Panic Room

Panic Room
(USA, 2002)

Darsteller: Jodie Foster, Kristen Stewart, Forest Whitaker, Dwight Yoakam, Jared Leto
Drehbuch: David Koepp
Kamera: Conrad L. Hall, Darius Khondji
Musik: Howard Shore
Regie: David Fincher

Es gibt dieses wunderschöne Sprichwort: Unwissenheit ist ein Segen. Meistens halte ich es für kompletten Blödsinn. Wer unwissend ist, ist doof, uninformiert, hat keine Erwartung.

Und manchmal denke ich: Wow, wär das toll, so ohne Erwartung oder Vergleich zu sein. Ich würde jetzt irgendwo in einem idyllischen Vorort einer mittelgroßen Stadt leben, hätte einen Mann, der morgens brav zur Arbeit geht (wahrscheinlich wäre er EDV-Sachbearbeiter), zwei Kinder, auf die ich unglaublich stolz wäre, weil sie sich schon alleine die Schuhe zubinden können, ich würde halbtags als Reiseverkehrskauffrau arbeiten und abends warm kochen, damit die Familie zusammen am Tisch sitzt. Danach kuscheln mein Göttergatte und ich auf der Porta-Couch, die ich als den Inbegriff guten Designs ansehen würde, während die Kinder noch ein bisschen mit der Playstation daddeln dürften. Und das alles, weil ich es nicht besser weiß und daher auch nichts vermisse.

Und wenn ich ins Kino gehen würde, wären Filme wie Panic Room genau das Richtige für mich.

Ein Film, dessen Ende mich total überraschen würde. Das liegt aber nur daran, dass ich vorher noch nie einen Film wie The Game (von David Fincher, dem Regisseur von Panic Room) gesehen habe, dessen Schlusspointe ihren Namen wirklich verdient.

Ein Film, bei dem ich mich fest an meinen Gatten kuscheln könnte, weil ich mich ganz doll gruseln würde bei dem dunklen Set, den fiesen Gangstern und der unheimlichen Handlung. Ich habe schließlich noch nie einen Film wie Seven (Regisseur: David Fincher) gesehen, der wirklich gruselig war, den bösesten Bad Guy in der Filmgeschichte und eine sehr clevere Story hatte.

Vielleicht würde ich mich selbst in meiner geistigen Beschränktheit über einige optische Sperenzchen freuen, wie eine Kamerafahrt durch die Wände des Hauses, in dem sich der Panic Room befindet. Oder den zugegebermaßen hübsch animierten Vorspann. Allerdings habe ich noch nie was von Fight Club (Regisseur: David Fincher) gehört, der furios mit Typo und innovativen Kamerafahrten arbeitet.

In meinem Spatzenhirn würde ich also Panic Room für ein Meisterwerk halten. Dann würde ich mich nicht darüber ärgern, welche lahme Leistung ein intelligenter Regisseur wie David Fincher (dessen weiterer Film Alien 3 auch nicht gerade schlecht war) hier abliefert. Ich würde mich nicht über total banale Storyfehler ärgern (der Makler verspricht Mutter und Tochter, dass die Panic Room Stahltür niemals irgendwas oder irgendjemand einklemmen könnte, da sie Lichtsensoren habe – und jetzt ratet, was dem einen Gangster eine Stunde später im Film passiert). Ich würde mich nicht darüber ärgern, dass jeder Anflug von Spannung durch blöde Witzchen wieder versaut wird (Mutter und Tochter sind im Panic Room eingeschlossen, die Tocher blinkt mit einer Taschenlampe SOS zu einem Nachbarn rüber, wir leiden mit den beiden in ihrer klaustrophobischen Enge und hoffen inständig, dass dieser lahme Nachbar kapiert, welche Lichtzeichen ihn gerade anblinken – da fragt Jodie Foster ihre Filmtochter, woher sie sowas könne, und sie sagt sitcomtrocken: Titanic).

Dann hätte ich jetzt einen echt netten Kinoabend gehabt. Kann man seinen IQ oder sein Filmwissen für zwei Stunden ausschalten, damit man mal wieder einen guten Film sieht? Einfach, weil man keine Erwartungen an ihn stellt? Oder weil man eben auch mit durchschnittlichen, inkonsequenten Storys zufrieden ist?

