Links von Freitag, 4. Mai 2018
Simple Idee schön aufgeschrieben: einfach mal die besten Empfehlungen sowie die größten Warnungen auf Tripadvisor ausprobieren. Und den Rest dazwischen.
„Man sollte meinen, dass monumentale Bauwerke über jeden Zweifel erhaben sind. Dass sie einen kulturellen Rang innehaben, der sie profanen Geschmacksurteilen entzieht. Doch da hat zumindest der Eiffelturm (Rang 5 von 1284 »Aktivitäten« bei Tripadvisor) die Rechnung ohne die Userin Sarah F. gemacht. »Er war viel kleiner und nicht so schön wie erwartet«, moniert sie pampig. »Sieht aus wie eine verrostetes Baugerüst. Verdient auf keinen Fall den Ruf als Wahrzeichen.« Eine Alternative schlägt sie nicht vor, sondern sie vergibt nur gnadenlos die Note Ungenügend. Es bleibt nun abzuwarten, wie der Eiffelturm auf die Vorwürfe reagiert. […]
Die Bereitschaft zu Demut ist offenbar nicht allen Tripadvisor-Usern zu eigen. »Na ja, ist halt eine Kirche«, schreibt Klaus M. über die Basilika Sacré-Cœur (Rang 13 von 1284 Aktivitäten auf Tripadvisor): »Kennste eine, kennste alle.« Warum er eigens nach Paris gereist ist, um sich das bestätigen zu lassen, und nicht gleich im heimischen Steinfurt blieb, verschweigt er geflissentlich. Ich stellte mir vor, wie Klaus M., von seiner Frau gefragt, ob er sie eigentlich noch attraktiv finde, konstatiert: »Bist halt ein Mensch. Kennste einen, kennste alle.«
Selbst das Musée d’Orsay (Rang 1 von 1284 Aktivitäten auf Tripadvisor), ehrwürdiger Ausstellungsort von Werken Vincent van Goghs und Auguste Rodins, stellt nicht alle Besucher zufrieden. Die Userin Superschnitte bellt nur: »Frechheit!« Marco F. wird präziser: »War dort und musste feststellen, dass viele andere die gleiche Idee hatten. Zu voll!« Nun spricht es nicht gegen das Museum, dass es so viele Besucher anzieht, Marco F. gibt ihm dennoch die Note Mangelhaft.“
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Die deutsche Bühne über @IngoSawilla, der jahrelang die Social-Media-Kanäle des Residenztheaters betreut hat und nun leider in Berlin ist. Ich prangere das an und folge dem Resi auch nicht mehr auf Twitter, weil’s langweilig geworden ist. Mich persönlich hat der Mann ganz einfach ins Theater gekriegt: indem er die leeren, aber fast immer äußerst eindrucksvollen Bühnenbilder twitterte. Das lockte mich des Öfteren ins Publikum, weil ich wissen wollte, wie diese schönen Tableaus bespielt aussehen. Vor allem bei Die bitteren Tränen der Petra von Kant war das sehr beeindruckend.
„In der Theaterszene gilt der 36-jährige Bayer als Vorreiter in der Social-Media-Kommunikation. Als Martin Kušej 2011 das Residenztheat”r übernahm, stellte er Sawilla als einen der ersten Online-Pressereferenten der Branche ein. Vorher hat Sawilla, den man phänotypisch eher bei den Hells Angels als in der darstellenden Kunst verorten würde, Literatur- und Theaterwissenschaft studiert und in seiner Ausbildung bei Goldmann PR diverse Kulturprojekte betreut: das Theaterfestival Impulse, die Kunstfestspiele Herrenhausen, das Nachwuchs-Regiefestival radikal jung. Ursprünglich wollte Sawilla Politikmanagement studieren – bis er 2003 all seine Kraft in den SPD-Landtagswahlkampf in Bayern steckte und die Partei eine krachende Niederlage einfuhr. Damals schaffte es Sawilla eher unfreiwillig in die Zeitungen: ein Foto mit ihm in Lederhosen, weinend, am Wahlabend. Ein Jahr Arbeit umsonst. Mit Herzblut war der Pressemann schon immer bei der Arbeit.
