Auf Salon schreibt Anne Lamott in ihrer Kolumne über politisch liberale Christen und wie es sich anfühlt, in einem Land zu leben, in dem nur die rechtgerichteten, die fundamentalistischen Christen Gehör zu finden scheinen – vielleicht, weil sie am lautesten brüllen: God doesn’t take sides.
What the right has “appropriated” has nothing to do with God as most of us believers experience God. Their pronouncements about God are based on the great palace lie that this is a Christian country, that they were chosen by God to be his ethical consultants, and that therefore they alone know God’s will for us. The opposite of faith is not doubt: It is certainty. It is madness. You can tell you have created God in your own image when it turns out that he or she hates all the same people you do. The first holy truth in God 101 is that men and women of true faith have always had to accept the mystery of God’s identity and love and ways. I hate that, but it’s the truth.
I just think Bush and his people have gotten it so wrong.
Hierzulande ist das Gefälle ähnlich ausgeprägt, auch wenn wir keine christlichen Fundamentalisten in der Regierung sitzen haben. Noch nicht. Wenn ich mir die derzeitigen Umfrageergebnisse anschaue, könnten die Tage der rot-grünen Koalition gezählt sein. Leider. Denn bei einem Machtwechsel stehen vielleicht nicht nur politische Themen auf der Agenda, über die man mal dringend reden müsste, sondern auch ethische Fragen. Wenn ich mir die Position der CDU und vor allem der CSU zum Beispiel in der Abtreibungsfrage anschaue oder der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern oder ähnlichen Fragen, die nicht in das eher altmodische Weltbild der Schwesterparteien passen, ahne ich, in welche Richtung Änderungen gehen würden.
Ich frage mich in solch „moralischen“ Diskussionen immer, auf welches Christentum bzw. auf welche Werte des Christentums sich die Diskussionsteilnehmer berufen, wenn sie z.B. vehement die „Homo-Ehe“ als ersten Schritt auf dem Weg ins ewige Verderben sehen und ungerührt Sozialleistungen kürzen, denn wer arbeiten will, der findet ja bekanntermaßen auch immer was. Wo ist das Mitgefühl, wo ist der – für mich – christliche Wunsch danach, dass es allen meinen Mitmenschen gut geht?
Ich bin keine Pastorin, ich habe nicht Theologie studiert, ich habe nicht mal einen Volkshochschulkurs zum Alten Testament belegt. Ich habe zwar die Bibel fast komplett gelesen, aber ich habe das Gefühl, dass sie sich selbst so oft widerspricht, dass man eigentlich nur einen Grundtenor und keine in Stein gemeißelten Gesetze aus ihr herauslesen kann (aber diese Position ist nicht unumstritten, ich weiß). Diesen Grundtenor finde ich im Neuen Testament in den Predigten von Jesus und den Gleichnissen, die er erzählt. Er bedeutet für mich: Respekt zu haben vor anderen Menschen, ihren Gedanken, Taten und Lebensentwürfen. Mitgefühl zu haben mit den Schwachen. Hilfe anzubieten, wenn sie erforderlich ist. Er bedeutet für mich, dass ich mich tagtäglich bemühe, ein guter Mensch zu sein, so altmodisch und banal sich das auch anhören mag. Es bedeutet aber auf keinen Fall, vor Abtreibungskliniken für Zellhaufen zu kämpfen (am besten mit geladenen Waffen) oder Schulleiter davon zu überzeugen, dass Of Mice and Men der Bibel widerspricht, weil Behinderte darin vorkommen, oder dass Sexualkunde ne ganz doofe Idee sei oder dass wir ganz dringend die Todesstrafe bräuchten („Auge um Auge“, siehe ein paar Absätze weiter unten).
Vielleicht ist das eine naive Sichtweise von Christentum. Vielleicht ist es aber auch nur eine persönliche Sichtweise des Christentums. Und genau das, finde ich, sollte sie sein. Religion ist etwas sehr Persönliches. An wen oder was man glaubt, ist privat und hat mit den Staatsgeschäften aber sowas von gar nichts zu tun. Ich glaube an Gott und seinen Sohn. Andere glauben an Allah, an Jehova, sie beten zu goldenen Elefanten oder von mir aus auch zu rosafarbenen Kaninchen. Wer auch immer dein Gott oder deine Göttin ist – solange es dir dabei gut geht und du mich damit in Ruhe lässt: fein. Alles kein Thema. Aber wer mich davon überzeugen möchte, dass sein Glaube der einzig Wahre ist, hat einfach schon verloren. Vor allem, wenn er oder sie mir mit der Bibel (oder dem Koran oder Dianetik) beweisen will, dass er Recht hat, denn schließlich steht in den heiligen Büchern doch alles. Das sehe ich nicht so.
Anne Lamott hat zu Heiligen Büchern bzw. dem Neuen Testament auch noch kurz was zu sagen:
And speaking of the New Testament, I read it daily, and just cannot find the part where Jesus says that everyone should get out their guns, the part where he says that arming the angriest racists among us is an excellent idea, or the part where he discusses tax cuts.
Aber vielleicht hat Jesus ja was zu Steuersenkungen geschrieben und wir überlesen es nur? Thoralf hat mir als Nachklapper zu diesem Eintrag vor ein paar Tagen einen interessanten Link zu Nikodemus.net geschickt, der sich mit der biblischen Rechtfertigung der Todesstrafe befasst. Ich kann der Argumentation, die mit vielen Zitaten belegt wird, durchaus folgen, auch wenn ich, wie schon angedeutet, komplett anderer Meinung bin, aber wirklich beeindruckt hat mich der letzte Absatz:
Von der Bibel her, ist die Todesstrafe als Ausübung staatlicher Gewalt okay. Darüber hinaus gibt es manche Gründe, die dafür und die dagegen sprechen, dieses Mittel einzusetzen. Diese Antwort muß jede Gesellschaft bzw. Nation für sich selber geben.
Na, Fundis, darüber schon mal nachgedacht? Selbst wenn die Bibel das Okay gibt (und selbst das ist für mich immer noch Interpretationssache), heißt das noch lange nicht, dass man es auch so umsetzen muss. Es gibt eben noch andere Institutionen, die für die Gesetzgebung zuständig sind. Womit wir bei der Trennung von Kirche und Staat wären. Vielleicht könnte mal jemand der christlichen Rechten stecken, dass nicht die Bibel, sondern das eigene Gewissen und die Verfassung des jeweiligen Landes die erste und letzte moralische Instanz sein sollte. Und das gilt nicht nur für die Jungs und Mädels in den USA, sondern auch für die Politiker und Politikerinnen, die sich vielleicht demnächst hier anschicken, die Regierung zu bilden. Was immer ihr glaubt – lasst mich damit in Ruhe. Ich hab meinen Glauben schon. Ich brauche euren nicht.