Something’s Gotta Give

Something’s Gotta Give
(Was das Herz begehrt, USA 2003)

Darsteller: Jack Nicholson, Diane Keaton, Keanu Reeves, Amanda Peet, Frances McDormand, Jon Favreau
Musik: Hans Zimmer
Kamera: Michael Ballhaus
Drehbuch: Nancy Meyers
Regie: Nancy Meyers

Schade, dass Valentinstag gerade vorbei ist, denn Something’s Gotta Give wäre der perfekte Kinotipp gewesen: ein entspannter, lustiger, stellenweise hysterisch komischer, romantischer Film. Eine von den altmodischen Screwball-Komödien, allerdings mit modernen Zutaten wie E-Mails und Instant Messaging, aber im Kern immer noch der klassischen Rezeptur „Wir können uns absolut nicht leidern, wir mögen uns nicht, wir kommen irgendwie miteinander aus, wir finden uns nett, wir finden uns klasse“. Hier kommt noch „Wir fallen übereinander her – und danach wird alles anders“ dazu. Und als Sahnehäubchen sind die beiden, denen diese Geschichte passiert, Jack Nicholson und Diane Keaton. Da kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen.

Tut es auch nicht. Jack Nicholson spielt einen 63jährigen Plattenboss, der mit der knapp 30jährigen Tocher von Diane Keaton ausgeht. Beim ersten Sex erleidet er einen Herzanfall und wird von Mutter und Tochter (und einer frauenbewegten Freundin, die wundervoll von Frances McDormand gespielt wird) ins Krankenhaus gebracht. Hier begegnen sie einem jungen Arzt, der sich statt zur atemberaubenden Tochter zur Mutter hingezogen fühlt. Der Arzt ist übrigens der wie immer komplett unüberzeugende Keanu Reeves; aber in diesem Film war es mir sowas von egal, ob seine Sätze über EKGs und Infusionen glaubhaft waren oder nicht – die verknallte Art, mit der er Diane Keaton den Hof macht, war so schnuffig, dass man seinen Dialogen eh nicht zuhört, sondern ihn nur gnadenlos anschmachtet.

Das tut auch Diane, die geschmeichelt, aber auch ein wenig verunsichert darüber ist, dass sich ein jüngerer Mann für sie, eine geschiedene Frau in den 50ern, interessiert. Aber nicht nur Keanu entdeckt die Attraktivität dieser intelligenten, schlagfertigen und aufregenden Frau: Auch Jack stellt plötzlich fest, dass er anscheinend nicht nur auf 25jährige Models steht, sondern sich auf einmal zu jemanden hingezogen fühlt, mit dem bzw. der er überhaupt nicht gerechnet hatte.

Man ahnt bereits, wie es ausgeht, aber das ahnt man bei romantischen Komödien ja immer. Darum geht es bei dieser Art von Film ja sowieso nicht. Worum es geht, ist der Weg, sind die Hindernisse, die die beiden überwinden müssen, um sich zu kriegen. Und die sind in diesem Fall mal was anderes als die üblichen Neurosen, die man als Mittdreißiger entwickelt hat. Diesmal sind es die kleinen Macken, die man als über 50jähriger hat – und die noch schwerer loszuwerden sind als die, die man 20 Jahre früher hatte.

Diane Keaton spielt eine Frau, die nach ihrer Scheidung sehr eigenständig geworden ist und nun fürchtet, diese Selbständigkeit wieder aufzugeben, wenn sie ihr Herz verschenkt. Ihr Leben war schließlich gerade so schön geordnet – und nun scheint alles wieder von vorne loszugehen: das Herzflattern, die Eifersucht, die Enttäuschung darüber, dass niemand anruft … der ganze Krempel eben, der einem das Beziehungsleben schwer macht und einen das Schönste daran vergessen lässt: das Gefühl, dass jemand da ist, für den man das Wichtigste auf der Welt ist. Genau dieses Gefühl ist völliges Neuland für Jack Nicholson, der sich bisher um jede feste Beziehung gedrückt hat. Und so haben beide Schwierigkeiten, sich und ihre verschiedenen Leben unter einen Hut zu bringen.

Ich persönlich hatte sehr viel Spaß daran, den beiden dabei zuzusehen. Jack Nicholson ist wie immer großartig, wenn er komisch-sarkastisch ist. In Something’s Gotta Give wird er aber noch ein bisschen persönlicher. Weil seine Figur Parallelen zum wirklichen Nicholson hat, kommt jeder Gag, der auf den Altersunterschied zwischen ihm und seinen Mädels anspielt, doppelt komisch. Außerdem gibt er endlich diese manirierte Distanz auf, die As Good As It Gets etwas anstrengend gemacht hat. Hier liefert er sich ganz den Scherzen des Drehbuchs aus, macht sich gerne zum Deppen und „gönnt“ uns sogar absolut uneitel einen Blick auf seinen 60jährigen Hintern, als er mit Drogen vollgepumpt durchs Krankenhaus torkelt.

