Tagebuch, Freitag, 12. Januar 2018 – Kleine Momente
Mies geschlafen. F. hatte gestern einen kleinen medizinischen Eingriff, eigentlich Routine, dauerte auch nicht lange, aber anscheinend habe ich mir doch mehr Sorgen gemacht, als ich dachte. Ich träumte von jeder Agentur, in der ich bis jetzt gearbeitet hatte und mein Hirn dachte sich noch ein paar neue aus, was dazu führte, dass ich morgens vom Wecker aus gefühltem Tiefschlaf gerissen wurde und mein erster Gedanke war: Aber ich habe doch schon die ganze Nacht gearbeitet, wieso muss ich denn jetzt nochmal an den Schreibtisch?
—
Vormittags einen Textentwurf für Projekt 2 an die Agentur geschickt und vergeblich auf Feedback gewartet. Das Mail-Programm fünfmal neu gestartet, man weiß ja nie. Außerdem kein Feedback vom Kunden zu Projekt 1, was meinen Nachmittagstextplan etwas ruinierte. Stattdessen weiter Recherche gemacht anstatt sinnlos für die Tonne zu texten.
Eigentlich sollte Dienstag früh ein erster Entwurf zu Projekt 2 zum Kunden, für den ich gestern nach Agenturfeedback hätte schreiben wollen, damit der Text übers Wochenende ein bisschen rumliegen und ich am Montag nochmal drübergehen kann. Das klappt jetzt anscheinend nicht.
Es war jahrelang hier im Blog totale Pflicht, Texte immer abends zu schreiben, morgens nochmal drüberzulesen und sie erst dann zu verbloggen. In letzter Zeit hat sich hier ein wenig Sorglosigkeit eingeschlichen, meist schreibe ich erst morgens. Wenn ihr euch also wundert, dass abends ein leicht veränderter Text im Blog steht als morgens, dann liegt das daran, dass mir im Laufe des Tages meist noch irgendwas auffällt, was ich natürlich dringend korrigieren muss.
Ich muss wieder abends schreiben, es hilft ja nichts.
—
Aber abends lese ich ja neuerdings immer (okay, fast immer und auch erst seit fünf Tagen) Ulysses. Gestern war Kapitel 5 dran. Genau wie in Kapitel 4 folgen wir Herrn Bloom bei seinem Weg durch Dublin und kriegen wie aus den Augenwinkeln mit, was er tut, was er sieht und worüber er nachdenkt, gerne flüchtig und in schwer durchschaubaren Halbsätzen. Gestern fiel mir zum ersten Mal auf, dass einige dieser Halbsätze wie Bildbeschreibungen aussehen – und mit denen kann ich rein aus Erfahrung mehr anfangen als mit, ich nenne sie jetzt mal so, literarischen Halbsätzen. Sobald ich anfing, seine Worte nicht mehr als Gedankenstrom und Assoziationsgeklingel anzusehen, sondern als einen Bildeindruck, verstand ich sie gefühlt eher. Ich nahm Cluster war, die ich vorher nicht gesehen hatte, Symboliken, die auf einmal Sinn ergaben.
Ich merke, dass es mir schwerfällt, meine Leseeindrücke in Worte zu fassen. Vielleicht sind meine Gedanken genau die gleichen Assoziationen, die mir gerade beschrieben werden: Bloom blubbert innerlich vor sich hin und ich lege im Geist weitere Dinge an. Das ist ein sehr neues Leseerlebnis, was mir da gerade widerfährt. Es ist deutlich zeitaufwändiger als das meiste, was ich bisher gelesen habe, weil ich mich sehr konzentrieren muss – Ulysses ist kein Buch für die U-Bahn, am gestrigen dreizehnseitigen Kapitel saß ich eine Stunde –, aber es ist sehr lohnend.
—
Die Mittagspause nutzte ich, um zur Stabi zu fahren, aus der ich ein Buch abholen wollte, das ich für die Kundenrecherche brauche. Neuerdings höre ich Spotify anstatt zu lesen, und so saß ich still im Bus, es erklang Popmusik in Moll – Spotify hält mich neuerdings für eine weinerliche 16-Jährige, aber das ist okay –, ich erspähte in einem Café einen äußerst interessant aussehenden Kerl und glotzte … wie eine 16-Jährige. Dann schlenderte ich von der Bushaltestelle zur Bibliothek und freute mich wie immer über die Universalgeste, die man dort gehäuft antrifft.
Ich lungere übrigens auch deshalb so gerne in Bibliotheken rum, weil Menschen dort Bücher im Arm haben. Ich liebe diese Haltung mit dem angewinkelten Ellenbogen, über den ein Buch ragt.
— Anke Gröner (@ankegroener) 12. Januar 2018
—
Nebenbei freue ich mich seit vorgestern über diesen Thread.
Liam Stack ist übrigens ein Reporter für die New York Times und twitterte einen Tag später: „my little cousin became a twitter moment lol.“ Vermutlich brauchen wir gerade viele Twitter-Momente. Ich jedenfalls:
What are We Supposed to Do With This Shit? On Trump, His Racism, and Finding Hope for the Future
„And that’s the danger of Donald Trump—like the generations of racists who came before him and lazily supervised the making of this country, he will soon be gone but his fingerprints will be all over everything. We see it in our cities, where municipal buildings are named after people who championed red-lining, where monuments and parks are named after Confederate generals. We see it in our discourse, in which President Obama was forced to show his papers to prove his citizenship, but news anchor hedge and equivocate over calling Donald Trump a white supremacist, despite his long and well-documented history of saying and doing things a white supremacist would say or do.
Most maddeningly, we see it in ourselves, the gradual moving of the line of decency, the daily confirmation that we are in the Bad Place, the gaslighting, the loss of hope. And then, the disappearance. These news events happen, they take over the cycle, they nick us in our souls, and then they vanish. And we’re left with our damage and our rage and the sneaking suspicion that there’s something wrong with us because we’re angry all the time, we see racism and misogyny in places where others blithely don’t, we find it harder and harder to “get over it.”“
No One Is Coming to Save Us From Trump’s Racism
„There is a lot of trite rambling about how the president isn’t really reflecting American values when, in fact, he is reflecting the values of many Americans. And there are entreaties to educate the president about the truth of Haiti as if he simply suffers from ignorance.
But the president is not alone in thinking so poorly of the developing world. He didn’t reveal any new racism. He, once again, revealed racism that has been there all along. […]
What I’m supposed to do now is offer hope. I’m supposed to tell you that no president serves forever. I’m supposed to offer up words like “resist” and “fight” as if rebellious enthusiasm is enough to overcome federally, electorally sanctioned white supremacy. And I’m supposed to remind Americans, once more, of Haiti’s value, as if we deserve consideration and a modicum of respect from the president of the United States only because as a people we are virtuous enough.
But I am not going to do any of that. I am tired of comfortable lies. I have lost patience with the shock supposedly well-meaning people express every time Mr. Trump says or does something terrible but well in character. I don’t have any hope to offer.“