Generation JP 2?
Bei Spiegel Online findet sich zurzeit ein Artikel, der beschreibt, wie vor allem polnische Jugendliche mit dem Tod des Papstes umgehen, und der sich schließlich zu der Theorie versteigt, dass eine ganze Generation durch das lange Pontifikat (das drittlängste der Geschichchrrrrrzzz) beeinflusst wurde.
Kasia, Schülerin in einem Krakauer Gymnasium, sagt: „Keiner konnte wie der Heilige Vater mit uns reden: ehrlich, direkt, bis zum Ende jung im Geist.“ Und Pawel, ein Schüler aus Oswiecim (Auschwitz): „Man muss nicht katholisch sein, um die Taten des Papstes schätzen zu können. Er lehrte uns, wie man den Anderen respektiert, unabhängig davon, welchen Glaubens oder welcher Rasse sie sind. Er zeigte uns, dass man Gott überall finden kann.“ Er selbst sei kein praktizierender Christ, sagt Pawel, er gehe nicht zur Kirche, die vergangenen Tage jedoch hätten ihn jedoch Gott näher gebracht. Eine Studentin gesteht, sie habe anlässlich des Todes Johannes Pauls II. zum ersten Mal in ihrem Leben das „Ave Maria“ rezitiert. Auf einem Trauerzug durch die Straßen Krakaus lernte sie die frommen Gesänge.
Mit Verlaub: Ich finde es sehr schön, dass Menschen einer Religion, einem Glauben, vielleicht auch nur einer Suche oder einem Streben nach Spiritualität jeglicher Ausprägung nahegebracht werden, selbst wenn es durch einen eher seltsamen Auslöser wie ein Todesfall geschieht. Dass nun aber rückwirkend eine ganze Generation als vom Papst und seiner Ideologie beeinflusst gilt, nur weil er ein paar Stadien mit Zuhörern hatte, halte ich doch für eine gewagte These.
Gerade das Zitat von Kasia zeigt für mich eine völlige Verklärung von Johannes Paul II: Zu seinen Lebzeiten hat man sicherlich seinen Wunsch gesehen, der Jugend der Welt etwas mitzugeben. Aber die meisten seiner Botschaften waren dann doch eher altbacken und weltfremd, wie z.B. das Verbot von Verhütungsmitteln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jugendlichen, die ihn jetzt als einen von ihnen bezeichnen, sich auch nur einen Hauch an seine Moralvorstellungen gehalten haben oder zukünftig halten werden. Was hat Kasia also davon, dass der Papst angeblich „ehrlich und direkt“ mit ihr kommunizierte, wenn ihr der Sinn seiner Worte wahrscheinlich ziemlich egal war?
Mich erinnert die plötzliche Verehrung und der Massenandrang vor der päpstlichen Leiche ein wenig an den Tod von Prinzessin Diana. Plötzlich war diese keine verwöhnte Royal mehr, sondern das arme, bulimische, zu Tode gehetzte Häschen. Und der Papst ist auf einmal kein altersstarrsinniger Mann mehr, der gerade in der dritten Welt eher Schaden angerichtet hat als Gutes zu tun (Stichwort Verbreitung von Aids durch ungeschützten Verkehr), sondern ein gütiger, im Herzen junggebliebener Mensch, der quasi im Alleingang und kraft seiner Worte den Kommunismus besiegt hat. Die Bilder der Blumenberge vor Dianas Palast ähneln ziemlich denen mit den vielen Kerzen in Krakau, genau wie die mediale Trauer rund um den Erdball.
Ich muss gestehen, ich habe damals bei Diana geheult, und ich habe auch für den Papst geweint. Ich frage mich nur, warum diese beiden Personen bzw. ihr Tod eine so starke Wirkung nicht nur auf mich, sondern auf Millionen von Menschen weltweit haben. Auf einmal hat man das Gefühl, dass eine wichtige Person nicht mehr da ist. Nur warum? Zu Lebzeiten von Diana habe ich mich köstlich über die veröffentlichten Telefonate mit ihrem Reitlehrer amüsiert, genau wie ich zu Lebzeiten von Johannes Paul II. glühend die Frauenfeindlichkeit seiner Religion verachtet habe. Warum habe ich auf einmal das Gefühl, dass beide vielleicht mehr waren? Wieso erschien mir Diana nach ihrem Tod plötzlich so menschlich, so einsam und traurig, wieso war sie auf einmal meine Tränen wert? Wieso habe ich den Papst dafür bewundert, sich Ostern der Welt gezeigt zu haben und seinen Segen stumm zu erteilen anstatt sich in seinem Todeskampf lieber im Bett zu verstecken? Kurz: Wieso dauert es bei den beiden bis zu einer gewissen vergangenheitsmilden Verklärung statt zehn Jahren nur zehn Minuten?
Vielleicht weil beide ihren festen Platz hatten. Sie mussten sich nicht fragen, wo ihr Weg hinführt, was ihr Lebensziel ist, welche Jobs die nächsten Jahre kommen – Fragen, die ich mir stelle und ich nehme an, viele weitere „Normalbürger“ auch. Diana wusste mit ihrer Heirat um ihre königlichen Pflichten, und trotz ihrer öffentlich eingestandenen „Fehlschläge“ wie ihrer Ess-Störungen und der Scheidung blieb sie ihrer Linie, ihren Pflichten, ihrer karitativen Arbeit treu. Der Papst wusste mit seiner Weihe zum Priester, wie der Rest seines Lebens aussah, und er ist trotz aller Anfeindungen und Reformversuche von außen nie von seinem persönlichen Weg abgewichen. Vielleicht ist es das, was mir Respekt abnötigt, so seltsam die beiden Arten der Pflichterfüllung auch in meinen Augen sind oder waren: dieses Festhalten an Etwas, dieses Wissen um die eigene Bestimmung. Für mich hat es im Nachhinein eine ungeheure Anziehungskraft, und es erklärt gleichzeitig meine Bestürzung: Egal wie sicher du auf dem für dich richtigen Weg bist – auch du bist nicht unsterblich, auch du wirst nicht verschont.
Vielleicht ist die derzeitige Massenverehrung des Papstes ein Zeichen davon, wie stark viele Menschen sich nach einem „richtigen“ Weg sehnen. Vielleicht ist Religiösität einer. Vielleicht eine berufliche Karriere. Vielleicht Mutterschaft. Vielleicht eine Parteimitgliedschaft oder auch nur das Engagement im örtlichen Schachclub. Jeder Mensch braucht ein Ziel, und wenn es nur das ist, heute den Müll rauszubringen. Wenn der Papst – oder etwas respektloser ausgedrückt: der Tod des Papstes – es geschafft haben sollte, einigen Menschen ein Ziel aufzuzeigen, dann war sein Pontifikat vielleicht doch nicht so umsonst wie ich bisher dachte. Vielleicht wird statt dieser ja die nächste Generation die Generation JP II. Auch wenn ich den Einfluss von Filmstars und Popmusikern auf westlich geprägte Jugendliche immer noch für stärker halte als den von geistlichen Führern. Aber wer weiß. Vielleicht überrascht mich die Welt ja mal wieder. Das macht sie gerne.