Was schön war, Donnerstag, 8. November 2018 – Konstantin Filippou

Wir sind gerade in Wien und ich bin schreibfaul, wie schon seit ein paar Tagen. Aber ich kann euch natürlich nicht verschweigen, wie herrlich man bei Konstantin Filippou essen kann.

Das Lokal ist recht klein, nur um die 20 Plätze, und wir waren gestern um 19.30 Uhr auch schon fast die letzten; ein Vierertisch kam noch nach uns, und zwei Plätze an einer Art Theke, die einigen Köch*innen direkt bei der Arbeit zuschauen konnten, wurden auch noch besetzt. Wir waren dann allerdings die letzten, und während ich alte Kellnerin irgendwann drängelte, schien das Personal deutlich entspannter zu sein. Allerdings wurde neben uns schon abgeräumt und man konnte auch sehen, dass die Küche ihre Arbeit eingestellt hatte, was das einzige war, was mich ein winziges bisschen gestört hat gestern. Ich will nicht sehen, dass alle Feierabend machen wollen. Wobei wir schon kurz nach 22 Uhr gingen und damit noch locker in den Öffnungszeiten waren. Trotzdem.

Beim Menü war ich vorher zugegebenermaßen etwas misstraurisch: Es war alles, bis aufs Dessert, mit Fisch, kein klassischer Aufbau mit Fisch- und Fleischgängen und der Schokobombe zum Schluss, aber um die Pointe schon mal vorwegzunehmen: Ich habe mich selten so gut unterhalten gefühlt in einem Sterne-Restaurant. Damit meine ich nicht, dass die Kellner*innen Konfetti geschmissen haben, sondern: Das Essen war fein, aber trotzdem spannend, die Weine dazu eigenwillig, aber hervorragend abgestimmt, und alles zusammen ergab ganz schlicht einen wirklich schönen Abend. Dass es in Sternerestaurants längst nicht mehr so förmlich zugeht wie früher, dürfte sich allmählich rumgesprochen haben, aber ich hatte das Gefühl, dass es eben immer noch gewisse Standards gibt, an denen man sich langhangelt (wie den klassischen Menüaufbau). Das kann man anscheinend heute auch knicken und ich persönlich fand das sehr gut. Aber das wusste ich eben erst, nachdem ich dort essen war.

Was gleichzeitig fies und gut war: Das Lokal ist recht dunkel. Schwarze Möbel, schwarzer Teppich (schwarze Klos, wie ich irgendwann grinsend feststellte), graue Wände und nur punktuelle Beleuchtung. Gut, weil: schöne Atmo, fies, weil: keine vernünftigen Fressfotos möglich. Das ist jetzt doof für euch, weil ihr mir einfach glauben müsste, dass alles, wirklich alles toll aussah und (bis auf einen Gang) noch toller schmeckte, aber nach einem Foto habe ich es sofort gelassen, noch ein weiteres zu machen, das war alles eher mies ausgeleuchtete, kontrastarme Grütze.

Die Grüße aus der Küche waren zunächst Bonito mit kleinen Kohlrabikügelchen und knackigen Röstbröseln drauf, danach kam ein winziger Pie (ungefähr so groß wie ein Reese’s Peanut Butter Cup), der mit einem Schaum bedeckt war. Wir wurden angewiesen, alles auf einmal zu essen, weil der Inhalt flüssig war: heißer Dotter, frisch und würzig, nicht ganz so würzig wie der Bonito, herrlich. Danach gab’s noch ein Stückchen Sardine unter kalter, fermentierter gelber Rübe, die so wunderschön schuppenförmig aufgeschichtet war, dass ich sie kaum essen wollte. Also für fünf Sekunden.

Erster Gang: Artischockenblättchen, die eingerollt den Rand einer runden Form bildeten, darin weiche Miesmuschel, knuspriger Roggen und deftiges Txogitxu. Ich bewunderte wie immer die viele Filigranarbeit, die in der Sterneküche zum Einsatz kommt. (Die Artischockenblättchen!)

Beim zweiten Gang musste ich etwas kämpfen: Die Website sagt „Enten Royale, Rote Garnele, Backerbsen“, ich dachte an Muschelschleim, der mir die feste Garnele etwas ruinierte. So ganz der Fischesser bin ich immer noch nicht, weswegen ich halt etwas misstrauisch war, wie ich schon sagte.

Aber egal, denn dann kam der Gang des Abends und von mir aus hätten wir hier Schluss machen können (dann hätte ich aber noch viel versäumt): Brandade aus Amurkarpfen und Kaviar vom Saibling. Anders ausgedrückt: ein hohes Schälchen, auf dessen Boden sich die weißgelbliche, cremig-feste Brandade befand, darauf eine Nocke aus Kaviar. Mehr nicht. Reichte aber. Der Gang wurde uns serviert mit der Anmerkung, dass er der Signature Dish des Hauses war, und nach einem Bissen wusste ich auch, warum. Es hört sich total bescheuert an, aber dieser Gang hat nicht nur hervorragend geschmeckt (ach was), sondern irre gute Laune gemacht. Der Kaviar platzte im Mund nicht nur einfach auf, wie er das halt macht, sondern er kitzelte im wahrsten Sinne des Wortes den Gaumen – ich musste dauernd grinsen, als ob mich wirklich jemand kitzelt! Es schmeckte so unglaublich ausbalanciert, fein, stimmig, herzhaft, nicht deftig, gleichzeitig frisch und modern und total traditionell – ein kleines Wunderwerk. Ich war kurz davor, mit dem Finger das Schälchen auszukratzen, so ungern wollte ich es wieder hergeben. Und dazu gab es den Wein des Abends, obwohl es kaum möglich ist, hier einen besonders hervorzuheben, denn jeder einzelne konnte überraschen. Aber der Sol von Michael Gindl, ein natural wine, war der Kracher. Überhaupt hatten wir derartig viele nicht-klassische Weine – ich glaube, wir hatten nur Bio-Weine, aber das muss ich nochmal nachgoogeln. Ich bin gerade zu satt und müde dafür. Wir konnten uns übrigens zwischen einer Weinbegleitung nur aus Österreich oder aus ganz Europa entschieden, und wir nahmen die aus Österreich.