Aber dieser Film ist trotzdem nicht sein Film. Er gehört ganz Diane Keaton, die ich noch nie so komisch und gleichzeitig so entwaffnend menschlich und rührend gesehen habe. Jeder verzweifelte Blick von ihr hat mich die Angst einer etwas älteren Frau spüren lassen, für immer alleine zu bleiben. Jede Dialogzeile von ihr hat mich wissen lassen, dass Intelligenz und Esprit zehnmal mehr sexy sind als ein perfekter Hintern. Und jedes Lächeln von ihr hat mich überzeugt, dass alles gut ausgeht, wenn wir uns nur etwas mehr zutrauen würden.

Something’s Gotta Give ist kein dramatisches Meisterwerk, keine intellektuelle Herausforderung, keine Neuerfindung des Rades. Something’s Gotta Give ist ein herzerwärmender Film, der nicht ganz so fies verschnulzt daherkommt wie viele andere chick flicks. Denn im Gegensatz zu den perfekten Paaren, die sich in anderen romantischen Komödien finden, raufen sich hier zwei Menschen zusammen, die alles andere als perfekt sind. Hier finden sich zwei Charaktere, zwei Persönlichkeiten, zwei Biografien. Deshalb gönnt man es ihnen ihr Glück am Ende umso mehr. Und deshalb ist es eigentlich egal, ob der Valentinstag vorbei ist oder nicht – der Film ist in seiner hoffnungslosen Romantik im wahrsten Sinne des Wortes einfach zeitlos.

School of Rock

School of Rock
(USA, 2003)

Darsteller: Jack Black, Joan Cusack, Mike White, Sarah Silverman, Miranda Cosgrove, Robert Tsai, Kevin Alexander Clark, Joey Gaydos Jr.
Musik: Craig Wedren
Kamera: Rogier Stoffers
Drehbuch: Mike White
Regie: Richard Linklater

Was ich an Jack Black so mag, ist seine Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber. Ich habe bei ihm immer das Gefühl, dass er sich auf der Leinwand gerne zum kompletten Volltrottel macht, solange der Gag gut wird. Dafür zeigt er hemmungslos seinen nicht gerade schmächtigen Bauch, seine fettigen Haare und seine irrsinnigen Grimassen – Hauptsache, das Kinopublikum kann darüber lachen. Diese Qualität darf Black auch in der Komödie School of Rock unter Beweis stellen – aber es ist leider die einzige Qualität, die dieser Film besitzt.

Die Story ist so herzzereißend simpel, dass es wirklich jemanden wie Black braucht, um sie überhaupt noch interessant zu machen. Er spielt einen Musiker, der lieber vom wahren Rock’n’Roll und einer großen Karriere träumt anstatt einen in seinen Augen langweiligen Job anzunehmen und Geld für die Miete zu verdienen. Als er aber doch einmal dringend Kohle braucht, gibt er sich als sein Mitbewohner Ned Schneebly aus und wird an einer Grundschule als Feuerwehrlehrer eingestellt; anstatt nun aber den süßen Kleinen Mathematik und Geografie beizubringen, lädt er lieber seine Instrumentensammlung aus seinem verranzten Van und macht aus den Kids eine Band – komplett mit Manager, Roadies und Groupies. Sein Ziel: mit den Kindern an einem Bandwettbewerb teilzunehmen und 20.000 Dollar zu gewinnen.

Natürlich gibt es auf dem Weg zum vermeintlichen Ziel die üblichen Hindernisse: die Rektorin, die dem falschen Schneebly fast auf die Schliche kommt, besorgte Eltern, zickige Klassensprecherinnen, die kein Groupie sein wollen und nervöse Backgroundsängerinnen, die glauben, kein Talent zu haben. Und natürlich lernt auch Black, dass man nie aufgeben darf und dass man seine Träume verwirklichen soll, auch wenn sie manchmal anders wahr werden als man es sich vorgestellt hat. Pädagogisch wertvolle Messages alle fünf Minuten lang.

Das alles ist leider wenig aufregend, aber immerhin verleitet es ab und zu zum Schmunzeln. Denn das, was den Film zusammenhält, ist nicht die Story, sondern sein Hauptdarsteller, der sich vor den Kids um Leib und Seele singt und seine Gitarre so begeistert quält und pickt und in der Gegend rumschwenkt, dass man sich auch als Publikum ein bisschen anstecken lässt. Leider immer nur für wenige Minuten, denn das, was der Film uns sagen will – Rock’n’Roll befreit von allen Zwängen –, hält er leider nicht durch. Die Scheißdrauf-Attitüde von Black wird im Laufe der Zeit immer mehr verwässert zu „Vielleicht sollte ich doch was Anständiges machen“. Und wenn zum Schluss selbst die spießigen Eltern von ihren rockenden Kids begeistert sind, ist eh alles vorbei. Das, was Rock an Rebellentum zu bieten hat, wird hier wieder in genau die Bahnen gelenkt, aus denen Blacks Charakter eigentlich ausbrechen wollte. Ich jedenfalls habe mich besonders bei den Ramones-Songs im Hintergrund immer nach dem wundervoll anarchischen Film Rock’n’Roll High School gesehnt, in dem die Ramones eine ganze Schule auf den Kopf stellen, anstatt irgendwann E-Gitarren-Unterricht auf den Stundenplan zu setzen.

