Was schön war, Freitag, 23. März 2018 – Servus in Hamburg
Ich bin für ein paar Tage in der alten Heimat … anscheinend habe ich neben dem Ort, an dem ich groß geworden bin, noch eine zweite alte Heimat – also eine Zweimat. Sorry. Restalkohol.
Die ganze Zeit auf dem Weg zum Flughafen dachte ich, ich hab irgendwas vergessen. Hatte ich auch – meine blöde kleine Tüte, in die man Flüssigkeiten packt, wenn man durch die Sicherheitskontrolle geht. Das sind bei mir Streberin meine Handcreme, ein Labello und mein Asthmaspray, wobei ich weiß, dass Medikamente irgendwie immer okay sind, aber ich packe sie trotzdem ins Tütchen. Labello ist eigentlich keine Flüssigkeit, daher ignorierte ich den einfach und ließ ihn, genau wie das Spray, im Rucksack. Blieb also nur die kleine Tube Handcreme. Ich erwähnte sie bei der Dame am Band, die meinte, ich solle sie einfach ohne Tüte neben den Rucksack legen. Geht also anscheinend auch. Trotzdem danke. Ich hatte mich seelisch darauf eingestellt, dass sie weggeschmissen wird.
In München gibt es neuerdings nicht mehr viele einzelne Schlangen, in die man sich stellt, um durch die Kontrolle zu gehen. Die fand ich immer praktisch, weil man relativ schnell sehen konnte, wo die Businessmenschen sind, die dauernd fliegen und deshalb die Handgriffe drauf haben, und wo die Familie mit drei Kindern ist, die nicht wissen, wie die Security geht und die außerdem zwei Buggys dabeihaben. Vulgo: Wo stelle ich mich an, um schnellstmöglich durchzukommen? Neuerdings – aka irgendwann seit meinem letzten Flug im Januar – gibt es nur noch drei dieser blöden Absperrungen, bei denen man sinnlos von rechts nach links und wieder zurück geht, immer in einer Schlange von Menschen, die dasselbe tun. Irgendwann öffnet sich die Absperrung, und man hat nur noch zwei Eingänge zur Kontrolle zur Auswahl. Immerhin. Außerdem hat München schon etwas länger nur noch Kontrollen mit Körperscanner, die mir persönlich deutlich lieber sind als das blöde Abtasten. Ich lasse mich ungern anfassen, wenn ich nicht zurückanfassen darf, daher kann ich mit den Dingern sehr gut leben. Ich war recht zügig durch – nicht so zügig wie mit den vielen einzelnen Eingängen, möchte ich behaupten – und ging auf meine Stammtoilette, um den Gürtel wieder anzulegen, ohne dass mir alle Menschen hinter der Kontrolle dabei zusehen.
Flughafendurchsage: „We *kindly* ask passenger xy from Canada …“ in einem übelgelaunten Kasernenhofton. Ganze Damentoilette bricht in Gelächter aus.
— Anke Gröner (@ankegroener) 23. März 2018
Ans Gate gegangen, wieder darüber nölig gewesen, dass der Kaffee jetzt Geld kostet, aber dafür immerhin von Nespresso kommt. Ignoriert, rumgeguckt, und dann ging auch schon das Boarding los. Wir sind ja Profis. Beim Einsteigen fiel mir auf, dass ich schon im neuen Lufthansa-Design flog. Das Gelb am Heck fehlte mir doch ein bisschen, vor allem, als wir an der Startbahn standen und warteten und eine Maschine der Star Alliance einschwebte, die dem neuen Design doch sehr ähnelt. Immerhin haben die Flugbegleiter*innen noch gelbe Akzente an ihrer Kleidung. Ich mag die Halstücher so gerne, warum auch immer.
Ich saß wie immer ganz hinten und hoffte auf kleine, stille Menschen neben mir, aber stattdessen setzte sich eine Fünfergruppe Jungs Mitte 20 mit mir in die letzte Reihe. Immerhin nicht breitbeinig – ja, das kriegen einige Herren sogar in der Economy hin. Sie waren nett und etwas laut, aber ich konnte trotzdem lesen. Meine tollen neuen In-Ears mit Noise Cancelling wollte ich erst aufsetzen, wenn ich mein Getränk hatte. Ich bestellte, ohne nachzudenken, eins meiner beiden üblichen Getränke an Bord, Tee oder Kaffee, gestern Kaffee und auch, ohne nachzudenken, „mit Milch und Zucker“. Erst als ich das Becherchen vor mir hatte, dachte ich, bist du irre? Du trinkst seit Wochen richtig guten Kaffee und jetzt bestellst du dir diese Brühe? Ich testete ihn schwarz – und fand ihn gar nicht so schlecht! Tat keinem weh, man schmeckte eine leichte Fruchtigkeit, und er war schön mainstreamig angenehm. Ich warf trotzdem Milch und Zucker dazu, denn hey, das schmeckt mir auch.
