Was nützt die Liebe in Gedanken
Was nützt die Liebe in Gedanken
(D, 2003)
Darsteller: Daniel Brühl, August Diehl, Anna Maria Mühe, Jana Pallaske, Thure Lindhardt
Kamera: Jutta Pohlmann
Musik: Thomas Freiner, Ingo Frenzel
Drehbuch: Achim von Borries & Hendrik Handloegten
Regie: Achim von Borries
Was nützt die Liebe in Gedanken ist ein sehr ruhiger Film über eine sehr unruhige Zeit: die Zeit des Erwachsenwerdens. Die Zeit, in der man ständig an sich zweifelt, sich aber so gerne sicher wäre; die Zeit, in der Freunde alles sind und wir ohne sie nichts; die Zeit, in der wir uns unsterblich fühlen und daher jedes Risiko eingehen. Die innere Zerrissenheit, die dieser Zeit innewohnt, hat leider auch den Film erwischt: Er versucht, aber er scheitert.
Es geht um zwei Freunde, Günther und Paul, beide knapp 20, die 1927 in Berlin einen Selbstmörderclub gründen: Wenn der Moment gekommen ist, in dem sie keine Liebe mehr empfinden, wollen sie sich umbringen, und zwar nachdem sie die Menschen umgebracht haben, die ihnen die Liebe genommen haben.
Der Plan entsteht auf einem Sommerfest, das Günther im Wochenendhaus seiner Eltern gibt. Dabei ist auch seine jüngere Schwester Hilde, die in Hans verliebt ist – dummerweise genau wie ihr Bruder. Und Elli, die Nachbarin von Hilde und Günther, würde gerne mit Paul, der aber wiederum nur Augen für Hilde hat.
Dass keiner am Ende den bekommt, den er gerne hätte, steht von vornherein fest, denn der Film beginnt mit der polizeilichen Vernehmung von Paul. Das Manifest des Selbstmörderclubs wird ansatzweise verlesen, und wir erfahren, dass zwei Menschen gestorben sind; einer davon ist Günther. Mit diesem Wissen gehen wir auf das Sommerfest und schauen den Fünf und ihren zahlreichen Freunden dabei zu, wie sie Absinth trinken, rauchen, Swing-Platten abspielen, sich die Zukunft vorhersagen und sich näherkommen.
Ich hätte mir ein bisschen mehr Atemlosigkeit gewünscht, ein bisschen mehr Herzblut, ein bisschen mehr Zug, um zwingender auf das Ende zuzusteuern, das wir ja fast schon kennen. Die Atmosphäre auf dem Fest ist sicherlich mehr verschwitzt als romantisch, und man ahnt, dass der Kater böse wird; die schwüle, drückende Luft ist fast zu schmecken. Aber eben nur fast. Der Umschwung von einer heiteren Feier zu einem aussichtslosen und tödlichen Manifest kam mir zu überraschend. Eben noch unterhält man sich darüber, wie perfekt der Augenblick gerade ist, dass man ihn gerne festhalten würde – „Ist doch gut so. Ist doch alles da“ –, da entsteht aus dieser Sehnsucht, jetzt müsste man gehen, jetzt, wo alles perfekt ist, da entsteht ganz plötzlich die Idee, man müsste eher dann gehen, wenn man keine Liebe mehr empfindet. Wenn eben die Perfektion keine mehr ist.
Den Bruch konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Genauso wenig konnte ich generell die Todessehnsucht gerade von Günther nachvollziehen, der stets als der Starke erscheint und der in Paul einen wunderbaren Freund hat, der sich sogar für ihn prügelt, obwohl dieser eher der Zartbesaitete von den beiden ist. Wahrscheinlich wollte mir der Film sagen, dass Günther im Inneren eben doch nicht so stark ist, er an seiner unerfüllten Liebe zu Hans zerbrochen ist und deswegen den Tod gewählt hat. Das klingt ja sogar überzeugend, aber das habe ich auf der Leinwand nicht gesehen, auch wenn August Diehl jede Szene beherrscht, in der er zu sehen ist. Seine Rolle war mir persönlich einfach zu simpel angelegt; da nützt auch sein ganzes wundervolles Talent nichts.
Die Rolle der Hilde war da schon spannender: Sie erscheint stets als die Sprunghafte, die, die alle haben kann und keinen will. Nur Hans offenbart sie, dass sie ihn liebt und macht sich damit angreifbar und verletzlich – Attribute, die ihr die Öffentlichkeit unterstellt, die sie aber nie zugeben würde; die Zerrissenheit des Erwachsenwerdens eben. Lieber Schein als Sein. Anna Maria Mühe als Hilde ist mir manchmal ein wenig zu kokett, zu bemüht, eine forsche junge Berlinerin der 20er Jahre zu geben, aber auch sie hat ihre Momente, die so ehrlich und uneitel wirken, dass ich ihr den Rest der pseudo-verführerischen Augenaufschläge gerne verziehen habe.
Daniel Brühl als Paul und Jana Pallaske als Elli spielen beide sehr unaufgeregt ihre Rollen und vermeiden gekonnt jedes Drama, das ihren Charakteren innewohnt. Thure Lindhardt als Hans bleibt ein bisschen blass dafür, dass er eine zentrale Rolle der Tragödie ist; insgesamt aber haben die Darsteller den Film vor der kompletten Langeweile gerettet.
Ich hatte stets das Gefühl, dass die Szenen nicht ausgereizt wurden. Wenn mal ein bisschen Emotion kam, dann wurde sie mir zu früh ausgebremst, um mich zu erwischen. Die Szenen wirkten mir alle zu lang, teilweise zu gekünstelt und zu statisch, um die rohe Leidenschaft, den Irrsinn des Selbstmörderclubs zu vermitteln. Die Geschichte birgt so viel Potenzial, dass ich es sehr bedauert habe, es so zäh und ausgedehnt versanden zu sehen.
Der Film lebt von seinen sehr guten Darstellern, der perfekten Ausstattung und den schönen Dialogen, die ich sehr gelungen fand, weil sie mir einen sehr stimmigen Eindruck der Zeit vermittelt haben. Leider stokelt die Geschichte zu reißbrettartig auf ihr Ende zu, so dass nie richtig Spannung aufkam. Ich habe den Film eher mit freundlichem Interesse gesehen denn mit Faszination; ich war nicht berührt, ich war nicht abgestoßen. Aber genau eine dieser beiden Reaktionen hätte ich mir gewünscht, denn genau das wäre die Pointe der Geschichte gewesen: Kann ich den jugendlich-wahnwitzigen Plan der beiden nachvollziehen und ihn vielleicht sogar gutheißen oder lehne ich mich altklug zurück und bedauere die Hitzigkeit der Jugend?
So aber plätscherte schließlich nur der Abspann an mir vorbei, ich freute mich über die gute Musikauswahl und die Typografie und fragte mich die Frage des Filmtitels: Was nützt die Liebe in Gedanken? Nichts. Leider. Genau wie dieser Film. Leider.
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Anke am 13. March 2005