Herbsttagung des Arbeitskreises Provenienzforschung
Am Montag saß ich im Museum Fünf Kontinente und lauschte den halben Tag mit roten Öhrchen überwiegend spannenden Vorträgen. Genauer gesagt, diesen hier. Ich habe kaum mitgeschrieben, weil ich lieber zuhören wollte, aber ein paar Dinge kommen jetzt doch ins Blog.
Gleich der Einführungsvortrag von Hilke Thode-Arora, die seit Kurzem am Museum Fünf Kontinente angestellt ist, beschäftigte mich noch länger. Es ging dabei nicht um das, was ich bisher unter Provenienzforschung verstanden hatte – also hauptsächlich die Beschäftigung mit Kunst- und Kulturgütern, die während der NS-Zeit unrechtmäßig ihre Besitzer wechselten –, sondern um ethnologische Zeugnisse, die vor allem während der Kolonialzeit des Deutschen Reiches in dessen Gebiet gelangten. Thode-Arora beschrieb unter anderem, wie genau diese Raubzüge vor sich gingen; einmal die mit militärischer Gewalt, dann gab es aber auch den sogenannten „Stillen Tausch“, wo sich Einwohner der angegriffenen Gebiete aus ihren Dörfern zurückzogen, die Seefahrer von dort Dinge mitnahmen, die ihnen wertvoll erschienen, aber im Gegenzug etwas zurückließen, meist Naturalien. Dass das genauso unrechtmäßig war, sollte man nicht betonen müssen.
Die Vortragende erwähnte aber auch, dass die Ureinwohner der betreffenden Gebiete (ich habe mir leider nicht gemerkt, welche genau) schon recht früh anfingen, sich auf schatzsuchende Europäer einzustellen. Ein Forscher hielt sich jahrelang bei einem Stamm in Polynesien auf, arbeitete und lebte mit ihm und ging mit ihm fischen. Als er in europäischen ethnologischen Museen angeblich polynesische Angelhaken sah, konnte er berichten, dass die vermutlich nie benutzt worden waren, weil sie schlicht unpraktisch waren. Sie waren wahrscheinlich eher direkt zum Verkauf oder Tausch produziert worden, hatten aber nie Wasser gesehen.
Ich lernte das Wort „Repatriierung“, das verwendet wird, wenn es darum geht, unrechtmäßig erworbene Dinge zurückzugeben; bei NS-Raubgut sprechen wir von „Restituierung“. Manche Dinge sollen aber gar nicht wieder repatriiert werden. Thode-Arora zeigte Bilder von Samoanern, die europäische Museen besuchten und noch nicht einmal verlangten, dass die Glasvitrinen geöffnet wurden, in denen ihre Objekte lagen, um diese nicht zu stören. Ein Zitat, das ich brav von der Folie abschrieb, damit ich es richtig wiedergeben konnte: „The object lives here now and is taken care of.“ Einige Museen gaben Besuchern aus den betreffenden Ländern Gelegenheit, mit ihren kultischen Objekten zu interagieren, sie zu berühren; auch davon sahen wir Fotos, die mich sehr faszinierten. Nicht nur weil ich eine intime Handlung miterleben durfte (jedenfalls sind kultische Riten für mich auf einer Ebene immer intim, auch wenn sie öffentlich sind wie das Abendmahl in der Kirche), sondern weil die Objekte schlicht wunderschön waren.