One, Two, Three

One, Two, Three
(Eins, zwei, drei, USA 1961)

Darsteller: James Cagney, Horst Buchholz, Lilo Pulver, Pamela Tiffin, Hanns Lothar
Drehbuch: Billy Wilder & I.A.L. Diamond
Kamera: Daniel L. Fapp
Musik: André Previn
Regie: Billy Wilder

Mein Papa ist kein Fan von modernen Kinos. Ihm ist das alles zu laut, es sind zu viele Leute da, und er mag kein Popcorn. Aber immer, wenn One, Two, Three im Programmkino lief, schnappte er sich die ganze Familie und spendierte die Kinokarten. Als Kind hatte ich nicht wirklich den Durchblick über deutsche Geschichte und den kalten Krieg, aber anscheinend klappen Filme mit außergewöhnlich guten Drehbüchern auch ohne profunde Hintergrundbildung.

Es geht um einen Coca-Cola-Vertreter in West-Berlin (James Cagney, der vor jeder seiner Szenen gesteppt hat, um atemlos durch die Dialoge zu hetzen), der versuchen will, Coca-Cola auch in die Sowjetunion zu importieren. Nebenbei muss er noch auf die verwöhnte Göre seines Chefs aus Atlanta aufpassen, die mal kurz für vier Wochen vorbeischneit und keine Ahnung von Weltpolitk hat. Sie verliebt sich in einen Kommunisten aus Ost-Berlin (Horst Buchholz, als er noch gut aussah), heiratet ihn sogar, Cagney versucht, alles wieder rückgängig zu machen, weil er um seine Beförderung fürchtet, scheitert aber, ersinnt Plan B, muss dafür Buchholz einer Gehirnwäsche unterziehen, um aus ihm einen passablen kapitalistischen Schwiegersohn zu machen, nebenbei führt er Verhandlungen mit fiesen Russkis (einer davon ist Ralf Wolter, der gute Sam Hawkins aus den Winnetou-Filmen), hat Stress mit seiner Frau, die ihn immer mit „Mein Führer“ anredet, muss seine außereheliche Affäre mit Fraulein Ingeborg (Lilo Pulver, knackig) managen, die ihm Unterricht in deutschen Umlauten gibt und versucht vergeblich, seinem deutschen Assistenten Schlemmer das militärische Hacken-Zusammenschlagen abzugewöhnen. Das alles passiert in unglaublich kurzweiligen 90 Minuten und beinhaltet Dialogperlen wie: „Ihr Russen könnt gar keine Cola herstellen. Ihr habt’s mal versucht, aber nicht mal die Albaner wollten es trinken. Sie haben ihre Schafwolle damit gefärbt.“

Der Film war 1961 ein Flop, denn dummerweise fiel der Bau der Berliner Mauer mitten in die Dreharbeiten. Regisseur Billy Wilder musste den Film in den Münchener Bavaria-Studios mit einem Brandenburger Tor aus Pappe fertig stellen. Und seltsamerweise wollte Ende 1961 niemand in Deutschland einen Film sehen, der Witze über die DDR macht.

In den 80er Jahren wurde der Film wiederaufgeführt und wurde ein später Erfolg. Immerhin. Wer ihn wider Erwarten noch nicht gesehen hat, sollte das nachholen. Ich persönlich kenne keinen Film, der so viele Pointen in so hohem Tempo verbrät und sogar in der allerletzten Sekunde des Films noch einen Witz unterbringt.

Wer den Film allerdings schon kennt und vielleicht lieber was anderes als Abschiedsvorstellung für Billy Wilder sehen möchte – hier eine kleine Auswahl seiner besten Filme:

Double Indemnity (Frau ohne Gewissen, 1944): Barbara Stanwyck als eiskalte Mörderin – ein Novum in Hollywood: Frauen als Täter

The Lost Weekend (Das verlorene Wochenende, 1945): Einer der ersten Hollywood-Filme, die Alkoholsucht zum Thema hatten und sie drastisch darstellt

Sunset Boulevard (Boulevard der Dämmerung, 1950): Grandioser Abgesang auf das alte Hollywood, erzählt von einem Drehbuchautor, der tot im Swimming Pool einer Diva schwimmt

Sabrina (Sabrina, 1954): Zuckersüßer Mädchenfilm, in dem alle am Ende die richtigen kriegen (Obwohl: die wunderschöne Audrey Hepburn den Nussknacker Humphrey Bogart? Naja …)

Witness for the Prosecution (Zeugin der Anklage, 1957): Paraderolle für Marlene Dietrich als eiskalte Femme Fatale in diesem spannenden Gerichtsthriller. Oder ist sie etwa nicht die, für die man sie hält …?

