Salons neue Kolumnistin, die Schriftstellerin Ayelet Waldman, hatte ein Weblog, in dem sie nicht nur über sich, sondern auch über ihre Kinder und ihren Ehemann schrieb. Bis zu dem Tag, an dem sie öffentlich über ihren eigenen Selbstmord nachdachte. Living out loud – online.
The entry that greeted my husband on that day was a well-researched commentary on suicide rates among people with bipolar disorder. I informed my readers, among them my husband, that what I have, the milder form of the disease, has a 24 percent suicide rate. Then I wrote, “It does not help to know that one’s mood is a mystery of neurochemistry when one is tallying the contents of the medicine cabinet and evaluating the neurotoxic effects of a Tylenol, topomax, SRRI and ambien cocktail.”
The readers of my blog had no way to determine the intentions behind my entry. Was it some kind of public service announcement, designed to help people understand the seriousness of mental illness? My husband had an easier time realizing it was a cry for immediate and urgent assistance. He, however, felt entirely powerless, sitting in a hotel room 2,000 miles away with no way to intervene and nothing to do but wonder whether he should be cursing or blessing the phenomenon of the blog. He called, he made plans to come home, but it was my girlfriends who responded with the most confidence, perhaps because they had so much less at stake than he did in my stability. They formed themselves into a kind of telephone round robin, refusing to let up until I called my psychiatrist, who immediately diagnosed a problem with the dosage of my medication. (…)
As debates rage about whether bloggers are journalists, whether they need shield laws to protect sources, whether they brought down Dan Rather and are going to take over the media world, on the other side of the blogosphere the diarists and memoirists and mothers are coping with a different set of ethical dilemmas: How much of themselves should they expose online, and how easily should they indulge their urge to confess? In my case, blogging about suicide might have crossed the line.
Ich weiß nicht, ob der digitale Hilferuf jetzt eine Grenze überschritten hat oder nicht. Ich denke, er hat vielleicht Schlimmeres verhindert. Aber natürlich zeigt sich daran die Problematik des persönlichen Bloggens. Sobald man etwas von sich preisgibt, vielleicht etwas, was man nicht unbedingt beim Party-Smalltalk sagen würde, sondern lieber an eine gesichtslose Masse weiterreicht, drängeln sich im Kommentarfeld sehr schnell die guten Ratschläge, die blöden, die überflüssigen. Oder auch die Vorwürfe: wie könne man nur so etwas schreiben? was schnell umschlägt in das allseits beliebte „Mann, bist du scheiße“.
Das Dumme am persönlichen Bloggen, wie ich es mal nennen möchte im Unterschied zum Technikbloggen oder ähnlichem, ist, dass fast jeder Eintrag eine relativ intime Information erhält. Wenn ich zum Beispiel einen Film rezensiere, fließt grundsätzlich etwas von mir mit in die Zeilen ein, etwas von meinen Moralvorstellungen, meinen Erfahrungen, meinen Wünschen und Träumen. Deswegen kann ich mir nicht mal bei den Filmkritiken sicher sein, dass nicht die üblichen Deppenmails oder -kommentare auflaufen, die einem ein unwertes Leben bescheinigen, nur weil man vielleicht einen Film nicht ganz so gern mochte.
Stellt sich die Frage, warum man überhaupt in aller Öffentlichkeit weiterschreibt. Ich für meinen Teil muss die Frage zweiteilen: Warum schreibe ich und warum schreibe ich öffentlich. Warum ich schreibe, lässt sich einfacher beantworten: weil ich es gern tue. Ich habe schon immer gerne geschrieben, bin froh, dass ich alles und jeden Schnipsel von meinen pubertären Gehversuchen aufgehoben habe, lese heute noch die Songtexte, die ich mit 15 für ganz große Kunst hielt und blättere an schlechten Tagen in meinen Tagebüchern, um mir vorzuhalten, dass es schon früher schlechte Tage gab und dass sie sich irgendwann in gute verwandelt haben. Außerdem schreibe ich beruflich; dort allerdings eher über Dinge, über die ich sonst nicht unbedingt viele Worte verlieren würde. Daher ist das private Schreiben ganz schlicht ein Ventil. Andere Leute töpfern gehen ins Fitness-Studio, ich schreibe.
Aber warum öffentlich? Der Schritt zum Weblog war damals eher ein unbewusster. Alles fing mit den Filmkritiken an, die ich per Mail an Freunde und Kollegen schickte, bis mir einfiel, dass ich mir vor Ewigkeiten mal diese Domain gesichert hatte. Und um nicht weiterhin jede Woche Hinz und Kunz mit einer Mail zu belästigen, habe ich fortan die Kritiken auf die Seite gestellt, die ich übrigens liebevoll mit dem Netscape Composer „gestaltet“ hatte. Ich hoffe, der Google-Cache hat sie inzwischen verschluckt. Ehrlich gesagt, habe ich mir damals überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass irgendjemand den Kram lesen könnte außer den Leuten, die die URL kannten. Das Internet war für mich ein Arbeitsgerät, eine Suchmaschine und eine Möglichkeit, umsonst „Zeitung“ zu lesen, mehr nicht. Ich las ein paar Weblogs aus den USA, aber das war’s. Ich hatte ernsthaft keine Sekunde daran gedacht, dass meine Zeilen mit dem Hochladen des Textes theoretisch ab jetzt von sechs Milliarden Leuten gelesen werden konnten. Bis sich plötzlich irgendwelche Leute auf meine Seite verirrten und mir Mails schickten und eine Kommentarfunktion vermissten und ich einen Counter installierte und der ganz langsam, aber stetig vor sich hinzutickern begann. Plötzlich hatte ich zum ersten Mal die Möglichkeit, Feedback auf meine Texte zu bekommen, die über das übliche Maß dessen hinausgingen, was meine Freunde oder Kollegen mir gaben. Und das war nicht nur sehr spannend, sondern, ja, logisch, sehr, sehr befriedigend. Natürlich ist es etwas anderes zu schreiben, wenn man weiß, dass jemand mitliest. Natürlich ist es klasse, Zustimmung zu bekommen. Und natürlich hat es richtig reingehauen, als die ersten negativen, beleidigenden, verletzenden Stimmen aufliefen.
