#12von12 im Mai 2016

Die anderen 12von12er gibt’s wie immer bei Caro.

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Eigentlich soll der Wecker um 6.30 Uhr klingeln, aber dazu kommt der nervige Racker nicht, denn ich bin schon vorher wach. Das liegt vermutlich an meiner Aufregung, denn heute ist: Exkursionstag, wo-hoo!

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Mein übliches Frühstücksbild mit Cappuccino und Grapefruitsaft müsst ihr euch heute denken. Als total tolle Alternative hätte ich meine frisch gepackte Lunchbox im Angebot, denn nach den ersten zwei Häusern, die wir uns in Rosenheim anschauen, gibt es laut Plan eine Mittagspause. Ich bin vorbereitet.

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Bloggen muss natürlich auch sein.

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Um 8.44 verlässt unser Züglein den Münchner Hauptbahnhof und der Dozent verteilt analoges Infomaterial. Netterweise verteilt er auch Stadtpläne, auf die natürlich niemand gucken wird, weil wir alle Smartphones mit Google Maps haben. Aber die brauchen wir eh nicht, weil wir ihm zunächst bräsig hinterherlaufen, als es vom Rosenheimer Bahnhof zum Stadtarchiv geht.

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Ich hätte gerne das ganze Gebäude fotografiert, aber es stehen knapp 20 charmante Kommiliton*innen davor, und ich war mir nicht sicher, ob die Damen und der eine Herr das geschätzt hätten, wenn ich sie verinstagramt hätte. Also gibt’s nur diesen doofen Ausschnitt. Ãœber dem Eingang steht übrigens „Zeugen der Vergangenheit / Quellen der Zukunft“, was ganz hübsch klingt, aber wenn man sich überlegt, dass das Gebäude 1937 eröffnet wurde, kriegt es einen komischen Unterton.

Das Gebäude ist winzig und gehört zum Komplex der Städtischen Galerie, das stilistisch sehr ähnlich ist, wobei die Galerie (Bauzeit 1935–37) sich am Haus der (Deutschen) Kunst in München orientiert. Das wird beim nächsten Bild sehr klar: Die neoklassizistische Säulenfront sieht dem großen Vorbild sehr ähnlich, wirkt aber total putzig statt mächtig. Der Stein ist übrigens Nagelfluh, ein sehr grobporiges Gestein, das typisch für das Voralpenland ist. Ich mag lokale Bezüge.

Nochmal zum Archiv: Das Rosenheimer Stadtarchiv hat seine Bestände schon digitalisiert und online durchsuchbar gemacht, als der Rest von Bayern noch mit Abakussen arbeitete. (So ungefähr jedenfalls.) Ich bin zuhause auch fündig geworden, komme aber natürlich nicht dazu, mir die Bestände anzuschauen. Aber immerhin kenne ich für den nächsten Besuch schon den Weg vom Bahnhof zum Archiv.

Im Archiv werden wir von einer Bibliothekarin herumgeführt und dürfen auch in die Räume, in die das Publikum sonst nicht darf. Wir schauen uns Entwurfspläne für die Städtische Galerie von German Bestelmayer an und ich will sie alle mitnehmen. (So pretty!) Im Keller lernen wir, dass es feuer- und wasserfeste Archivkartons gibt und bewundern die Gründungsurkunde der Stadt Rosenheim. Mit Urkunden kriegt man mich seit zwei Geschichtskursen, in denen wir Urkunden lesen gelernt haben, ja immer.

Ich darf nicht fotografieren.

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Das ist die Städtische Galerie (Nagelfluh!), in der offensichtlich gerade eine Andy-Warhol-Ausstellung läuft. Das Gebäude ist von innen ähnlich symmetrisch aufgebaut wie das Haus der Kunst und hat auch die gleichen schönen Oberlichter. Im Haus der Kunst habe ich mir bei der Gebäudebegehung fieserweise die Begriffe Blutwurstmarmor und Schlenderfliese gemerkt, aber ich finde beides leider nicht in der Galerie wieder. Wobei das kleine Häuschen auch einen Bombentreffer hinter sich hat und daher eh nicht mehr ganz so aussieht wie 1937.

Wir sind in Rosenheim, weil wir über eine Ausstellung vor Ort nachdenken. Damit wir ein Gefühl dafür bekommen, was überhaupt alles so da ist, gehen wir nach dem kurzen Gebäuderundgang ins Depot, das sich im Keller befindet. Die Museumsleiterin führt uns rum, eine freie Kunsthistorikerin und eine Dame, die sich anscheinend top mit der hauseigenen Datenbank auskennt, begleiten uns.

Das Depot ist beim Tag der offenen Tür auch für das Publikum zugänglich, was ich ziemlich klasse finde. Nach dem Vorraum, in dem sich hauptsächlich große Grafikschränke befinden – das sind diese tiefen Klötze mit ganz flachen Schubladen, in die man Papiere legen kann –, kommt das eigentliche Depot, wo ich mich mit leuchtenden Augen wie eine Kunsthistorikerin fühlen darf.

Auf diversen Schienen laufen Gitterwände, an denen ein Bild neben dem anderen hängt, alle gerahmt. Und, ta-daa: Ganz vorne hängen vier Bilder von Leo von Welden. Das ist das erste Mal, dass ich Werke von ihm vor Augen habe und nicht nur im Katalog. Ich habe den Benjamin’schen Kram von der Aura des Originals leider sehr verinnerlicht, und so bin ich ein winziges bisschen ergriffen, obwohl ich die Bilder immer noch nicht so recht mag.