2011 dann also ans Resi, damals noch Bayerisches Staatsschauspiel. Mit Online-PR ging es gerade richtig los, Sawilla startete bei Null mit neuer Marketingstrategie, neuer Webpage, neuem Facebook-Auftritt: das Haus sollte „aufgerissen“ werden, „durchgelüftet“. So wie am Berliner Ensemble, an das er 2017 von Reese als Leiter der Presseabteilung engagiert wurde. Nach der Ära von Claus Peymann, der bekanntlich mit sozialen Medien so viel zu schaffen hatte wie ein Blauwal mit dem Vogelflug, eröffnete Sawilla auch für dieses Haus einen Facebook-, Twitter- und Instagram-Account.“
Im Artikel wird auch ein Theater- und Fußballfan erwähnt. Ich möchte anmerken, dass ich diesen Mann sehr gut kenne. Ähem. Der Schal steht ihm ausgezeichnet und ist bis heute die tollste Social-Media-Aktion.
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Frau Nessy hatte vor einigen Tagen einen Link zu einem Persönlichkeitstest. Und weil ich ja nichts lieber mache als Tests, klickte ich den natürlich durch. Ich bin angeblich ein Advokat. Mit dem „Learning of the day“ von gestern (heute ist es ein anderer) hatten sie jedenfalls schon mal gewonnen: „Advocates are the most likely personality type to proof-read their writing 3 times or more.“
Ansonsten:
„Advocates have an inborn sense of idealism and morality, but what sets them apart is that they are not idle dreamers, but people capable of taking concrete steps to realize their goals and make a lasting positive impact.“
Das würde ich mir ja gerne auf die Fahnen schreiben, aber meist gewinnt mein gemütlichen Sofa gegen den Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit. Ich habe allerdings ein schönes Buch geschrieben, das für mehr „Seid nett zueinander und vor allem zu euch selbst“ plädiert. Und ich glaube, auch dieses Blog tut das. (Hoffe ich wenigstens.)
„Advocates are likely to find that most corporate career paths are not designed for them, but for those focused on status and material gain. This doesn’t mean that people with the Advocate personality type struggle to see viable options though. In fact, they are likely to face the opposite problem – many Advocates struggle to begin a career early on because they see ten wildly different paths forward, each with its own intrinsic rewards, alluring but also heartbreaking, because each means abandoning so much else.“
True. Meinen Job in der Werbung habe ich erst mit Anfang 30 gefunden. Aber: Status und Geld sind mir wichtiger als ich dachte. Bis zum Masterabschluss habe ich Geld immer als „wird schon irgendwo herkommen und reichen“ angesehen. Als ich dann aber wirklich vor der Entscheidung stand, mich ernsthaft um einen Einstieg in die Kulturarbeit zu bemühen, wurde mir recht schnell klar, dass mir die üppige Werbekohle lieber ist als die Brosamen der Museumswelt. Das mag an München und seinen Preisen liegen, aber das musste ich mir doch etwas schlecht gelaunt selbst bescheinigen: Gutes Geld zu verdienen ist mir wichtiger als selbsterfüllt und idealistisch schlecht bezahlt zu werden.
„[P]eople with the Advocate personality type are more likely to, despite their aversion to controlling others, establish their independence by either finding a leadership position, or simply starting their own practice. As independents, sole proprietors in the parlance of business, Advocates are free to follow their hearts, applying their personal touch, creativity and altruism to everything they do.
This is the most rewarding option for Advocates, as they will step out of the overly humble supporting and noncompetitive roles they are often drawn to, and into positions where they can grow and make a difference. Advocates often pursue expressive careers such as writing, elegant communicators that they are, and author many popular blogs, stories and screenplays. Music, photography, design and art are viable options too, and they all can focus on deeper themes of personal growth, morality and spirituality.“
Ich war mal Chefin und ich fand es grauenhaft. Ich schiebe das im Nachhinein auf meine jugendliche Unerfahrenheit Anfang 20, aber ich mochte es überhaupt nicht. Deswegen wollte ich als Texterin auch nicht den letzten Karriereschritt zum Creative Director machen bzw. mich darum bemühen. Ich will gar nicht die Chefin in irgendwelchen Meetings sein, mich um Junioretten kümmern und zum Kunden fahren und wichtig sein, ich will nur irgendwo sitzen und schreiben. Und das kann ich gerade als freie Texterin ganz hervorragend. Und weil ich eben frei bin und mich nicht um den agenturinternen Hickhack kümmern oder auf Weihnachtsfeiern und lustige Teambuilding-Exercises gehen muss, kann ich mich privat um meine persönliche Entwicklung kümmern. Das Studium war genau das richtige für mich, und deswegen hänge ich die Dissertation noch ran. Sie schafft einen Ausgleich zum banalen Verkaufsschreiben. (Mit dem ich gerade nicht ganz so hadere, weil ich gerade keine moralisch bedenklichen Kunden habe.)
