Tagebuch Freitag/Samstag, 17./18. August 2018 – Raus da

Freitag buddelte ich mich erfolgreich aus dem Dissertationsmotivationsloch heraus, indem ich mich brav an den Schreibtisch setzte und endlich mal die Bibliotheksbücher durcharbeitete, die hier seit Wochen liegen und die ich immer nur verlängere anstatt reinzugucken. Das tat gut, den Kopf wieder sinnvoll zu beschäftigen anstatt Herrn Grossberg nachzutrauern oder Netflix leerzugucken. Die Uni-Sommerferien sind anscheinend vorbei.

Abends wieder bei F. vom Balkon runtergeguckt. Mit einigen Dingen, die mich seit einer Woche stressen und dann freuen und dann wieder stressen und dann wieder freuen, meinen Frieden gemacht. Der Mann holte Pizza, und damit wird ja eh immer alles gut.

Der Samstagvormittag fühlte sich dann fast wie zusammenwohnen an, weil ich nicht nach Hause ging, um meinen Tag mit Kaffee und Lektüre zu beginnen, sondern stattdessen die Tram zum Stachus nahm, um dort mein derzeitiges Lieblingsbrot zu kaufen (zu heiß zum Selberbacken) und meine Drogen bei Starbucks zu holen, um dann weiter bei F. rumzulungern, weil der Mann gerade nicht allein sein wollte. War mir sehr recht.

Den neuen Spiegel nahm ich auch mit, weil ich ein Interview mit Okwui Enwezor darin entdeckte, dem gerade zurückgetretenen Direktor vom Haus der Kunst. Die Postwar-Ausstellung, die er mitkuratierte, gehört mit zum Besten, das ich je gesehen habe, und ich trauere dem Mann sehr hinterher. Auch auf diese Ausstellung nahm Enwezor Bezug, als er meinte:

„Enwezor: Das Haus der Kunst hat – und das schon seit Jahrzehnten – ein strukturelles Defizit. Das Geld reicht nicht, die Einrichtung ist chronisch unterfinanziert, es fehlen Mitarbeiter. Man wollte nicht viel investieren, aber eine große Wirkung erzielen. Das ist das eine.

Spiegel: Was ist das andere?

Enwezor: Womöglich passte unsere inhaltliche Ausrichtung nicht ins heutige politische Klima. Wir haben uns wirklich dem Dialog verpflichtet gefühlt, natürlich bedeutete das auch, dass wir nicht nur Blockbuster veranstaltet haben. „Postwar“, unsere Ausstellung zur Nachkriegszeit, hat neue Maßstäbe gesetzt.

Spiegel: Sie haben darin bekannte und weniger bekannte Künstler aus der gesamten Welt zusammengebracht und gezeigt, dass der kulturelle Fortschritt seit 1945 nicht nur im Westen stattgefunden hat. Das war eine weitreichende Neubewertung der jüngeren Kunstgeschichte, Sie erhielten international viel Lob. Aber der große Besucherandrang blieb aus.

Enwezor: Nicht alles lässt sich auf Erfolge an der Museumskasse reduzieren. Manchmal ist der Zugewinn, den eine Institution erhält, kein finanzieller. Wissen Sie, was erstaunlich ist?

Spiegel: Was?

Enwezor: Etliche unserer Ausstellungen sind, nachdem sie hier zu sehen waren, von anderen Museen übernommen worden. Unsere Ausstellung mit den Skulpturen von Louise Bourgeois [Fehlfarben-Podcast dazu] reiste nach Russland, Dänemark und Spanien. In Moskau und im dänischen Humlebaek kamen so um die 200.000 Besucher, in Bilbao sogar 600.000. In München, dem Ausgangsort, aber waren es weniger als 80.000 gewesen. Unsere Ausstellungen haben eine internationale Strahlkraft, nur warum sind sie woanders populärer als hier?

Spiegel: Ist München kein guter Ort mehr für die zeitgenössische Kunst? Auch in der Münchner Theaterszene haben es experimentierfreudige Leute schwer. Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele, verlässt die Stadt.

Enwezor: Die Leute behaupten oft, sie würden sich für zeitgenössische Kunst interessieren. Aber zeitgenössische Kunst ist etwas Toughes und Herausforderndes, nichts Eingängiges, und das gefällt nicht jedem. Hier wird immer noch über die wirklich großartige Ai-Weiwei-Ausstellung gesprochen, die 2009 im Haus der Kunst eröffnet wurde, also einige Jahre bevor ich kam. Aber wenn sie die Popularität in Besucherzahlen messen wollen, muss ich sie enttäuschen, es kamen nur 100.000 Leute.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 115/116.)

Ich habe schon länger keinen gedruckten Spiegel mehr in der Hand gehabt. Ganz schön dünn geworden, das Ding. Und keine wirklich langen Artikel mehr außer der Titelstory? Und neue Headline-Typo. UND FÜNF EURO ZEHN? Aber immerhin noch einen schönen Artikel über ein Buch über Wein und seine Bedeutung in der bundesrepublikanischen Politik gefunden. Über diesen Absatz musste ich sehr lachen:

„Beim allerersten Staatsbesuch der jungen Bundesrepublik war sie [die Qualität der angebotenen Weine] eher mäßig. Was Bundespräsident Theodor Heuss unter dem „Pathos der Nüchternheit“ verstand, erfuhr der Kaiser von Äthiopien, als er im November 1954 nach Bonn reiste. Wein aus guten Lagen, aber schlechten Jahrgängen, und ein Sekt, „Söhnlein Rheingold“, zu dessen Gunsten nur vorgebracht werden konnte, dass der Kaiser 1875 angeordnet hatte, alle Kriegsschiffe der Marine fortan damit zu taufen.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 30.)

Kalte Pizza ist das beste Frühstück, basta, keine Diskussion.

Nachmittags alleine DFB-Pokal geguckt, weil der Mann zum Grillen eingeladen war (ich auch, aber ich wollte nicht mit). Sehr belustigt dabei zugesehen, wie das kleine niedersächsische Drochtersen-Assel aus der vierten Liga den großen FC Bayern anstrengte, der nur so gerade mit 1:0 gewinnen konnte. In der Vorberichterstattung meinte der Kapitän der Truppe: „Ziel ist es, weniger Gegentore zu kriegen als der HSV.“ Das hat ziemlich gut geklappt.

Abends einen Riesenberg Caesar Salad vertilgt. Seit einiger Zeit hadere ich mit den Anchovis, die ins Dressing kommen. Ich esse die Viecher schon, aber ich arbeite extrem ungern mit ihnen. Das Ölig-Glitschige macht mir nichts aus, aber diese gefühlten Widerhaken, die mich pieksen, wenn ich sie zerschneide, finde ich sehr unangenehm, und ich denke dann zu lange über mein Essen nach, als dass es mir danach schmeckt. Also lasse ich sie neuerdings weg. Ja, dann fehlt diese herbsalzige Komponente, aber ganz ehrlich: knackiger Salat, frisch gehobelter Parmesan, heiße Knoblauchcroutons – da reicht auch ein Dressing aus Crème fraîche, Senf und Zitronensaft, das schmeckt auch so geil.

Im Bett bei ausgeschaltetem Licht auf dem Smartphone einen Artikel darüber gelesen, dass Lesen auf dem Smartphone bei ausgeschaltetem Licht eventuell ganz böse ist. (Gerade eben beim Linkgoogeln einen weiteren Artikel gefunden, der mich wieder beruhigt hat.)