Und dann setzte ich meine Kopfhörer ein, woraufhin das Flugzeug schon deutlich stiller wurde. Ich aktivierte das Noise Cancelling – und saß nicht mehr in einem Flugzeug. Ich hörte die Leute noch – das kriegen die Kopfhörer nicht ganz weg –, aber sobald ich die Musik anschaltete, wurden sie leiser und vor allem unverständlicher und waberten nur noch irgendwo im Hintergrund herum. Ich hörte das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow, was mit meinen Apple-In-Ears nie über den Wolken funktioniert, weil die Flugzeuggeräusche viel zu laut sind und ich die Musik immer bis zum Anschlag aufdrehen muss, um sie überhaupt zu hören. Mit den Boses im Ohr plinkerte der Pianist in Normallautstärke vor sich hin und ich formulierte im Kopf schon die Antwort zum Jahresendfragebogen zur teuersten Anschaffung, die sich auch als die beste herausgestellt hat.
Wie ungewohnt, aber effektiv die gedämpfte Welt um mich herum war, merkte ich erst bei der Landung. Ich bin an Bord eines Flugzeugs grundsätzlich gestresst; es ist eng, vor allem für mich, ich sitze sehr unentspannt, weil ich dem Mensch auf dem Mittelplatz nicht so auf die Pelle rücken will, und es ist laut. Als wir gestern in Hamburg landeten und der Satz, den ich gerade hörte, genau 30 Sekunden nach der Landung endete, also quasi perfektes Timing, fühlte ich mich anders als sonst an Bord. Ich merkte, dass mein Blutdruck deutlich weiter unten war als sonst, ich war ernsthaft entspannt! In der Economy. Mit einer Junggesellenabschiedstruppe neben mir. Alleine dafür haben sich die Kopfhörer gelohnt.
Mit der S- und U-Bahn ins Hotel, dann zum nahegelegenen Supermarkt zum Getränkekauf, auf dem Weg dahin der Alster Hallo gesagt, und dann noch zum Bäcker, denn in Hamburg isst man Franzbrötchen. Ich sagte wie immer „Servus“, woraufhin der gute Mann hinter der Theke etwas verwirrt guckte und ich „ups, falsche Stadt“ hinterherschob. Meine Nordischkeit verabschiedet sich anscheinend gerade in Bruckstücken.
Abends war ich mit den beiden besten, klügsten und lustigsten Frauen der Welt verabredet. Wir trafen uns auf St. Pauli. Dafür musste ich am Hauptbahnhof umsteigen, wo mir wieder auffiel: Du denkst, du wohnst in München in einer Großstadt, aber dann kommst du nach Hamburg und merkst, nee, du wohnst auf dem Dorf. Das ist schon alles größer, lauter, bunter und vielsprachiger hier. (Dafür stinken bei uns die U-Bahnen nicht so. Okay, Oktoberfestzeit ausgenommen.)
Wir hatten ab 19 Uhr einen Tisch im Brachmanns Galeron reserviert und tafelten und tranken so vor uns hin, als der freundliche Kellner uns darauf aufmerksam machte, dass der Tisch ab 20.30 Uhr wieder vergeben war. Neuerdings vergeben Läden ihre Tische anscheinend schichtweise, wie eine der beiden klugen Damen an meiner Seite meinte. Die andere protestierte zwar noch, dass uns das so nicht gesagt wurde, aber: Der Laden hat im Keller eine Whiskybar. Wir bekamen einen Schnaps aufs Haus und zogen nach anderthalb Stunden vom viel zu warmen Lokal in den kühlen Keller, wo man sogar in Sesseln rumlungern konnte. Perfekt!
Auch an Whisky hatte ich mich in den vergangenen Jahren rangetrunken, wie praktisch. Ich musste trotzdem kurz überlegen: Mochte ich jetzt die Highland-Whiskys lieber oder die Islays? Nee, die Islays waren torfig. Highlands it is! Der erste war ein zehnjähriger Edradour, der genau meins war. Danach verließ ich mich auf die Dame hinter der Theke, die mir im Laufe der nächsten drei Stunden noch drei weitere Whiskys servierte: einen Nikka from the Barrel aus Japan, der seidenweich runterging, auch wenn ich dauernd an Bill Murray denken musste. Der dritte war ein zwölfjähriger Kilkerran, der irrwitzig zitronig schmeckte. Der vierte ging dann leider unter in Zigarettenrauch und wohliger Angeschickertness, den habe ich nicht fotografiert und daher schon vergessen. War aber auch hervorragend.
Die Rückfahrt im Taxi ging an der nächtlichen Binnenalster vorbei, in der sich malerisch die Lichter spiegelten. Das ist schon schön hier. Aber es ist nicht mehr Zuhause. Ich bin jetzt Touristin und das ist auch okay so.