The Seven Year Itch (Das verflixte siebte Jahr, 1957): Ich sag nur Marilyn im weißen Kleid über dem U-Bahn-Schacht

The Apartment (Das Appartement, 1960): Bittersüße Love Story mit Jack Lemmon und Shirley MacLaine

Irma La Douce (Das Mädchen Irma La Douce, 1963): Traumpaar Lemmon/MacLaine wiedervereint, diesmal als Hure und Polizist in kitschiger Paris-Kulisse

The Fortune Cookie (Der Glückspilz, 1966): Walter Matthau und Jack Lemmon als Versicherungsbetrüger

Und wer sich jetzt fragt, wie so ein großer Regisseur, der in seinen Filmen immer alles möglich gemacht hat, seinen eigenen Abspann nicht hat verhindern können, dem hilft vielleicht die unsterbliche letzte Zeile seines besten Films Some Like It Hot (Manche mögen’s heiß, 1959): Nobody is perfect.

Goodbye, Mr Wilder. Mein Papa und ich schauen uns nochmal One, Two, Three an. Vielleicht gucken Sie ja zu.

Le fabuleux destin d’Amélie Poulain

Le fabuleux destin d’Amélie Poulain
(Die wunderbare Welt der Amélie, F 2001)

Darsteller: Audrey Tautou, Mathieu Kassovitz, Rufus
Drehbuch: Guillaume Laurant, Jean-Pierre Jeunet
Kamera: Bruno Delbonnel
Musik: Yann Thiersen
Regie: Jean-Pierre Jeunet

Stell dir einen verregneten Sonntag vor. Du liegst im Bett, kuschelst dich in deine Decke, hörst dem Regen am Fenster zu und trinkst Kakao. Im Videorecorder liegt Die fabelhafte Welt der Amélie und wartet auf dich.

Du drückst auf den Startknopf. Und plötzlich geht die Sonne auf.

Dein Bett kann fliegen, deine Decke ist aus Sternen, der Regen klingt wie Kristall, und dein Kakao schmeckt wie Champagner. Eine kleine, fantastische Welt sprudelt aus dem Fernseher in dein Zimmer. Dir werden große und kleine magische Geschichten erzählt: die Geschichte zweier Träumer, die zueinander finden, weil sie für keinen anderen Menschen auf diesem Planeten bestimmt sind. Die Geschichte eines Malers, der erst durch Fernsehschnippsel ein Bild vollenden kann. Die Geschichte eines Mannes, der seine kleine Welt nur verlässt, weil sein Gartenzwerg es ihm vorgemacht hat. Die Geschichte einer trauernden Witwe, die Post von ihrem toten Mann aus dem Himmel bekommt. Und dazu viele weitere, liebevolle Geschichten von Menschen, die von Amélie glücklich gemacht werden. Und du gehörst auch dazu.

Du lachst mit den Menschen im Bilderbuch-Paris, wenn Amélie es dem bösen Gemüsehändler heimzahlt. Du weinst mit ihr, wenn sie vor Schmerz zu Wasser zerfließt, weil ihre große Liebe sie mit dem belanglosen Satz „Bist du das da auf dem Foto?“ anspricht, anstatt ihr einen Regenbogen zu erzählen. Oder mindestens ein Einhorn zu schenken. Du siehst fasziniert zu, wie das Geheimnis des Mannes gelüftet wird, der ständig Fotos in Passbild-Automaten macht und sie immer zerreißt und wegwirft. Du lernst, dass eine Katze in Paris gerne Kindergeschichten zuhört, dass manche Menschen weinende Sportler mögen und dass es ein guter Ersatz für Sex sein kann, Crème brulee mit dem Löffel aufzuknacken.

Und wenn der Film zu Ende ist, bleibt ein ganz warmes Gefühl im Bauch zurück und ein Lächeln in deinen Augen. Und egal, wer dich an diesem verregneten Sonntag noch anspricht, du möchtest ihn umarmen. Einfach, weil es nicht anders geht.

