC BOOGA BOOGA BOOGA.
Mike Mignola/Duncan Fegredo – Hellboy: The Wild Hunt
Mignola als Autor, aber leider nicht als Zeichner. Aber: Der Herr Fegredo macht seine Sache nach Darkness Calls wieder sehr gut, genau wie Dave Stewart wieder tief in meine geliebte Farbpalette gegriffen hat. Wenn Hellboy sich nicht auch durch den schönen Kontrast „Alte, weitschweifige Sagen – wortkarge, kauzige Hauptperson“ auszeichnen würde, wäre ich mit den Werken auch als reine Bilderbücher sehr glücklich.
Die Geschichte nimmt alte Handlungsfäden wieder auf bzw. bezieht sich auf Dinge, die in Hellboys Vergangenheit passiert sind. Diesmal darf mein Liebling sich mit Hexen rumschlagen und Riesen und den üblichen Fabelwesen. Aber: Die Raufereien waren deutlich weniger als in den bisherigen Bänden, was mir sehr gefallen hat. Die Konzentration liegt eindeutig auf der Geschichte und weniger auf den Kloppereien, weswegen The Wild Hunt in meiner persönlichen Geschmacksliste gleichauf liegt mit dem fantastischen Strange Places. Großer Wurf.
(Leseprobe bei amazon.de)
Régis Loisel/Jean-Louis Tripp (Martin Budde, Übers.) – Das Nest: Marie
Das Nest spielt in Quebec in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts und beginnt mit dem Tod von Maries Mann, dem Besitzer des kleinen und einzigen Ladens in Notre-Dame am See. Im Laufe der viel zu wenigen Seiten lernen wir Marie besser kennen und viele weitere Dorfbewohner. Das Buch hat keine richtige Geschichte, sondern ist eher eine Ansammlung von Ereignissen. Aber es schafft einen sehr stimmigen Eindruck vom Leben auf dem Land und der einzigartigen Dynamik innerhalb einer kleinen Dorfgemeinschaft, wo jeder jeden kennt und alle alles über einen wissen. Mir hat Das Nest sehr gut gefallen, ich mochte die behutsame und dann teilweise sehr krachledernde Erzählweise genau wie die wunderbare, gefühlvolle Koloration von François Lapierre. Und natürlich, weil es eine weibliche Hauptfigur gibt, die mit realen Problemen klarkommen muss anstatt mit Helden in engen Fantasieanzügen.
Aus der Serie (im Original Magasin Général) sind auf Deutsch bisher drei weitere Bände erschienen, auf Französisch vier; der bisher letzte Band stand auf der Auswahlliste des Internationalen Comicfestival von Angoulême.