Um uns herum hängen diverse Bilder von Malern, die zu den meistverkauften der Großen Deutschen Kunstausstellung gehören, zum Beispiel Hans Müller-Schnuttenbach. Ich muss gestehen, dass mir seine Bilder irgendwie gefallen. Außerdem hängt an einer Wand ein Leibl, der allerdings nicht zu seinen besten Werken gehört, meint jedenfalls die begleitende Kunsthistorikerin. Stimmt leider, aber es ist ein Leibl und ich mag Leibl.

Ich darf nicht fotografieren.

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Bevor wir ins Städtische Museum gehen, gibt’s eine kurze Mittagspause. Ein uns begleitender ortskundiger Doktorand meint auf dem Max-Josephs-Platz: „Zu den Fischbrötchen geht’s da links, zur Leberkassemmel geradeaus, und einen guten Kaffee gibt’s hier.“ Ich entscheide mich für Kaffee.

Endlich habe ich Zeit, auf Twitter nachzulesen, was ihr so alle den ganzen Tag macht. Mir wird nahegelegt, über Leo von Welden einen Wikipedia-Eintrag anzulegen, und der Nahelegende macht den Anfang gleich mal selbst. Ich hätte ein paar Sätze anders formuliert, aber bevor das Referat nicht steht (und ich auf der Wikipedia-Spielwiese Editieren geübt habe), mach ich nix. Mir stoßen die Sätze „In der Zeit des Nationalsozialismus schuf Welden partei- und kriegsverherrlichende Gemälde. In der repräsentativen Großen Deutsche Kunstausstellung war er mit mehreren Werken vertreten […]“ allerdings schon auf; soweit ich das bisher beurteilen kann, schuf er auch weiterhin Bilder in seinem üblichen verspielten Naturalismus, zum Beispiel Landschaften und ähnliche Genrebilder.

Die GdK war eine Verkaufsausstellung, wer dort vertreten war, konnte mit einem gewissen finanziellen Erfolg sowie möglichen Folgeaufträgen rechnen. Daher würde ich von Welden unterstellen, bewusst Bilder für die GdK angefertigt zu haben, parteikonform mit Hakenkreuzen und allem, aber trotzdem größtenteils weiterhin Werke produziert zu haben, die nicht ganz so offensichtlich auf GdK-Aufnahme getrimmt waren. Die Bilder, die zwischen 1933 und 1945 entstanden sind, die ich bisher sichten konnte (nur als Abbildung), unterstützen meine These jedenfalls ganz gut. Ich neige inzwischen dazu, ihn als schlicht profitorientierten Künstler einzuschätzen: Er malte das, was sich verkaufte, und das kann ich ihm aus kunsthistorischer Sicht nicht mal vorwerfen. Ob er sich nun durch fünf Bilder mit einem menschenverachtenden System gemein gemacht hat, vermag ich nicht zu sagen.

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Bevor ich im Städtischen Museum auch wieder nicht fotografieren darf und ich nie meine zwölf Bilder vollkriege, knipse ich eine Rose aus Nägeln, die – seit 2005 restauriert – im Mittertor hängt. Für 50 Pfennig konnten Freiwillige 1916 einen Nagel ins Stadtwappen schlagen; der Erlös von 8.000 Mark kam den Familien gefallener Soldaten zugute.

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Im Museum darf ich fotografieren! Aber: Ich komme zu nix, weil wir im Eiltempo durch die Räume schreiten, bevor wir auch hier ins Depot gucken können, wo ich ein ganzes Regal von Pickelhauben bewundere, mit Puscheln und allem. Das Melittabild musste sein, weil ich die Melittakanne so liebe. Die besaß ich mal in Nicht-Kindergröße in zartem Rosa, bis ich sie fallen ließ und sie zersprang, worüber ich bis heute traurig bin.

Der Leiter des Museums und wieder eine Dame, die auf Du und Du mit der Datenbank ist, erzählen uns von Provenienzforschung, Erbschaftsstreitigkeiten – und dass die Putzkraft den besten Überblick über die Sammlung habe. „Die hebt dauernd jedes einzelne Stück an und kümmert sich um die Räume. In den letzten (x) Jahren kam sie genau zweimal in mein Büro, um entsetzt zu berichten, dass etwas fehlt. Das waren zwei Stücke, die ausgeliehen waren bzw. gerade restauriert wurden.“

Der Leiter erzählt uns dann eine Geschichte, die wir auch auf den beiden anderen Führungen gehört hatten, was mich sehr grinsen lässt. Erstens erzählten alle, dass Hermann Göring in Rosenheim geboren wurde („Er war aber kein Rosenheimer! Er ist schon mit drei Monaten hier weggezogen.”) und dass er nicht zur Eröffnung der Städtischen Galerie 1937 kam. Das war ihm angeblich zu piefig in der Provinz.

Um halb fünf stehen wir sehr fußlahm und mit dicken Köpfen wieder am Bahnhof und lassen uns nach Hause chauffieren.

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Auf die Bildunterschrift „Out of Rosenheim“ habe ich mich seit dem Aufstehen gefreut.

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Meine schöne Lunchbox wird mit einer kleinen Erweiterung durch Hummus und Wein zum Abendbrot. Auch die Breze vom Bäcker vor meiner Haustür habe ich sinnlos den ganzen Tag mit mir rumgetragen.

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Feierabend. Füße hoch und Hirn aus. Viel gelernt, sehr zufrieden, sehr beflügelt.