Was für mich persönlich den Film auch schwer erträglich gemacht hat, war die Tatsache, dass fast die ganze Darstellerriege aus Zehnjährigen bestand. Kein Wunder, dass Black so glänzen konnte – der Rest des Ensembles sind eben Kinder. Und so fühlt sich das grandiose Konzertfinale dann auch eher wie eine Mini Playback-Show an denn wie der Sieg des Punk über das Establishment.

Fazit: Der Trailer war witziger als der Film. Denn der dauert nur zwei Minuten und ist vor allem schneller geschnitten. Der Film selbst ist einfach zu lang und birgt zuwenig Überraschendes. Es macht allerdings Spaß, Jack Black zuzuschauen. Aber es nervt, allem anderen zuzuschauen.

21 Grams

21 Grams (21 Gramm, 2003)

Darsteller: Sean Penn, Benicio Del Toro, Naomi Watts, Charlotte Gainsbourg, Melissa Leo, Clea DuVall
Musik: Gustavo Santaolalla
Kamera: Rodrigo Prieto, Fortunato Procopio
Drehbuch: Guillermo Arriaga
Regie: Alejandro González Iñárritu

Der Titel des Film, 21 Grams, bezieht sich darauf, dass wir angeblich im Augenblick unseres Todes 21 Gramm an Körpergewicht verlieren. Ich habe den ganzen Film lang darauf gewartet, dass irgendetwas passiert, das diesen Titel rechtfertigt. Bis auf einen eher lahmen Monolog von Sean Penn am Schluss, dessen genauer Wortlaut auch schon auf dem Plakat steht, kam aber nichts. Was mich noch mehr verwirrt hat. Denn eigentlich geht es in 21 Grams nicht um den Tod, sondern um das Leben.

Die Geschichte: Die junge Ehefrau Cristina (Naomi Watts) verliert bei einem Autounfall ihren Mann und ihre beiden Töchter. Sie willigt ein, dass das Herz ihres Mannes dem todkranken Paul (Sean Penn) transplantiert wird. Dieser sucht nach seiner Genesung per Detektiv Angehörige des Spenders und findet Cristina. Aus Liebe zu ihr will er den Verursacher des Unfalls, Jack (Benicio Del Toro), einen ehemaligen Sträfling, der inzwischen zu Gott gefunden hat, umbringen.

Das Spannende an 21 Grams ist nicht unbedingt die Geschichte. Die kam mir seltsam bekannt vor, gewinnt aber durch die herausragenden Darsteller, die auch große Emotionen nie pathetisch rüberbringen, sondern einfach nur ehrlich und deshalb ergreifend gut sind. Das Spannende ist die Art, wie diese Geschichte erzählt wird. Statt sie linear vorzutragen, zerschneidet Regisseur Alejandro González Iñárritu (Amores Perros) sie in Einzelteile, seziert jede Gefühlsregung, jede Handlung, die unweigerlich eine nächste nach sich zieht, und hangelt sich so langsam, aber unausweichlich dem Ende entgegen.

Normalerweise bin ich ja ein Gegner derartiger filmischer Sperenzchen. Ich bin der altmodischen Meinung, wenn eine Geschichte gut ist, kann man sie ganz schlicht und ergreifend von vorne bis hinten erzählen, und sie wird mich bewegen, zum Lachen bringen, zum Nachdenken, was auch immer. Bei 21 Grams habe ich allerdings freudig überrascht festgestellt, dass es hier durchaus Sinn macht, die Geschichte anders zu erzählen. Durch das ständige zeitliche Vor- und Zurückspringen ergeben sich aus der Komposition der einzelnen Vignetten sehr schöne Gegensätze: Trauer und Freude, Schmerz und Glück, Leben und Tod prallen unmittelbar aufeinander, anstatt sauber getrennt voneinander stattzufinden. Und komischerweise macht es einem nichts aus, fast immer die Pointe eines Handlungsstrangs schon zu kennen, bevor man die Exposition sieht. Meistens jedenfalls. Die letzte halbe Stunde der 125 Minuten zog sich dann doch arg lang hin – da hätte ich mir ein bisschen weniger Verliebtheit in kleine Details gewünscht, vor allem, weil sich da die vergangenen Storys wirklich wie Ballast anfühlten, den wir und die Protagonisten doch schon längst hinter uns gelassen hatten.

