Mein Weihnachtsgeschenk
Meine Gesangslehrerin wohnt in der Nähe einer kleinen Galerie, an der ich früher so gut wie jede Woche vorbeigelaufen bin, denn meine Lieblingsvideothek, die inzwischen leider geschlossen hat, ist ebenfalls um die Ecke. Im Schaufenster der Galerie stehen meist maritime Motive, gerne auch was mit Wald und Wiesen und Blumenvasen. Kurz: nichts, was mich jemals länger gefesselt hätte. Bis vor einigen Wochen, als mich abends das Porträt einer jungen Dame anblickte. Und ich tat etwas, was ich dort noch nie getan hatte: Ich blieb stehen und schaute mir ein Bild minutenlang an. Wie im Museum, nur eben an einem dunklen Donnerstagabend im Regen. Ich erfreute mich an der Farbe des Kleids, dem freundlichen Gesichtsausdruck der Dame und der allgemeinen Stimmung, die ich als sehr beruhigend empfand. Dann löste ich mich, dachte, schönes Bild, und ging nach Hause.
Eine Woche später passierte das gleiche. Ich freute mich darüber, dass die Dame noch im Schaufenster stand, guckte sie an, war wie immer nach dem Singen recht beseelt und empfand ihren Anblick als gelungenen Abschluss des Tages.
So ging es mehrere Wochen, bis ich krank wurde und den Unterricht ausfallen lassen musste. Als ich letzte Woche endlich wieder an der Galerie vorbeikam, war die Dame nicht mehr da. Und erst da fiel mir auf, wie sehr ich mich schon an sie gewöhnt hatte, obwohl ich sie nur einmal die Woche gesehen hatte. Durchs Schaufenster sah ich sie hinten im Laden stehen – und dachte zum ersten Mal, Anke, du Nase, wenn du das Bild so gerne magst, dann kauf es gefälligst.
Erstmal ließ ich mich von Twitter überreden, mich überhaupt in den Laden zu trauen und fragte zusätzlich wissende Menschen, mit was ich preislich denn so zu rechnen hätte. Die Auskünfte beruhigten mich immerhin (ich muss keinen Kredit aufnehmen), aber der Verkaufspreis war dann doch höher als der, den ich für einige meiner Autos bezahlt hatte (das waren aber auch meist gebrauchte italienische Kleinwagen). War aber eigentlich egal, denn sobald ich meinen Fuß in die Galerie gesetzt hatte, war klar, dass ich ohne die Dame nicht wieder gehen würde. Beziehungsweise ohne einen Handschlag, dass sie jetzt mir gehörte. So war’s dann auch, und eben kam der Galerist vorbei und lieferte mir mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.
(Vorsicht, doofe Perspektive, weil das Bild noch auf dem Sofa steht anstatt an der Wand zu hängen – und doofes Foto, weil es schon wieder zu diesig ist für die Digiknipse.)
Das Bild ist circa 1m x 1,50 groß, vermutlich um 1850 gemalt worden, zeigt eine hanseatische Kaufmannstocher, und der Maler (oder die Malerin) ist unbekannt. Es ist unsigniert. Die Farben sind weniger grell als sie auf dem Foto aussehen; das Kleid ist plüschigburgundig, der Himmel hamburgisch graublau. Im Hintergrund sieht man Blankenese und die Elbe.
Ich kann mich der Dame nicht entziehen, ich habe keine Ahnung, warum sie mir so gut gefällt. Ist aber völlig egal. Reicht ja, dass sie mir gefällt.
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Edit, 18.12.: Inzwischen kommen per Mail schöne Tipps und Hinweise, von wann und vom wem das Bild sein könnte und was die Details bedeuten. Ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt keine Ahnung, deswegen lasse ich die obige Deutung mal stehen und warte, was noch aufläuft. Und demnächst quengele ich vermutlich irgendjemand in der Hamburger Kunsthalle voll, dass ich Hilfe brauche, um auf Luises Spur zu kommen. (Ja, ich habe die Dame Luise getauft.)