Gloomy Sunday

Gloomy Sunday
(Ein Lied von Liebe und Tod, D 1999)

Darsteller: Joachim Król, Ben Becker, Stefano Dionisi, Erika Marozsán
Drehbuch: Rolf Schübel, Ruth Thoma, nach dem Roman von Nick Barkow
Kamera: Edward Klosinski
Musik: Detlef Petersen, Rezsö Seress
Regie: Rolf Schübel

Es gibt Tage, die sich anfühlen, als würde die Sonne niemals untergehen. Es riecht nach blauem Himmel, nach Freundschaft, nach Hoffnung. An diesen Tagen ist alles möglich. Liebe wird nicht zerbrechen, Leben werden nicht enden, die Welt wird für einen Tag, vielleicht auch nur für einen Augenblick, ein guter, friedlicher Platz sein.

In solchen Tagen beginnt Gloomy Sunday. Ein außergewöhnlich guter deutscher Film, der sich nicht scheut, große Gefühle auszudrücken. Die ganze Geschichte ist hart am Kitsch – aber immer, wenn man das Gefühl hat, ein bisschen zuviel Zuckerguss serviert zu bekommen, kippt die Geschichte wieder in die Realität. Und die ist im Ungarn der Nazizeit eine böse.

Der Film handelt von einer großen Liebe zwischen Ilona, einer Kellnerin in einem Budapester Restaurant, und dessen Besitzer László (Joachim Król) und – dem Barpianisten András (Stefano Dionisi). Beide Männer lieben Ilona so sehr, dass sie sich eher mit dieser seltsamen Menage a trois arrangieren als sie aufzugeben. Und Ilona, die mit einer zauberhaften Leichtigkeit von Erika Marozsán verkörpert wird, schafft es, dem Verhältnis Stabilität und sogar Freundschaft statt Konkurrenz einzuhauchen.

Dieses kleine Paradies wird nur durch einen Gast des Restaurants, Hans (Ben Becker), gestört, der ebenfalls dem Zauber Ilonas verfällt. Sie weist ihn freundlich, aber bestimmt ab. Aber seine Zeit wird kommen: Spätestens, als er als SS-Kommandant in Budapest herrscht und damit über Leben und Tod des Juden László verfügen kann.

Die Lebensläufe der Hauptpersonen werden durch ein Lied zusammen gehalten: der Ballade vom traurigen Sonntag. Ein Lied, das in den 30er und 40er Jahren eine traurige Berühmtheit erlangte, denn viele Menschen nahmen sich zu diesen Klängen das Leben. Auch in Gloomy Sunday fordert das Lied Tribut; einer der Hauptpersonen wird ihm erliegen. Der Zuschauer leidet ein jedesmal mit, sobald die magischen Töne erklingen, denn der gesamte Film verströmt eine solche Anziehungskraft, der man einfach verfällt. Jede Figur wächst einem ans Herz, und man möchte sie nie wieder gehen lassen. Vor allen nicht an Tagen, die sich anfühlen, als würde die Sonne niemals untergehen. Was sie aber doch tut. Die Welt ist leider doch kein friedlicher Platz. Nicht mal im Film.

A Beautiful Mind

A Beautiful Mind
(A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn, 2002)

Darsteller: Russell Crowe, Jennifer Connelly, Ed Harris
Drehbuch: Akiva Goldsman, nach dem Buch von Sylvia Nasar
Kamera: Roger Deakins
Musik: James Horner
Regie: Ron Howard

Ich hatte die ganze Kritik schon im Kopf, bevor ich überhaupt die Kinokarte gekauft hatte: Das neue Meisterwerk von Kuschelregisseur Ron Howard (gell, wir haben es nicht einmal dem bösen, bösen Entführer aus Ransom gegönnt, dass er vor der Bank elendig verblutet, oder?). Nominiert für Hunderte von Oscars (dem fairsten Filmpreis ever). Und natürlich mit meinem persönlichen Schnuckel Russell Crowe (dessen goldgerahmtes Autogramm ich jeden Morgen küsse, bevor ich die Wohnung verlasse. Und der, wenn er nur wüsste, dass es mich gibt, sofort sein blondes Model verlassen und mit einem Diamantring nicht unter fünf Karat vor mir auf den Knien rumrutschen würde).