Aber genau dieser „Ballast“ – Schuld, Sühne, Einsamkeit, Freude, Verzweiflung, Angst, Trauer, Liebe – ist es natürlich, der den Film vorantreibt. Cristinas Vater versucht, seine Tochter auf der Beerdigung ihrer Familie hilflos damit zu beruhigen, dass das Leben weitergehe, auch wenn sie das im Moment nicht glauben könne. Und sie sagt nur, dass das eine verdammte Lüge sei. Das Leben ginge eben nicht einfach so weiter. Und genau das zeigt der Film. Hier kommt die verschachtelte Erzählweise der Botschaft besonders zugute: Sie zeigt deutlich die Brüche in den jeweiligen Biografien. Keines der Leben der drei Charaktere geht einfach weiter.

Pauls Leben fängt quasi ein zweites Mal an; er glaubt sogar, durch das neue Herz ein neuer Mensch geworden zu sein. Eigentlich hatte er mit seinem Leben schon abgeschlossen und sogar aus purer Resignation einer Samenspende für seine Frau zugestimmt, damit diese über seinen Tod hinaus etwas von ihm haben könne, obwohl ihm diese Vorstellung überhaupt nicht behagt. Nach der Transplantation findet er zu seiner alten Stärke zurück, zu seiner eigenen Meinung. Allerdings nicht für lange Zeit. Auch dieses zweite Leben geht nicht einfach so weiter.

Cristina dagegen ist nicht nur die leidende Ehefrau, sie ist auch jemand, der sich aus Schmerz in längst abgelegte Gewohnheiten wie Drogen flüchtet. Und aus der vormals rationalen Frau, die keine Anklage gegen den Mörder ihrer Kinder erheben will, weil das niemanden wieder lebendig macht, wird eine leidenschaftliche Rächerin, die ihren Peiniger am liebsten selbst umbringen würde.

Die beste Rolle hat sich allerdings Benicio Del Toro als Jack Jordan geschnappt. Er begegnet uns in seiner ersten Szene als jemand, der Straßenkindern die Worte und Werke Jesu beibringen will. Er hat den Drogen abgeschworen, er hat seine Strafen für verschiedene Delikte abgesessen, er hat eine Familie, einen Job, und er geht in die Kirche. Und dann bringt er aus Versehen drei Menschen um, und sein gesamtes Weltbild bricht zusammen. Welche Irrungen und Prüfungen Gott, das Schicksal, das Leben auch für ihn bereithalten – nichts endet so, wie er es geplant hatte.

21 Grams lebt von außergewöhnlichen Schicksalen, die glaubhaft von Penn, Watts und Del Toro verkörpert werden. Er verliert sich nie in banalen Dialogen über Leben und Tod, sondern zeigt einfach nur, was uns alles passieren kann. Er ist ein kleines bisschen zu lang geworden, und man hat danach nicht wirklich gute Laune. Aber man nimmt eine Menge mit in sein eigenes Leben. Nur keine gute Erklärung, was der blöde Titel soll.

Was nützt die Liebe in Gedanken

Was nützt die Liebe in Gedanken
(D, 2003)

Darsteller: Daniel Brühl, August Diehl, Anna Maria Mühe, Jana Pallaske, Thure Lindhardt
Kamera: Jutta Pohlmann
Musik: Thomas Freiner, Ingo Frenzel
Drehbuch: Achim von Borries & Hendrik Handloegten
Regie: Achim von Borries

Was nützt die Liebe in Gedanken ist ein sehr ruhiger Film über eine sehr unruhige Zeit: die Zeit des Erwachsenwerdens. Die Zeit, in der man ständig an sich zweifelt, sich aber so gerne sicher wäre; die Zeit, in der Freunde alles sind und wir ohne sie nichts; die Zeit, in der wir uns unsterblich fühlen und daher jedes Risiko eingehen. Die innere Zerrissenheit, die dieser Zeit innewohnt, hat leider auch den Film erwischt: Er versucht, aber er scheitert.

Es geht um zwei Freunde, Günther und Paul, beide knapp 20, die 1927 in Berlin einen Selbstmörderclub gründen: Wenn der Moment gekommen ist, in dem sie keine Liebe mehr empfinden, wollen sie sich umbringen, und zwar nachdem sie die Menschen umgebracht haben, die ihnen die Liebe genommen haben.

Der Plan entsteht auf einem Sommerfest, das Günther im Wochenendhaus seiner Eltern gibt. Dabei ist auch seine jüngere Schwester Hilde, die in Hans verliebt ist – dummerweise genau wie ihr Bruder. Und Elli, die Nachbarin von Hilde und Günther, würde gerne mit Paul, der aber wiederum nur Augen für Hilde hat.

Dass keiner am Ende den bekommt, den er gerne hätte, steht von vornherein fest, denn der Film beginnt mit der polizeilichen Vernehmung von Paul. Das Manifest des Selbstmörderclubs wird ansatzweise verlesen, und wir erfahren, dass zwei Menschen gestorben sind; einer davon ist Günther. Mit diesem Wissen gehen wir auf das Sommerfest und schauen den Fünf und ihren zahlreichen Freunden dabei zu, wie sie Absinth trinken, rauchen, Swing-Platten abspielen, sich die Zukunft vorhersagen und sich näherkommen.