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Auf den ersten Vortragsblock war ich am meisten gespannt, denn hier ging es um den Münchner Kunsthandel. Zwei Doktorandinnen stellten ihre Arbeiten vor; einmal ging es generell um jüdische Kunsthandlungen, die noch nicht erschlossen sind – die Doktorandin war bisher auf über 30 gestoßen, wenn ich mir das richtig gemerkt habe –, der zweite Vortrag handelte von Jaques Rosenthal. Meike Hopp, bei der ich im 3. Semester im Provenienzforschungsseminar saß, referierte über Hugo Helbing, der Historiker Sebastian Peters über seine MA-Arbeit zu Anna Caspari. Abschließend staunte ich über einen Schatz, auf dessen Erschließung vermutlich der halbe Saal wartete, jedenfalls erwähnte Hopp die vielen Anfragen, die sie schon bekommen hatten für: die überlieferten Bücher der Kunsthandlung Julius Böhler. Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv liegen schönst annotierte Bücher, in denen seit ca. 1910 (?) bis in die 1970er Jahre hinein jedes Werk aufgeführt wurde: wann es gekauft wurde, von wem (wichtig für die Provenienz), wann es verkauft wurde, an wen (yay) und zu jeweils welchem Preis. Außerdem besitzt das ZI neuerdings einen Riesenberg an Fotos, die sehr hilfreich sind, wenn man 700 Bilder mit dem Titel „Bayerische Landschaft“ im Depot hat. Den Titel habe ich mir gerade aus dem Ärmel geschüttelt, aber ich merke schon bei meiner winzigen Arbeit zu von Welden, wie irre es mich macht, dass ich zwar Titel finde, aber keine Ahnung habe, wie das Bild dazu aussieht und ob die „Badende“ aus Ausstellung 1 von 1939 die gleiche ist wie die aus Ausstellung 2 von 1955.
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Im zweiten Teil stellten einige Münchner Institutionen ihre Erfolge bei der Provenienzrecherche vor. Stephan Kellner von der Bayerischen Staatsbibliothek sprach über die NS-Raubgutforschung im Haus und erwähnte den Berg von über 60.000 Büchern, die sie alleine aus der Ordensburg Sonthofen übernommen hätten, bei dem davon auszugehen war, dass einige Stücke Raubgut waren. Es wurden bereits diverse Stücke restituiert. Auch die Bayerische Staatsgemäldesammlung wühlt ihre Bestände durch und konnte bisher einige wenige Bilder an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Das forderte auch eine Frage im Publikum heraus, ob sich der ganze Aufwand denn lohne für zwei, drei Bilder, woraufhin eine ziemlich scharfe Erwiderung kam, dass sich der ganze Aufwand selbst für ein einziges Bild lohnen würde. Natürlich könne man nichts wiedergutmachen, natürlich sei der Zustand vor dem Holocaust nicht wiederherstellbar, aber es liege in unser aller Verantwortung, wenigstens zu versuchen, erlittenes Unrecht zu mildern.
Am aufregendsten, weil so schön detektivisch, war der Vortrag von Ilse von zur Mühlen vom Bayerischen Nationalmuseum, das, genau wie die Bayerische Staatsgemäldesammlung, einen Teil der Sammlung Göring besitzt. Sie stellte ein Besteckset vor, von dem erstmal geklärt werden musste, wann es überhaupt hergestellt wurde. Auf den Messern fand sich ein winziger Name, den das Klingenmuseum Solingen einem dänischen Schmied Ende des 18. Jahrhunderts zuordnen konnte. (Natürlich gibt es ein Klingenmuseum und natürlich ist es in Solingen. Ich wollte die ganze Zeit begeistert in die Hände klatschen, was wir uns alles leisten.) Auf den Griffen der Messer fand sich ein Wappen, das Experten auf vor 1819 datierten. An den Gabeln fand sich zudem eine winzige Punze, also ein kleiner Abdruck im Silber; in diesem Fall war das ein Eberkopf, der in den Niederlanden im 19. Jahrhundert bei der Silbereinfuhr eingestempelt wurde. Eine zweite Punze konnte das bestätigen. Zu diesem Zeitpunkt im Vortrag musste ich nachträglich notieren, was ich hier gerade verblogge, denn das klang schon so nach Verbloggen. Daher bekam ich fünf Sätze nicht mit und weiß daher nicht mehr genau, wie jetzt das Silber zu dem Herrn kam, den ich wieder mitbekam, nämlich Kaiser Wilhelm II; ich vermute, irgendwelche niederländischen Aristokraten wollten dem armen Exilanten ein hübsches Messerset schenken, wenn er schon kein Reich mehr hatte. Von dort könnte es dann als Geschenk bei Göring gelandet sein, wäre also kein Raubgut, aber komplett belegt war der letzte Teil der schönen Theorie noch nicht.