Kurz gesagt: Ich würde diesen Film lieben. Das ging gar nicht anders.

Pustekuchen.

A Beautiful Mind erzählt die Geschichte des Mathematik-Nobelpreisträgers John Nash. Dass er nicht besonders sozial ist, dass er auf der Suche nach der einen, wahren, überraschenden Theorie ist, die ihn in den Mathe-Himmel katapultiert. Und dass er mit einer netten Frau verheiratet ist, die auch bei ihm bleibt, als er an Schizophrenie erkrankt und noch seltsamer draufkommt als er eh schon ist.

Also alles Baukasten-Zutaten für die perfekte Oscar-Schmonzette. Da hab ich ja auch überhaupt nichts gegen. Gladiator war ebenfalls aus den klassischen Versatzstücken zusammengebastelt. Reden wir erst gar nicht von Titanic. Aber bei diesen Filmen habe ich hemmunglos vor Rührung geweint, habe mit den Hauptdarstellern mitgelitten, habe mich diebisch gefreut, wenn die Bösen eins aufs Dach kriegen und zum Schluss alles irgendwie gut ausgeht. Auch wenn der Protagonist stirbt, aber, hey, in jedem guten Film sterben die Helden. Deswegen heißen sie ja auch Helden.

A Beautiful Mind hat mich leider total kalt gelassen. Mir wurde überhaupt nicht klar, warum die schicke Schnitte Jennifer Connelly sich in diesen doofen, kauzigen, mit fieser Zahnprothese rumlaufenden Russell verliebt. Woher überhaupt dieser Drang von ihm kam, unbedingt der Beste sein zu wollen. Warum alle Princeton-Kommilitonen ihm Jahre später noch zu Seite stehen, obwohl er sich ständig wie ein Arschloch aufführt.

Dazu kommt die unsägliche „Wenn ich nur will, kann ich meine Schizophrenie überwinden. Das ist wie mit einer Diät: Ich beschließe, einige Dinge nicht zu essen. Und bei Schizophrenie beschließe ich, einige Dinge nicht zu sehen“-Storyline. Okay, ich gebe zu, ich habe in meinem Leben bis jetzt weder eine Diät durchgehalten noch Schizophrenie bekämpft, aber ist es wirklich so einfach, eine Geisteskrankheit mit dem Geist (sic!) zu besiegen?

Alles egal. Ich fand den Film langatmig und langweilig. Von den ganzen biografischen Details, die der Film geflissentlich übergeht, weil sie nicht in die Gutmenschen-Geschichte passen, fange ich gar nicht erst an. Und wegen der schon angesprochenen Zahnprothese und den noch nicht erwähnten fürchterlichen Frisuren, mit denen Russell verschandelt wurde, konnte ich mich nicht mal sabbernd im Kinosessel zurücklehnen und die Story nen guten Mann sein lassen.

Einziger Pluspunkt: die schauspielerische Glanzleistung von Russell, der der Versuchung widersteht, einen Geisteskranken auch so aussehen zu lassen. So ungefähr: Guck mal, Mama, ich schauspielere! Ich wackele mit dem Kopf! Ich tanze irr in der Gegend rum! Ich sabbere beim Sprechen! Guck doch mal, das ist ein sicherer Oscar! JETZT GUCK DOCH!

Diesmal leider nicht so gut: Jennifer Connelly. Die darf sich mehr oder weniger rehäugig durch den Film weinen. Und Ed Harris (ach ja, der spielt auch noch mit) ist ein Abziehbild seiner selbst.

Und wer mir jetzt das Wort „Pustekuchen“ ethymologisch erklären kann, den lade ich ins Kino ein. In einen anderen Film.

American Beauty

American Beauty (1999)

Darsteller: Kevin Spacey, Anette Bening, Thora Birch, Mena Suvari, Wes Bentley, Chris Cooper
Drehbuch: Alan Ball
Kamera: Conrad L. Hall
Musik: Thomas Newman
Regie: Sam Mendes

Ich hatte einen Freund. Karl. Er starb Ende 1999 und wurde 37 Jahre alt. Er war mir so ähnlich wie niemand sonst auf der Welt. Wenn es Seelenverwandte gibt, dann war Karl meiner.