Ich hätte mir ein bisschen mehr Atemlosigkeit gewünscht, ein bisschen mehr Herzblut, ein bisschen mehr Zug, um zwingender auf das Ende zuzusteuern, das wir ja fast schon kennen. Die Atmosphäre auf dem Fest ist sicherlich mehr verschwitzt als romantisch, und man ahnt, dass der Kater böse wird; die schwüle, drückende Luft ist fast zu schmecken. Aber eben nur fast. Der Umschwung von einer heiteren Feier zu einem aussichtslosen und tödlichen Manifest kam mir zu überraschend. Eben noch unterhält man sich darüber, wie perfekt der Augenblick gerade ist, dass man ihn gerne festhalten würde – „Ist doch gut so. Ist doch alles da“ –, da entsteht aus dieser Sehnsucht, jetzt müsste man gehen, jetzt, wo alles perfekt ist, da entsteht ganz plötzlich die Idee, man müsste eher dann gehen, wenn man keine Liebe mehr empfindet. Wenn eben die Perfektion keine mehr ist.

Den Bruch konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Genauso wenig konnte ich generell die Todessehnsucht gerade von Günther nachvollziehen, der stets als der Starke erscheint und der in Paul einen wunderbaren Freund hat, der sich sogar für ihn prügelt, obwohl dieser eher der Zartbesaitete von den beiden ist. Wahrscheinlich wollte mir der Film sagen, dass Günther im Inneren eben doch nicht so stark ist, er an seiner unerfüllten Liebe zu Hans zerbrochen ist und deswegen den Tod gewählt hat. Das klingt ja sogar überzeugend, aber das habe ich auf der Leinwand nicht gesehen, auch wenn August Diehl jede Szene beherrscht, in der er zu sehen ist. Seine Rolle war mir persönlich einfach zu simpel angelegt; da nützt auch sein ganzes wundervolles Talent nichts.

Die Rolle der Hilde war da schon spannender: Sie erscheint stets als die Sprunghafte, die, die alle haben kann und keinen will. Nur Hans offenbart sie, dass sie ihn liebt und macht sich damit angreifbar und verletzlich – Attribute, die ihr die Öffentlichkeit unterstellt, die sie aber nie zugeben würde; die Zerrissenheit des Erwachsenwerdens eben. Lieber Schein als Sein. Anna Maria Mühe als Hilde ist mir manchmal ein wenig zu kokett, zu bemüht, eine forsche junge Berlinerin der 20er Jahre zu geben, aber auch sie hat ihre Momente, die so ehrlich und uneitel wirken, dass ich ihr den Rest der pseudo-verführerischen Augenaufschläge gerne verziehen habe.

Daniel Brühl als Paul und Jana Pallaske als Elli spielen beide sehr unaufgeregt ihre Rollen und vermeiden gekonnt jedes Drama, das ihren Charakteren innewohnt. Thure Lindhardt als Hans bleibt ein bisschen blass dafür, dass er eine zentrale Rolle der Tragödie ist; insgesamt aber haben die Darsteller den Film vor der kompletten Langeweile gerettet.

Ich hatte stets das Gefühl, dass die Szenen nicht ausgereizt wurden. Wenn mal ein bisschen Emotion kam, dann wurde sie mir zu früh ausgebremst, um mich zu erwischen. Die Szenen wirkten mir alle zu lang, teilweise zu gekünstelt und zu statisch, um die rohe Leidenschaft, den Irrsinn des Selbstmörderclubs zu vermitteln. Die Geschichte birgt so viel Potenzial, dass ich es sehr bedauert habe, es so zäh und ausgedehnt versanden zu sehen.

Der Film lebt von seinen sehr guten Darstellern, der perfekten Ausstattung und den schönen Dialogen, die ich sehr gelungen fand, weil sie mir einen sehr stimmigen Eindruck der Zeit vermittelt haben. Leider stokelt die Geschichte zu reißbrettartig auf ihr Ende zu, so dass nie richtig Spannung aufkam. Ich habe den Film eher mit freundlichem Interesse gesehen denn mit Faszination; ich war nicht berührt, ich war nicht abgestoßen. Aber genau eine dieser beiden Reaktionen hätte ich mir gewünscht, denn genau das wäre die Pointe der Geschichte gewesen: Kann ich den jugendlich-wahnwitzigen Plan der beiden nachvollziehen und ihn vielleicht sogar gutheißen oder lehne ich mich altklug zurück und bedauere die Hitzigkeit der Jugend?

So aber plätscherte schließlich nur der Abspann an mir vorbei, ich freute mich über die gute Musikauswahl und die Typografie und fragte mich die Frage des Filmtitels: Was nützt die Liebe in Gedanken? Nichts. Leider. Genau wie dieser Film. Leider.