Das tut es auch heute noch, was die ganzen Evil-Twin-Leser sicherlich freuen wird. Im Laufe der Jahre (Omma erzählt vom Krieg) hat sich meine Art zu schreiben gewandelt, vor allem, weil ich inzwischen verstanden habe, dass die Blogosphäre genauso begriffsstutzig, doof, eitel, spannend, lustig und faszinierend ist wie es Menschen im wahren Leben auch sind. Es hat sich meine Art geändert, mit Bloggern zu kommunizieren. Wo ich mich früher über jeden unpassenden Kommentar aufgedotzt habe, warte ich heute ein paar Stunden, bevor ich antworte, wenn ich überhaupt antworte. Wo ich früher mal eben launig einen Kommentar in Fremdblogs rausgehauen habe, lese ich inzwischen erstmal eine Woche Content nach, um zu wissen, wo ich mich überhaupt bewege. Wo ich früher freudig auf jede Mail geantwortet habe, beantworte ich heute kaum noch Post, weil ich nicht weiß, ob hinter den freundlichen Zeilen nicht doch ein Spinner lauert, der ein nettes Wort mit einem Heiratsantrag verwechselt. Und wo ich früher in Diskussionen meine Position standhaft vertreten habe, schenke ich heute meist nach zwei-, dreimaligem Ballwechsel ab, weil die wenigsten Streitgespräche online funktionieren. Man kann alles so wunderbar persönlich nehmen (ich grundsätzlich eingeschlossen), man kann in jede Zeile 30 Fehlinformationen reinlesen, man kann soviele Smileys malen wie die Tastatur hergibt, es klappt trotzdem meistens nicht, den Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass man nichts Böses im Schilde führt und dass man ihn nicht von vornherein für einen hirnlosen Idioten hält, auch wenn sein Nick männlich/weiblich/Diddelmaus87 ist.
Ich habe in den Blogjahren (ein Blogjahr zählt als sieben Offline-Jahre) mein Schutzschild des Öfteren überprüfen müssen. Manchmal gibt es Tage, an denen ich die ganze Rotte teeren und federn möchte. Dann gibt es Tage, an denen ich sehr dankbar bin, einen Austauschpunkt gefunden zu haben. Und meistens bin ich einfach froh darüber, schreiben zu können und Feedback zu bekommen, sei es positiv oder negativ. Jede Reaktion hilft mir, mich und meine Worte zu überprüfen. Und deswegen schreibe ich fast alles öffentlich und kaum noch in mein Papiertagebuch. Es ist manchmal anstrengend, ständig darüber nachdenken zu müssen, dass hier Menschen mitlesen und alles irgendwie falsch verstehen können und/oder wollen. Es ist aber gleichzeitig ein einzigartiger Umgang mit dem, was ich schreibe. Es ist ein ständiges Adaptieren, ein Korrigieren der ersten Entwürfe, ein Zurücknehmen, aber auch ein Schöner-Machen, Überdenken, Überspitzen, Rauskotzen, Vor-die-Wölfe-Werfen. Manchmal weiß ich, dass ich böse Post kriege, noch bevor ich einen Eintrag online stelle. Manchmal lasse ich es deswegen. Manchmal stelle ich ihn dann erst recht online. Manchmal weiß ich, dass ein Eintrag gern gemocht werden wird. Manchmal weiß ich, von wem Kommentare kommen werden. Manchmal weiß ich, wer mich zitieren oder verlinken wird. Manchmal weiß ich, wer genau das nicht tun wird. Und meistens liege ich voll daneben mit dem, was ich zu wissen glaube.
Bloggen ist eine einmalige Möglichkeit des Schreibens und Publizierens. Es hat mich in den letzten Jahren verändert; ich bin an dieser Möglichkeit gewachsen und gereift, genau wie meine Schreibe. Deswegen möchte ich es nicht missen. Trotz mancher Tage, an denen ich genervt bin, an denen ich eigentlich nichts zu sagen habe und es gerade dann eine Herausforderung ist, doch etwas zu sagen. Persönliches Bloggen ist sicherlich immer eine Gratwanderung, wenn man ehrlich ist und sich keine Online-Persönlichkeit zulegt. Aber für mich hat es sich gelohnt, manchmal nah an der Klippe herumgelaufen zu sein. Und ich hoffe, für ein paar Leser und Mitblogger auch.
(Abspann, Geigen, Taschentücher.)