Wir haben uns in Berlin kennengelernt, als ich mich um einen Studienplatz an der Filmhochschule beworben habe und er gerade sein ganzes Konto in Amerika leer geräumt hatte, um zwei Monate nach Deutschland zu fahren. Wir sind zufälligerweise durch die Mitwohnzentrale in derselben Berliner Wohnung gelandet. Wir trafen uns in der Küche, ich fragte ihn: Do you speak German? und alles war klar.

Karl und ich haben immer dieselben Filme geliebt. Sobald ein guter Film in Amerika anlief, rief er mich an, um mir zu erzählen, wie er war. Er rief an, wenn meine Lieblingsschauspieler bei Jay Leno oder Letterman waren, weil er wusste, dass ich jedes Wort wissen wollte. Manchmal sogar während der Show, um mich mithören zu lassen. Dafür meldete ich mich, wenn Elvis Costello im deutschen Fernsehen auftrat. Und er hörte die erste in Deutschland aus-gestahlte Folge von South Park und lachte über die deutschen Stimmen.

Wir haben zusammen die Oscars geguckt; er in Indiana zur Prime Time, ich in Deutschland zu nachtschlafender Zeit. Beim besten fremdsprachigen Film habe ich ihn angerufen, um mit ihm diesen Moment zu genießen, beim besten Film rief er an. Wir haben zusammen gesehen, wie The English Patient, Titanic und Shakespeare in Love ausgezeichnet wurden.

Der letzte Film, von dem Karl mir begeistert erzählte, war American Beauty. Ein Film, in dem Lester Burnham (Kevin Spacey) entdeckt, dass sein Leben kein Leben mehr ist, sondern dass er innerlich schon tot ist. Er beschließt, sein Leben zu ändern. Er erfüllt sich Wünsche, die völlig unvernünftig sind, er kündigt seinen sicheren Job, um in einer Imbissbude zu arbeiten – einfach, weil es Spaß macht, und nicht, weil es prestigeträchtig ist. Er tut plötzlich nur noch das, was er will. Und plötzlich merkt er, wie glücklich er ist, wie gut sein Leben eigentlich ist. Er wird plötzlich von einer tiefen, ehrlichen Dankbarkeit erfüllt, weil er so ein großartiges Leben haben darf. Und in diesem Moment stirbt er.

Mein Telefon klingelte mitten in der Nacht, und ich wusste, es waren keine guten Nachrichten. Karl war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Wir hatten gerade zwei Tage vorher noch im Internet gechattet, und er wollte mich eigentlich am Wochenende anrufen, um mich ausführlich zu fragen, wie mein neuer Job als Werbetexter in Hamburg wäre. Ich hatte ihm im Internet nur die kurze Fassung gegeben: Es ist großartig, nicht mehr kellnern zu gehen und sich zu wünschen, jemand anders zu sein. Es ist großartig, endlich etwas aus meinem Talent zu machen. Mein Leben ist großartig. Ich bin glücklich.

Und er sagte nur: I am so proud of you. And I am so happy to see you happy.

Drei Monate nach Karls Tod wurde American Beauty mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet. Ich habe die Verleihung alleine geguckt. Zu nachtschlafender Zeit. Niemand rief mich an. Aber ich wusste, Karl guckt zu. Die Show hat er sich bestimmt nicht entgehen lassen.

Ich bin dankbar dafür, ihn kennengelernt zu haben. Ich bin dankbar dafür, dass wir uns alles gesagt haben, was zu sagen war. Ich habe mein Leben geändert, um mich selber glücklich zu machen. Und ich hatte noch die Chance, den wichtigsten Menschen auf der Welt an meinem Glück teilhaben zu lassen.

Mein Leben ist großartig. Und manche Filme schaffen es, genau dieses Gefühl festzuhalten.

Tattoo

Tattoo
(D, 2002)

Darsteller: August Diehl, Christian Redl, Nadeshda Brennicke
Drehbuch: Robert Schwendtke
Kamera: Jan Fehse
Musik: Martin Todsharow
Regie: Robert Schwendtke

Ich geb mir ja Mühe. Ich guck ab und zu auch deutsche Filme. Soll mir keiner nachsagen, ich hätte Vorurteile. Deswegen hab ich mir gestern Tattoo angesehen und gehofft, dass dieser Film meine üblichen Bedenken dem deutschen Film gegenüber zerstreuen könnte.

