Tagebuch Donnerstag, 7. Februar 2019 – Feiertag und Weltuntergang
Gearbeitet. Auf DHL gewartet, gelernt, dass es Kartons für 18 Flaschen gibt (die Zwölferkiste kannte ich), danke fürs Schleppen, freundlicher DHL-Mitarbeiter, jetzt bin ich wieder mit Stoff vom Lieblingsweingut versorgt. Viel gelesen.
Abends mit F. was zum Feiern gehabt, das wir im Freisinger Hof erledigt haben. Keine Fotos, aber: Lachscarpaccio, Tafelspitz und Schokokirsch waren sehr wohlschmeckend. Der Herr kämpfte Blutwurst, Backhendl und Limettenmousse nieder, wir gönnten uns beide noch ein Blutorangenschnäpschen und ließen uns von pünktlichen Öffis beschwingt und glücklich nach Hause tragen.
Neu auf der immer offenen Blaufränkisch-Liste: The Butcher vom Weingut Schwarz (Burgenland). Weniger fruchtig, mehr so wumsig, tolles Zeug. Macht dem bisherigen Lieblingsblaufränkisch von Moric ernste Konkurrenz.
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Ich lese zum ersten Mal bei der @Twitlektuere mit und weiß gar nicht, wie man über das Buch Die Zukunft der Menschheit des schwedischen Philosophen Nick Bostrom auf 280 Zeichen sprechen soll. Im Sammelband stehen sechs Aufsätze, die zwischen 2003 und 2013 veröffentlicht wurden, was ich aber erst nach dem Kauf kapiert habe. Das wunderte mich schon: Ich bin sehr gespannt darauf, wie gut sich ein Text von 2003, der sich mit Computersimulationen befasst, im Jahr 2019 noch liest.
Gestern las ich den ersten Aufsatz, der gut 40 Seiten lang ist, und war damit ernsthaft über Stunden beschäftigt. Ich konnte mich aber schon mal über ein unerwartetes generisches Femininum freuen, bei dem ich mich natürlich frage, wie Übersetzer Jan-Erik Strasser darauf gekommen ist (ich kenne das Original nicht). Egal, Freude.
Die Seite im Tweet sieht noch sehr unbeleckt aus, später sahen dann alle eher so aus:
Bostrom verhandelt in seinem Aufsatz vier Szenarien für die Zukunft der Menschheit, die er übrigens in Tausend- bzw. Zehn- und Hunderttausender Jahren rechnet, nicht so läppisch die nächsten 20 oder so, nein, der große Wurf. Wobei er auch Aufsätze anderer Wissenschaftler zitiert, die teilweise die Chance der Menschheit, das 21. Jahrhundert zu überleben, pessimistisch bei fifty-fifty sehen. Spätestens da begann ich mich auf den späteren Blaufränkisch zu freuen.
Zunächst beschreibt Bostrom, welche Veränderungen auf die Menschheit zukommen könnten, die zu ihrem Untergang führt. Natürliche Katastrophen sieht er nicht als universellen Killer, die hätten wir schon ewig überlebt, das passt schon. Klingt nicht gut für die Klimaschützer, ich zitiere:
„Obwohl diese Prognose [Erwärmung von 1,1 bis 6,4 Grad, Meeresspiegel steigt irgendwas zwischen 18 bis 59 cm an] durchaus eine Reihe von Klimaschutzstrategien rechtfertigen könnte, besteht kein Grund zur Panik [WIESO NICHT, WANN DENN SONST?], wenn wir das Ganze unter dem Blickwinkel der Zukunft der Menschheit betrachten. Selbst der Stern Review on the Economics of Climate Change, ein Bericht für die britische Regierung, der verschiedentlich als zu pessimistisch kritisiert wurde, schätzt, dass die Erderwärmung (wenn wir nichts dagegen unternehmen) den globalen Wohlstand um einen Betrag vermindern wird, der umgerechnet einer dauerhaften Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs zwischen 5 und 20 Prozent entspricht. In absoluten Zahlen wäre das zwar ein enormer Schaden, andererseits wuchs das weltweite BIP im 20. Jahrhundert um rund 3700 Prozent und das BIP pro Kopf um etwa 860 Prozent. Es scheint daher ziemlich sicher zu sein (falls unsere besten wissenschaftlichen Modelle des Erdklimas nicht völlig verkehrt sind), dass alle negativen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gegenüber anderen Faktoren völlig vernachlässigbar sein.“ (S. 27/28)
Ich lasse das mal so stehen bzw. frage mich, ob wir über etwas mehr nachdenken sollten als über die „wirtschaftlichen Folgen“ des Klimawandels oder ob das alles umfasst.
Aber gut. Die Natur bringt uns also nicht um, sondern wir, und zwar durch unsere selbstgebastelten Technologien. Sie bringen Risiken mit sich, die wir schlicht nicht übersehen können. Aber: Sie bringen ebenfalls Möglichkeiten mit, wie wir mit diesen neuen Risiken umgehen könnten. Behauptet Bostrom einfach, ich hoffe das wenigstens.