Whale Rider

Whale Rider: schön. Poetisch. Berührend. Die Geschichte eines jungen Maori-Mädchens, das sich den Respekt ihres Großvaters erkämpfen muss, ist ein relativ einfach gestricktes Märchen. Das heißt aber nicht, dass es sich wie eine billige Geschichte anfühlt. Der Film überzeugt genau durch diese simple Gradlinigkeit; er wirkt nie aufgesetzt oder pathetisch, sondern einfach wahr. Die Bilder sind eher kühl und fast ein bisschen zu sehr zurückgenommen, aber dadurch wirkt die Kraft der Botschaft noch mehr. Wundervoll.

Identity

Identity (Identität): hmja. Hatte ich mir, ehrlich gesagt, mehr von versprochen. Ich fand ihn schon spannend, bis mittendrin die halbe Auflösung kam. Von da an war mir der Film relativ egal. Vor allem natürlich deshalb, weil John Cusack nicht mehr mitspielen darf. Und was die Krankheit angeht, die dem Film zugrunde liegt – nach Primal Fear kann da eh nix mehr kommen.

Down with Love

Down with Love (Zum Teufel mit der Liebe!): knapp daneben gegangene Hommage an die Doris Day/Rock Hudson-Filme der 60er Jahre. Renée Zellwegers putzige Koketterie passt zwar ausnahmsweise in die bunten Sets, und sie sieht klasse aus in den völlig wahnwitzigen Kostümen, aber die Story selbst ging mir schon nach fünf Minuten auf die Nerven. Genau wie der Südstaaten-Akzent von Ewan McGregor, den ich in einem bonbonfarbenen Hollywood-Schinken einfach nicht sehen will. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ich mir jetzt nicht einfach einen der Originalfilme wie Pillow Talk angucke, der in seiner ganzen Albernheit wenigstens ernst gemeinte Unterhaltung war. Down with Love soll wohl ein Kompliment an diese Filme sein, fühlt sich aber eher an, als ob sich jemand 40 Jahre zu spät darüber lustig macht. Nicht zu Ende geguckt. Aber der Anfang mit dem alten 20th Century Fox-Logo und der Einblendung „in Cinemascope“ war schon schön.

Calling up Betty at 5 in bed

I

Einen guten Cappuccino erkennt man daran, dass es ewig dauert, bis der Zucker im Milchschaum untergeht. Er sollte sich einige Zeit auf der Milchhaube halten, bevor er zu schwer wird und braun gefärbt versinkt. Das Loch, das er in die Haube gerissen hat, sollte sich wieder schließen, damit man das Spiel wiederholen kann, so lange, bis der Löffel im Zuckerschlamm steht. Dann kann man behutsam den Rest des Schaums unterheben. Und dann kann man den Cappuccino trinken, denn nach der ganzen Prozedur hat er genug Zeit gehabt, zur richtigen Temperatur abzukühlen.

Ich beobachte den Milchschaum mit dem Zucker jetzt schon zum dritten Mal. Es ist genauso faszinierend, wie Wasser zuzuschauen, wenn es im Abfluss verschwindet. Oh, merken: Sobald ich in Australien bin, nachgucken, ob das Wasser da wirklich andersrum abfließt.

Zu meiner dritten Tasse Cappuccino brösele ich an meinen Aufbackcroissants rum und überlege, was ich draufschmiere. Ich entscheide mich für Nutella und brösele und zuckere weiter vor mich hin.

Wenn Susann jetzt hier wäre, würde sie sagen, lass den Quatsch. Nimm nicht so viel Zucker. Und Croissant isst man nicht mit Nutella. Sie würde sich aufrecht an den Küchentisch setzen, formvollendet ihren Croissant mit einem Hauch von Butter bestreichen und ihn in kleinen, mundgerechten Häppchen essen, ohne dass ihr Lippenstift verschmiert.

Satt und zufrieden liege ich im Bett und starre an die Decke. Das Bett ist zu groß, aber nicht zu leer. Es ist nur ein Instinkt, antrainiert in jahrelanger Beziehungsarbeit, aber ich lange auf ihre Seite rüber, wie jeden Morgen, als ob sie da wäre und mich ungeschminkt anschauen würde, zweifelnd, wie das Wetter wird, ob der Job vielleicht heute Spaß macht, ob die neue Kollegin dünner ist als sie. Und ich streiche ihr die Haare aus der Stirn, küsse sie und versichere ihr, dass das Wetter klasse wird, der Job heute besser als je zuvor und die neue Kollegin eine blöde Schlampe ist. Und sie wird sich unwirsch wegdrehen und mir sagen, dass es regnen wird, ihr Job sie ankotzt und die neue Kollegin sich nach oben geschlafen hat.

Ich lange auf ihre Seite rüber und schnippse die Krümel meines Nutellacroissants auf den Fußboden.