Wir sprachen danach noch lange über diesen Signature Dish, denn er verkörperte für uns die Faszination von hoher Küche: Es braucht keine 50 Zutaten, um einen Gang zu produzieren, der einen umhaut bzw. einen starken und langanhaltenden Eindruck hinterlässt. Man muss es sich nur gönnen können, eben nicht zum Schnitzelmann um die Ecke zu gehen. Mir ist klar – das schreibe ich quasi dauernd bei den Sterneberichten –, dass diese Art Küche nicht für alle erschwinglich ist, was verdammt schade ist. Denn ich glaube, es würde weniger Vorurteile über sie geben, wenn man auch ein Einsteigermenü präsentieren würde. Und ich glaube, es würden mehr Menschen feststellen können, wie toll Essen sein kann. Das musste ich ja auch erst lernen, und es gibt wirklich nichts, was mein Leben mehr verbessert hat als zu wissen, wie glücklich Essen machen kann. Denn das war genau das Gefühl, mit dem wir irgendwann den Laden verließen: Wir waren glücklich.

Aber noch waren wir hungrig. Beim vierten Gang – Lachsforelle mit Senfgürkchen und Dillsauce – war letztere begeisternd mit ihrer vollmundigen Frische. Und ich fand den Teller toll: eine runde Holzscheibe, aus der ein Rechteck gesägt war, in dem sich die Speisen befanden.

Der fünfte Gang war der einzige, von dem ich etwas enttäuscht war: irre viele Zutaten, der Kellner brauchte gefühlt zwei Minuten, bis er alle aufgezählt bzw. uns gesagt hatte, wo sich jetzt was in welcher Konsistenz auf dem Teller befand (Neusiedlersee Zander, Haselnuss, Pilz, Trüffel, Mark), aber geschmeckt hat’s nur nach Pilz. Dafür war der sechste Gang (Unagi, Ibéricoschweinsauce, Senf, Fenchel) wieder herrlich würzig, ohne sich in den Vordergrund zu drängeln. Auch darüber waren wir uns einig: Es stimmte einfach alles am Menü, es war ein guter Flow, zwischendurch ein etwas höheres Hoch als sonst, aber man hatte nie das Gefühl, irgendwie aus einer roten Linie rausgeworfen zu werden. Mein zweitliebster Gang kam zum Schluss: Kroatischer Langostino, Kalbszunge, Cochayuyo-Seetang, Zitrus. Oder anders: ein Langostino, der im Mund dahinschmolz, mit einer Kalbszungenwürze, die stützte, aber nicht überhand nahm. Und die kleinen Zitrusspitzen, die den Mund aufweckten, ließen mich wieder dümmlich-glücklich vor mich hingrinsen, weil sie gute Laune machten, wo ich sie gar nicht erwartet hatte.

Danach gönnten wir uns jeweils fünf Stückchen Käse vom Käsewagen, der schon den ganzen Abend verführerisch an uns vorbeirollte, und dazu einen Pseudo-Sherry (war ein Wein). Das erste von drei Desserts kam ohne Weinbegleitung, aber knackte wieder schön vor sich hin, wie so viele der Gänge. Und: Mich konnte hier der Teller sehr glücklich machen. Oberflächlich gesehen lag eine Schicht gepuffter Wildreis auf dem Teller, aber darunter verbargen sich im Teller drei Mulden, die mit Mascarponecreme und Johannisbeeren gefüllt waren. Dazu Salzmandeleis. Because they can.

Zum vorletzten Dessert gab’s dann ein Getränk, von dem F. seitdem nicht mehr aufhört zu schwärmen: Apfelbier. Ich war mehr vom Dessert verzückt, denn Meerretticheis kannte ich noch nicht, und ich bewunderte die hauchdünne Schokoscheibe, die alles abdeckte. Zum Schluss noch irgendwas Jogurtiges mit Estragongelee, was mir sehr gefiel, weil es eben nicht die Schokobombe war, die einen erledigte, sondern einen fast erfrischt vor die Tür kugelte. (Okay, ein paar Pralinen gab’s noch.) Espresso für mich, Schnaps für F., dann drückte uns der Sommelier (?) noch die von ihm schnell handgeschriebene Weinliste in die Hand, um die ich gebeten hatte, damit ich mir vom dem Orange Wine und vom Wein, der den ersten Gang begleitete, jeweils eine Kiste kaufen konnte. Und dann schlenderten F. und ich äußerst zufrieden wieder ins Hotel, weil wir einen sehr runden, sehr schönen, sehr unaufgeregten und gleichzeitig sehr spannenden Abend hatten. Und sehr satt geworden waren.