Die da wären:

Deutsche Filme haben viel zu viele Dialoge und viel zu wenig Handlung. Die Schauspieler vergessen meist, dass sie nicht im Burgtheater sind, sondern auf einer Leinwand in Großaufnahme. Das heißt, wir kriegen ihre Botschaft auch ohne theatralische Gesten und Gustaf Gründgens-Timbre mit. Und: Die Storys handeln meist von gefrusteten Single-Frauen im Prosecco-Rausch mit schwulen Mitbewohnern. Einmal ganz lustig, beim 20. Mal zum Kotzen.

Daher honoriere ich den Ansatz, einfach mal was anderes zu drehen. Irgendwas anderes. Dafür gibt’s erstmal einen Pluspunkt.

Der Film Tattoo handelt von einem Killer, der es auf die Tätowierungen seiner Opfer abgesehen hat. Schöne Idee, wenn wir die Sache mit dem Hautklauen nicht schon aus Schweigen der Lämmer kennen würden. Der Killer ist aber nicht der Sammler der Hautstücke, sondern nur ein armes Auftragswürstchen. Auch schön, wenn wir die Idee des Untergrundrings von reichen Irren nicht schon aus 8mm kennen würden. Und der ganze Film spielt in einer düsteren Großstadt, die Hauptakteure sind ein junger Bulle auf seinem ersten Job und ein alter erfahrener Cop, die sich erst zusammenraufen müssen, und einer der beiden wird am Ende des Films nicht mehr der sein, der er am Anfang war. Auch schön, wenn wir das nicht alles schon aus Seven kennen würden. Dafür müssen wir den Pluspunkt leider wieder abziehen.

Tattoo bemüht sich zu sehr, seine großen Vorbilder zu kopieren, und schießt dabei übers Ziel hinaus. Er bringt sogar noch zusätzlichen Ballast in die eh schon überfrachtete Story: Wir müssen eine ach so tragische Hintergrundstory des alten Bullen ertragen, die den Film unnötigerweise 20 Minuten länger macht. Wir sehen kopfschüttelnd der geheimnisvollen fremden, wunderschönen Frau zu, die immer in weißen, hautengen Tops in viel zu kalten Räumen rumläuft. Und die natürlich mit dem jungen Bullen im Bett landet, aber nicht, bevor sie noch ein paar richtig bedeutungsschwangere Sätze losgeworden ist. Wir können uns über die bös zugerichteten Leichen amüsieren, die viel ekliger sein sollen als die in Seven, aber leider eher wie eine Schlachteplatte der FX-Praktikantin aussehen. Und wir nehmen nur noch gähnend das arg vorhersehbare Ende zur Kenntnis. Dafür gibt’s wieder einen Punkteabzug.

Einen Pluspunkt hab ich aber noch: der geht an die hervorragenden Schauspieler August Diehl und Christian Redl, die sogar die zugegebenermaßen wenigen deutschen Dummsinnssätze würdevoll über die Lippen bringen.

Der Film hat einige schöne Momente, hübsche visuelle Ideen und sogar ein paar kleine Überraschungen. Die obligatorische Sexszene ist wider Erwarten sehr ansehnlich geworden. Das wenige, was mich gefreut hat, wird leider wieder runter gerissen durch doofe Klischees: die Galeristin in der Wallpaper-Wohnung, der junge Bulle mit der türkischen Mitbewohnerin, die nicht kochen kann, der karrieregeile Kollege, der ständig „Fickst du mich, fick ich dich“ von sich gibt – uargh. Punkt gewonnen, Punkt zerronnen.

Bleibt übrig: ein Nullsummenspiel. Der Film hat mich nicht begeistert, er hat mich nicht enttäuscht, er hat mich nicht mal geärgert. Er hat mich einfach kalt gelassen. Aber wahrscheinlich nur, weil ich eben die schweigenden Lämmer, 8mm und Seven kannte. Wer die Filme nicht kennt, darf die deutsche Filmindustrie gerne unterstützen und sich Tattoo angucken. Es gibt schlechtere deutsche Filme. Aber eben auch ein paar bessere.