Das Telefon klingelt. Ich lasse den Anrufbeantworter rangehen und höre mit wohligem Schaudern, wie Susanns Stimme verkündet, dass wir beide nicht da sind.
Es ist Tom.
„Geh schon ran, ich weiß, dass du da bist. Du hast übermorgen Abgabetermin, ich hoffe, du hast es nicht vergessen. An dem Auftrag hängt ne Menge. Steh endlich auf, du Irrer, und geh an das verdammte Telefon.“

Tom pöbelt noch ein wenig weiter, in der Hoffnung, mich mit Beschimpfungen zu motivieren. Das hat schon im Büro nicht geklappt. Und jetzt funktioniert es auch nicht. Im Geiste übersetze ich alle seine Flüche ins Englische, nur so als Training. Vielleicht muss man auch in Australien mal jemanden beschimpfen.

Susann ist immer gerne nach Frankreich gefahren. Einfach so an der Atlantikküste spazierengehen, Parfüm aus Grasse mitbringen und natürlich ein Foto vom Eiffelturm runter. Wir waren ganz oben auf der dritten Plattform. Mein Französisch ist mies, ich mag keine Schnecken und ich trinke lieber Bier als Rotwein. Aber das sind natürlich nur Klischees, wurde ich jedesmal vor der Abfahrt belehrt. Und jedesmal musste ich mich in Paris wie ein Idiot fühlen, wenn ich es wagte, zum Essen une bière zu bestellen.

Unser letzter Urlaub ist noch gar nicht so lange her. Kurz vor Susanns Auszug haben wir ein romantisches Wochenende in Paris gebucht. Was als Versöhnungsversuch gedacht war, endete in einem wüsten Streit auf dem Père-Lachaise, weil ich Bourbon auf Jim Morrisons Grab kippen wollte, was Susann unglaublich peinlich war. Sie rauschte davon, nahm den Lageplan mit und ich könne ja sehen, ob ich mich auch ohne sie zurechtfinden würde. Ich trabte also los, entschlossen, meinen Bourbon über einem Promi-Grab auszuschütten, rannte kopflos in irgendwelche Richtungen, unterschätzte völlig die Ausmaße dieses Friedhofs und blieb schließlich keuchend, teils aus Anstrengung, teils aus Wut, vor einem Grab stehen. Da ich den Inhaber nicht kannte, köpfte ich die Flasche Bourbon und nahm einen tiefen Schluck. Durch den Boden der Flasche entdeckte ich eine Rucksacktouristin, die in einem Lageplan blätterte. Ich ging auf sie zu und fragte in mühsamem Französisch, ob sie mir helfen könne, den Ausgang zu finden, damit ich meine blöde Freundin einholen kann, die hoffentlich nicht gerade das Hotelzimmer leer räumt und mich alleine ohne Pass auf einem Friedhof zurücklässt.

Betty guckte mich freundlich, aber völlig verständnislos an und zwitscherte: “Do you speak English?”

II

Was auch immer Susann den Rest des Tages in Paris gemacht hat, ich weiß es nicht. Ich erinnere mich, gefragt zu haben, damit sie aufhörte, dieses nervige Schmollgesicht zu ziehen. Aber sobald sie anfing zu erzählen, hörte ich nicht mehr zu, sondern sammelte die Hotel-Handtücher aus dem Badezimmer ein und stopfte sie in meinen Koffer.

Betty und ich sind den ganzen Tag von einem Museum ins nächste gerannt, weil sie unbedingt die Seerosen von Monet sehen wollte. Ich folgte ihr auf dem Fuß und hörte mir ihre Lebensgeschichte an, die ungefähr genauso banal klang wie meine. Aber bei jedem Punkt, der einen ihrer Sätze beendete, wurde ihre Stimme geheimnisvoll tiefer, so dass ich es kaum erwarten konnte, den nächsten Satz zu hören. Und bei jeder Pause, die sie machen musste, wenn sie auf dem Metro-Plan das nächste Museum suchte, kräuselte sie ihre Stirn, so dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht mit der Hand darüber zu fahren, um die Linien wegzuwischen. Und bei jeder Anekdote sprühten ihre Augen kleine Funken, die in meine Richtung flogen und als Feuerwerk bei mir ankamen.

Nach den Seerosen saßen wir vor dem Museum und guckten in den Himmel. Betty drehte für uns beide Zigaretten. Ich sah ihr dabei zu, wie sie die Tabakportion gleichmäßig verteilte und glattstrich, das Papier zu einer Röhre drehte und beide Klebseiten anleckte. Das sei das Geheimnis, sagte sie und schob die Papierhälften zu einer perfekten Zigarette zusammen. Sie entzündete sie, nahm einen Zug und blies einen Rauchkringel in die Luft, der sich erst nach einer Ewigkeit auflöste. Wir gingen in ein Café, wo ich ihr erklärte, woran man einen guten Cappuccino erkennt. Sie drehte mir Zigaretten, während ich den Zucker in ihre Tasse rieseln ließ.