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Im letzten Block kamen dann die nichtstaatlichen Museen zu Wort, also die eher kleinen Heimat- und Volkskundemuseen, in deren Schränken auch durchaus untersuchungswürdige Objekte liegen. Ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr, welche der beiden Damen, die im Programm abgedruckt waren, gesprochen hat, aber der Vortrag war toll (Frau Lange oder Frau Bach, sorry!). Sie sprach über ihre Arbeit in der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen, an die sich Häuser wenden, die nicht mehr so recht weiterwissen mit ihren Beständen. „Dann kommt man da hin, es werden Vitrinen geöffnet und Schubladen aufgezogen – und dann kommt immer irgendwann der Satz: ‚Und dann haben wir noch das da.‘ Das sind fast immer Judaika, denen man ansieht, dass sie Gewalt ausgesetzt waren.“ (Ich zitiere aus dem Gedächtnis, aber „Und dann haben wir noch das da“ habe ich mir gemerkt, weil es mir in seiner Hilflosigkeit sehr stimmig vorkam.) Die Vortragende sprach über eine besondere Torarolle, die vermutlich eher einem Privathaushalt gehörte, denn sie ist zu klein für eine Synagoge, die Schrift wäre zum Vorlesen zu winzig. Sie scheint in einer Pfütze gelegen zu haben, das Papier ist durchfeuchtet und brüchig, wenn man sie anhebt, rieseln Grashalme heraus. Der Text ist stellenweise verschwunden; dafür sorgt Säure, man geht davon aus, dass auf diese Torarolle uriniert wurde. Die Anordnung der Texte sei ungewöhnlich, ein angefragter Rabbiner aus Jerusalem meinte, er hätte derartiges noch nie gesehen. Außerdem ungewöhnlich: Einige Worte im Text sind handschriftlich verstärkt. Die Landesstelle unterstützt das betreffende Museum gerade bei der Restaurierung der Torarolle und natürlich bei der Provenienzrecherche.
In vielen Heimatmuseen liegen Judaika, teilweise nicht einmal inventarisiert. Intern hätten viele Häuser die sinnlose Diskussion geführt, ob der damalige Direktor die Stücke am 9. November 1938 ins Museum gebracht hätte – dann hätte er sie gestohlen – oder am 10., dann hätte er sie quasi gerettet. Viele Stücke sind in einem schlechten Zustand, auch weil sich jahrzehntelang niemand damit befasst hat. Die Vortragende erzählte allerdings auch von einem sehr hoffnungsvollen Fall, sie bat aber um Verständnis, dass sie das Museum nicht nennen wollte, um das es ging. Daher verzichte ich hier auf die Wiedergabe des Vortrags, aber ich habe durch ihn von der Arbeit Theodor Harburgers erfahren, der Ende der 1920er Jahre viele israelitische Gemeinden in Bayern besuchte und ihre Kunstschätze dokumentierte. Diese Berichte und Fotos sind heute ein unverzichtbares Hilfsmittel, von dem ich bis Montag abend noch nie gehört hatte.
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Ich habe von der Tagung viele Eindrücke, Anlaufstellen und Namen mitgenommen, die mir bei meinen eigenen Recherchen nützlich sein könnten. Und nebenbei wurde mir vor Augen geführt, wie sinnvoll mein kleines Orchideenfach sein kann. Das ist manchmal ganz schön zu wissen, wenn ich wieder mit mir ringe, ob ich nicht doch wieder sinnlos Werbung machen sollte, weil sie die Miete deutlich einfacher bezahlt als die Wissenschaft.