Was schön war, Mittwoch, 2. Mai 2018 – Noch mehr Eichhörnchenpinsel!
In der ersten Sitzung der Vorlesung über Materialien der modernen Kunst erwähnte der Dozent die Eichhörnchenpinsel bereits, ich schrieb darüber. Gestern gab es nun eine ganze Sitzung nur zum Werkzeug Pinsel, worüber ich immer noch grinse. Universitäten. So much fun!
Wir stiegen wieder mit den Eichhörnchenpinseln ein, die mit ihrer Weichheit einen Gegensatz zum Borstenpinsel bildeten. Dieses Mal habe ich mir auch endlich die schöne Quelle gemerkt, aus der die Info stammte, dass man für einen Pinsel acht Eichhörnchenschwänze brauchte. Das Büchlein Trattato della pittura von Cennino Cennini wurde um 1400 veröffentlicht; hier gibt es eine deutsche Ãœbersetzung von 1871, die ihr online bei meiner geliebten Stabi lesen könnt. Auf Seite 41 beginnt der kurze Abschnitt zu den Puschelpinseln und wie man sie herstellt (bis zu Abschnitt 66 springen und dann eine Seite zurückblättern). Die Ãœberschrift sagt schon alles: „Auf welche Art man Pinsel vom Eichhörnchenhaar macht.“ Und so geht’s weiter:
„In der Kunst bedarf man zweier Gattungen Pinsel: nämlich von Eichhörnchenhaar und solche von Schweinsborsten. Jene vom Eichhörnchen macht man folgender Art: nimm die Schwänzchen vorn Eichhörnchen (denn keine andern taugen dazu) und diese Schwänzchen müssen gekocht, nicht roh, sein. Die Kürschner werden dir davon sagen. Nimm ein solches Schwänzchen, ziehe vorerst die Spitze heraus, weil deren Haare lang sind und vereinige die Spitzen mehrerer Schwänze, so dass sechs oder acht Spitzen dir einen weichen Pinsel liefern, tauglich zum Aufsetzen des Goldes auf die Tafel […].“
Falls ihr von Craft Beer und Palettenmöbeln gelangweilt seid, aber gerne bastelt – wie wär’s damit?
Der Dozent erwähnte eine Anekdote, die von Giotto überliefert ist. Der gute Mann wurde eines schönen Tages von einem Wildschwein umgerannt, und als er sich wieder aufgerappelt hatte, hätte er gesagt, passt schon, mit den Borsten dieser Tiere habe ich viel Geld verdient und ihnen nicht mal zwischendurch eine Kelle Brühe gespendet als Dankeschön.
Generell ging es in der Sitzung um den Unterschied des Farbauftrags von Haar- und Borstenpinseln. Auch noch nie darüber nachgedacht: Einige Maltechniken wurden erst durch bestimmtes Werkzeug möglich. Der sehr pastose Farbauftrag von Goghs zum Beispiel war erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts möglich, weil es zu dieser Zeit bereits flache Borstenpinsel gab statt der bisher rundlichen Spitze. Wenn ihr hier mal den oberen Teil der Vase der guten alten Sonnenblumen vergrößert, seht ihr sehr deutlich die flachen Borstenstriche, die ein Haarpinsel oder auch ein abgerundeter Borstenpinsel nicht hätten erzeugen können. So dient diese Materialkunde auch der Datierung von Kunstwerken.
Gerade die französischen Realisten des 19. Jahrhunderts nutzten Tierhaarpinsel, um Fellstrukturen darzustellen; der Dozent verwies auf Courbets Durchgehendes Pferd. Ich mag es, wenn Dozierende sich auf Kunstwerke beziehen, die vor Ort hängen, denn dann kann man dank des schönen Studiausweises nach der Vorlesung mal kurz umsonst ins Museum hüpfen und sich die Bilder im Original anschauen. Wobei ich über das olle Pferd immer eher grinse als bewundernd davorzustehen.