The Shipping News

The Shipping News
(Schiffsmeldungen, USA 2001)

Darsteller: Kevin Spacey, Julianne Moore, Judi Dench, Cate Blanchett
Drehbuch: Robert Nelson Jacobs, nach dem Buch von E. Annie Proulx
Kamera: Oliver Stapleton
Musik: Christopher Young
Regie: Lasse Hallström

Nach den ersten Filmkritiken, die ich in der Agentur rumgeschickt hatte, haben mich viele gefragt, warum ich das nicht als Job mache. Bis jetzt hatte ich immer fishing-for-compliments-Antworten dafür, so nach dem Motto, Ach, werbetexten kann ich besser, So gut sind sie doch auch nicht, Ist doch bloß ein Hobby. Aber es ist mir schon runtergegangen wie Öl. Und im Hinterkopf war natürlich immer der Gedanke, wenn mir hier alles zu doof wird, ruf ich bei der Cinema an – die nehmen mich bestimmt mit Kusshand.

Diese etwas übersteigerte Annahme ziehe ich hiermit offiziell zurück.

Es ist jetzt Sonntag abend. Ich habe Samstag The Shipping News gesehen. Ich habe seitdem ungefähr 40 Anfänge für die Kritik geschrieben. Und ich habe sie alle wieder gelöscht. Mein Problem: Ich weiß einfach nicht, was ich euch über diesen Film erzählen soll.

The Shipping News handelt von Quoyle (gut wie immer: Kevin Spacey), einem ziemlich ziellosen Loser. Er verliebt sich in den Freigeist Petal (gut wie immer: Cate Blanchett), zeugt eine Tochter mit ihr, sie findet ihn irgendwann ziemlich langweilig (da geht es ihr genauso wie dem Publikum), sucht sich andere Bettgenossen, kommt schließlich bei einem Autounfall ums Leben, aber nicht, bevor sie die kleine Tochter an eine Adoptionsagentur verkauft hat. Quoyles Eltern erzählen ihm per Anrufbeantworter auf seiner Arbeitsstelle von ihrem geplanten Selbstmord. Nebenbei erwähnen sie noch, dass sie es enttäuschend finden, dass er nichts aus seinem Leben gemacht hat.

Das alles lässt Quoyle einfach irgendwie über sich ergehen. Aus dem Nichts taucht eine Tante von Quoyle (gut wie immer: Judi Dench) auf, die ihn von New York nach Neufundland schleppt. Dort findet er Arbeit bei einem obskuren Lokalblättchen, wo er die Schiffsmeldungen schreiben darf, verliebt sich in eine alleinerziehende Mutter (gut wie immer: Julianne Moore) eines zurückgebliebenen Jungen, lernt ne Menge unheimliche Dinge über seine Vorfahren, die aus Neufundland stammen, schließt Freundschaften mit den ach so urigen Eingeborenen und ist am Schluss des Films nicht mehr der Loser, der er am Anfang war.

Die Story ist ein kruder Mix aus Selbstfindungs-Drama, Mystery-Irgendwas (die kleine Tochter sieht Dinge voraus) und Love Story. Und weil das anscheinend noch nicht anstrengend genug ist, kommen auch noch ein paar komödiantische Ansätze dazu: lakonische Dialoge, irre Kollegen, Tote, die wieder erwachen (wahnsinnig komisch) und wasweißich. Die Handlung besteht aus hundert Einzelgeschichten aus Quoyles Leben, die uns nacheinander serviert werden, ohne dass wir eine Linie erkennen. Ich weiß immer noch nicht, was mir dieser Film eigentlich sagen wollte.

Ich hab nicht geheult. Ich hab ab und zu gelacht, hatte aber immer das Gefühl, dass ich mir gerade die mühsam aufgebaute dramatische Stimmung selber zerlache. Ich habe mit keinem der Charaktere wirklich mitgelitten. Trotzdem hat mich die solide Leistung der Darsteller beeindruckt. Ich habe die wunderschönen Landschaftsaufnahmen genossen, habe sie aber gleichzeitig als total aufdringliche Metapher für die ehrliche, raue Seele der Einheimischen empfunden, die Quoyle heilen. Ich fand den Film schon unterhaltsam. Aber ich hätte auch mittendrin mal ne Viertelstunde aufs Klo gehen können, ohne das Gefühl zu haben, was zu verpassen.

Wie denn nun?

Ich weiß es nicht. Ich geb dem Film zwei Punkte von fünf. Lest lieber das Buch, das ist besser. Und ich schreib ab jetzt Buchkritiken. Die FAZ leckt sich schon die Finger nach mir.