III

Tom hat aufgehört, auf meinen – meinen! – Anrufbeantworter zu bellen. Ich rolle mich aus dem Bett und lösche das Band.

Wenn Tom die Zeichnungen haben will, muss er sie schon selber machen. Oder in meine Wohnung einbrechen und kriminell werden. Davor will ich ihn bewahren. Ich beginne, auf dem Fußboden herumzurollen. Das Zimmer dreht sich um mich. Die Wandfarben ändern sich. Der Boden unter mir wird kalt. Ich bin in der Küche angekommen. Ich erhebe mich und wühle nach meinen Zigaretten. Ich zünde mir eine an und gehe ins Schlafzimmer zurück, wo unter dem Bett die fertigen Zeichnungen liegen. Ich halte das Feuerzeug an das Papier und beobachte, wie meine Grundrisse in Flammen aufgehen. Die Asche fliegt im Zimmer umher. Ich trete die schwarzen Flecken in den Teppich und warte auf verbale Gegenwehr, von irgendwo her in der Wohnung. Es bleibt still, und ich lächele.

Tom haben meine Entwürfe immer gefallen. Er findet sie realistisch und doch kreativ, wie aus dem Lehrbuch und doch neu. Wir kennen uns seit der Schule. Er hat studiert, ich nicht. Er hat geheiratet, ich nicht. Er hat eine Firma, ich nicht. Er zahlt mein Gehalt. Jetzt nicht mehr.

Ich habe Tom von Betty erzählt. Von ihren Funken, ihren perfekten Rauchkringeln und dass sie eine gute Cappuccino-Trinkerin geworden ist. An einem Nachmittag. Ich habe dafür Jahre gebraucht.

Tom sagt, dass Australien ein blödes Land ist, weil da Weihnachten im Sommer ist. Und ich kann ja nicht mal Hunde leiden, wie will ich es da erst mit Kängurus aushalten.
Bis dahin konnte ich ihm folgen. Dann allerdings sagte er, ob Susann es schon weiß und dass ich bei ihm eine Kündigungsfrist einzuhalten habe. Ab da habe ich nicht mehr zugehört.

Tom habe ich zum letzten Mal vor einem Monat gesehen. Susann und ich waren zum Abendessen bei ihm und Tina eingeladen. Es fühlte sich an wie immer, und ich vermisste wie immer die Hintergrundmusik, um die Fernsehserie perfekt zu machen. Vor meinem geistigen Auge lief der Vorspann, als Tina die Suppe servierte, und ich wartete auf die Werbepause, um aufs Klo gehen zu können. Tina und Susann tauschten wie immer die Rezepte für die vier Gänge aus, während Tom über Zigarren fachsimpelte und ich da saß und den dankbaren Zuhörer gab.

Als Tina das Dessert servieren wollte, musste sie eine Markierung auf dem Boden des Studios übersehen haben, denn sie stolperte, und die wunderschöne Mousse au Chocolat ergoss sich über den Tisch, Susann und Tom. Drehbuchgerecht erstarrten die drei, während ich lauthals loslachte und anfing zu klatschen.

IV

Ich rolle wieder ins Bett zurück und lande auf der Fernbedienung. Die Stereoanlage springt an und spielt traurige Musik. Ich kann gar nicht sagen, ob Susann traurig war, als ich ihr sagte, dass ich sie verlassen wollte. Es war auf dem Rückweg von Tom und Tina; sie saß am Steuer und ich drehte am Autoradio rum, um die richtige Musik zu finden. Schließlich schaltete ich es aus und sagte es ihr. Sie fuhr einfach weiter und guckte starr auf die Straße. Ihre Handknöchel waren weiß und ihre Adern puckerten unter der Haut, aber sie weinte nicht. Das Kostüm war ganz neu.

Als wir zu Hause waren, fing sie an, die Sache auszudiskutieren. Während ich einfach nur da saß, zerpflückte sie unsere Jahre und Nächte und Träume, bis nur noch Teile da waren, die nicht zusammen passten. Sie fing an, hektisch Sachen in einen Koffer zu werfen, der von Paris noch nicht mal ganz ausgepackt war, und versuchte, die Teile wieder zusammenzufügen. Sie redete über unsere gemeinsamen Ziele und Pläne und die Wohnung und mein Leben, während ich daran dachte, dass Betty immer Zigaretten für mich drehen und ich immer ihren Cappuccino umrühren würde.

V

Seit Tagen versuchen mich Susann und Tom anzurufen. Ich liege im Bett und warte darauf, dass mein Reisepass fertig wird. Ich höre gerne ihren wichtigen Nachrichten zu, rolle zum Telefon und lösche sie sofort. Und wenn ich nicht gerade Croissants esse oder Unterlagen verbrenne, nehme ich das Telefon mit ins Bett und rufe in Australien an. Meistens ist es fünf Uhr. Entweder bei mir oder bei ihr.