„Advocates are likely to prioritize harmony and cooperation over ruthless efficiency, encouraging a good, hardworking atmosphere and helping others when needed. While this is usually a strength, there is a risk that others will take advantage of Advocates’ commitment to their responsibilities by simply shifting their burdens onto their more dedicated Advocate colleagues’ desks.
It should also be remembered that at the end of the day, Advocates are still Introverts (I), and their popularity isn’t always welcome – they will need to step back and act the lone wolf from time to time, pursuing their own goals in their own ways. An unhealthy version of this tendency may pop up if Advocates sense that their values are being compromised by a more ethically relaxed colleague.“
Das hatte ich in fast jedem Job, dass mir plötzlich Leute ihr Zeug gegeben haben, obwohl es ihr Job gewesen wäre, es zu erledigen. Das war mir lustigerweise meistens egal, denn so hatte ich erstens immer was zu tun und musste mich nicht langweilen und wusste zweitens, dass die Dinge erledigt werden und zwar nach meinem Standard. Die meisten Kolleg*innen haben das immerhin hübsch verpackt, wenn sie mich baten. Die wenigen Male, wo sie dreist wurden, habe ich recht deutlich gemacht, wohin sie sich ihre Extraarbeit stecken können.
Introvert, ja. Alleine sein ist super. Alles meins, alles ich.
„There is a running theme with Advocates, and that is a yearning for authenticity and sincerity – in their activities, their romantic relationships, and their friendships. People with the Advocate personality type are unlikely to go for friendships of circumstance, like workplace social circles or chatting up their local baristas, where the only thing they really have in common is a day-to-day familiarity. Rather, Advocates seek out people who share their passions, interests and ideologies, people with whom they can explore philosophies and subjects that they believe are truly meaningful.“
Ja. Das dickste Ja bei der Auswertung waren bei mir die Abschnitte zu Beziehungen und Freundschaften, da habe ich mich sehr wiedererkannt. Gerade bei Freundschaften. Ich habe sehr wenige Menschen in meinem Leben, die ich als Freund*in bezeichnen würde und gefühlt zehn, die ich als Bekanntschaften ablege. Alle anderen tausend, mit denen ich im Leben jemals was zu tun hatte, sind egal. Meistens vergesse ich ihre Namen nach fünf Minuten. Nächstes Jahr jährt sich mein Abitur zum 30. Mal und in meiner Mailbox landen dauernd Einladungen zur gemeinsamen Feier, immer mit offenem E-Mail-Verteiler. Von den vielen Menschen, mit denen ich jahrelang zu tun hatte, kann ich mir nur noch an fünf oder so erinnern. Und auch die will ich nicht wiedersehen, weil ich schlicht nicht weiß, warum ich mich für Menschen interessieren sollte, mit denen ich vor 30 Jahren mal für Bio gelernt habe.
Nochmal zum ersten Punkt, den vielen Möglichkeiten, die das Leben so bietet. Ich führte vor wenigen Tagen ein kurzes Interview, in dem es um mein Buch und auch mein Blog ging. Die Interviewerin liest laut Eigenaussage mein Blog und fragte mich, ob ich mich als rastlos empfände, weil ich dauernd was Neues machen müsste. Die Frage überraschte mich sehr, denn wenn ich mich als irgendwas nicht empfinde, dann als rastlos. In meiner Eigenwahrnehmung bin ich der faulste Mensch der Welt, weil ich wirklich gerne nach Feierabend einfach nur rumliege und lese anstatt wie andere dauernd ins Theater oder zu Vorträgen zu gehen, Sport zu machen oder Freunde zu treffen. Ich treibe gefühlt auf meinem langsamen Fluss herum, und wenn es mir zu langweilig wird, dann mache ich halt irgendwas anders als vorher. Dass das als rastlos gelesen werden kann, hat mich überrascht. Lustig. Innensicht und Außensicht mal wieder.