Dann ging es um den Dachshaarpinsel, der im Französischen mit der gleichen Vokabel bezeichnet wird wie ein Rasierpinsel (und der Dachs selbst): blaireau. Der Dachshaarpinsel sieht dem Rasierpinsel sehr ähnlich, und mit seinen dicken, runden, weichen Haaren glätteten gerade die Salon- oder Akademiemaler ihre Bildoberflächen, bis kaum noch Arbeitsspuren vorhanden waren (also genau das Gegenteil von Courbets Pferd). Diesen Vorgang nennt man dementsprechend blaireautage oder poli bzw. fini – der letzte Schliff, die Politur. Oder wie wir heute sagen wird: Photoshop. Ingres, den ich bisher sehr mochte, der mir aber durch diese Vorlesung immer unsympathischer wird, meinte, dass dieses Glätten absolut notwendig sei, denn die Oberfläche zeige sonst die Hand des Künstlers und nicht seinen Geist.
Von Jean-Léon Gérôme, einem typischen Akademiemaler, erzählte der Dozent die Anekdote, dass er seinen Schülern verboten habe, ihre Studien zu glätten, denn sonst sei die wichtige Kopfarbeit nicht mehr zu sehen. Die fertigen Werke seien aber ungeglättet bloß nicht der Öffentlichkeit zuzumuten. Das Glätten von Studien verglich Gérôme, und hier erwähnte der Dozent das wichtiges Stichwort „Gender-Aspekt“, mit Nähen, Sticken, überflüssiger Frauenarbeit eben. Er sprach außerdem über einen Vergleich, der die Kunstwelt etwas verlässt: In privaten Räumen kann man rumlaufen wie man möchte, aber wenn man vor die Tür geht, wenden die meisten von uns dann doch ein wenig oder auch irrwitzig viel Energie darauf auf, wie man sich anderen Menschen präsentiert. Das Stichwort the finished gentleman entspringt diesem Gedanken und verweist wieder auf das finish an Bildern.
Von Gérôme sahen wir übrigens dieses Bild in der Vorlesung. Ich kannte von ihm bereits den Klassiker Phryne vor den Richtern, bei dem ich jedesmal von der Dramatik und Dynamik und dem Zusammenspiel von Rot und Blau begeistert bin, bis ich mit den Augen rolle, weil halt nackte junge Frau vor vielen Kerlen schnarch ich kann es einfach nicht mehr sehen. Ich hatte von ihm auch schon den Schlangenbeschwörer gesehen, bei dem es uns in der Seminar-Diskussion um die Darstellung des Orients durch westliche Augen ging. Und wir haben uns lange an der ausgeprägt detailliert dargestellten Architektur ergötzt, die eine wilde Mischung aus realen Orten und künstlerischer Fantasie ist.
Nach Gérôme sahen wir einige Werke von Alexandre Cabanel, dessen Geburt der Venus eins meiner persönlichen Hassbilder ist, weil siehe oben (AUGENROLLEN). Auch Cabanel glättete wie bescheuert, und van Gogh soll gesagt haben, je mehr Bilder er von Cabanel sehe, desto mehr dränge es ihn zum pastosen Farbauftrag. Ich musste allerdings feststellen, dass ich einige Bilder von Cabanel doch mochte, zum Beispiel das Porträt der Duchesse von Vallombrosa, wo ich die verkünstelte Handhaltung spannend fand. Ich habe leider keine große Abbildung gefunden, aber die rechte Hand mit ihren Adern hätte ich stundenlang anschauen können. Oder das Porträt der Comtesse de Koller. Beiden Bildern wurde von der Kritik das Glätten, die blaireautage, vorgeworfen, während Liebhaber dieses Stils meinten, die Zartheit oder Unversehrtheit der adligen Haut käme so noch besser zur Geltung. Anders ausgedrückt: Man sieht ihnen an, dass sie den ganzen Tag rumsitzen können und nie irgendein Werkzeug in die Hand nehmen müssten, was womöglich Muskeln oder Blasen erzeugen könnte. Gerade bei Damen ja ganz schlimm.
Die Kritik erfand auch ein Schimpfwort für diese zugepuschelten Bilder bzw. ihre Schöpfer: blaireauteur! Das übernehme ich sofort in meinen Wortschatz. Wann immer mir demnächst blutleere, totgepostete, langweilige Kunst über den Weg läuft, werde ich innerlich „Alles Dachshaarpinselmaler!“ denken. Denn nicht für die Uni, sondern fürs Leben lernen wir.