Bostrom entwirft dann vier Szenarien, was mit der Menschheit in Zukunft passieren könnte, eine davon ist der totale Untergang, vermutlich durch unsere eigenen Hände bzw. die Technik, die wir damit gebastelt haben. Ein totaler Untergang wäre auch gar nicht so unwahrscheinlich, denn bisher sind geschätzt 99,9 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde lebten, untergegangen, also warum nicht auch die Menschen? (S. 22)
Ein anderes Szenario wäre der zyklische Kollaps, den Bostrom aber für weniger wahrscheinlich hält, und ich weiß immer noch nicht, ob das jetzt tröstend ist oder nicht. In einem zyklischen Kollaps ruinieren wir unsere Spezies immer und immer wieder, aber nie komplett, einige von uns bleiben übrig und erfinden das Rad oder den Mac nochmal neu. Wir erholen uns wieder – und kloppen uns dann wieder, werfen Atomraketen, setzen Viren in die Welt, was auch immer. Dass dieser Zyklus niemals wieder durchbrochen wird und wir entweder endlich aussterben oder uns, eine weitere Theorie, zu posthumanen Wesen weiterentwickeln, hält Bostrom für weniger wahrscheinlich als die anderen beiden Möglichkeiten. Ich persönlich traue der Menschheit durchaus viele Dummheiten zu, aber in diesem Punkt glaube ich, dass er Recht hat.
Das dritte Zukunftszenario ist das Plateau: Wir entwickeln uns bis zu einem gewissen Punkt und bleiben dann da. Laut Bostrom auch eher Quatsch, und das verstehe ich sogar. Ich glaube nicht, dass wir uns irgendwann mit irgendwas zufriedengeben, irgendein Planet ist immer da, auf dem wir noch nicht waren, eine Erfindung wartet, an die wir gestern noch nicht gedacht haben etc. Bostrom formuliert es so:
„Wer nicht an solche Entwicklungen glaubt, sollte sich fragen, ob sich seine Skepsis wirklich auf die Unmöglichkeit oder doch nicht eher bloß auf den Zeithorizont bezieht. Einige dieser Technologien [menschliche Lebenserwartung auf 1000 Jahre hochschrauben, individuelle Charakterformung durch Pharmaka, maschinelle Intelligenz etc.] werden zwar schwer zu entwickeln sein, aber heißt das, dass wir sie niemals entwickeln werden? Nicht einmal in 50 Jahren? 200? 10.000 Jahren?“ (S. 34)
Sein letztes Szenario wäre die Weiterentwicklung des Homo Sapiens in eine posthumane Lebensform. Diese charakterisiert er unter anderem durch eine Lebenserwartung von mindestens 500 Jahren, eine vollständige Kontrolle über eigene Sinneswahrnehmung, kaum noch vorhandene psychische Leiden oder andere ähnlich tiefgehende Veränderungen der Spezies. Bostrom beschreibt in diesem Abschnitt auch die Singularitätshypothese, nach der während einer Periode „extrem schneller technologischer Entwicklung uns die Posthumanität ganz plötzlich beschert“ wird (S. 39). Er zitiert auch weitere Vertreter dieser Hypothese, die ihre eigenen Voraussagen, was den Zeithorizont angeht, aber immer wieder korrigieren. Er zitiert außerdem Vaclav Smil, der die 1880er Jahre für die innovativste Dekade der Menschheit hält, die uns aber nicht plötzlich posthuman machen konnte.
Der Aufsatz endet mit der Schlussfolgerung, dass totaler Untergang und Weiterentwicklung auf ein posthumanes Level die wahrscheinlichsten Möglichkeiten für die Zukunft der Menschheit seien. Aber hey, Hoffnung auf die Raumfahrt: „[S]obald bestimmte kritische Technologien und autarke Kolonien im Weltraum geschaffen wurden“, sinkt die Möglichkeit des totalen Untergangs (S. 47). Ich setze jetzt alles auf die NASA und ähnliche Organisationen. Die Außerirdischen kann ich mir aber vermutlich abschminken, denn:
„Fast im gesamten Universum herrscht ein extremes Vakuum, und so gut wie alle materiellen Pünktchen darin sind so heiß oder so kalt, so zusammengepresst oder so ausgedünnt, dass dort keinerlei organisches Leben möglich ist. Räumlich wie auch zeitlich gesehen ist unsere Situation bemerkenswert.“ (S. 21)
Wir haben Wein und Schokolade. Alleine das ist bemerkenswert.
(Alle Zitate aus: Nick Bostrom: „Die Zukunft der Menschheit“, in: Ders.: Die Zukunft der Menschheit. Aufsätze, Berlin 2018, S. 9–47.)