Big fat read

(Foto von hier)

Sheana, eine der Organisatoren des Blogathons 2005, hat seit gestern früh hauptsächlich über fat acceptance geschrieben. Viele interessante Einträge und Links, darunter das Big Fat Blog oder NAAFA (National Association to Advance Fat Acceptance).

Im Big Fat Blog habe ich einen Artikel in der Chicago Sun-Times gefunden, in dem Wendy McClure über die Dove-Kampagne (deutsche Webseite) schreibt. Ich habe hier in Hamburg noch keine Plakate gesehen, auf denen irgendwelche Spacken die nicht ganz so hungerhakig aussehenden Mädels per Edding beschimpft haben, aber anscheinend war das in Großbritannien (wo die Kampagne als erstes auf den Markt kam) und in den USA ein Thema.

“The only time I want to see a thigh that big is in a bucket with bread crumbs on it,” said one Sun-Times reporter, Lucio Guerrero, in a July 19 story about the ads. That same day, columnist Richard Roeper called the Dove models “chunky,” and said “If I want to see plump gals baring too much skin, I’ll go to Taste of Chicago.” Implying, of course, that he’d give those women a thumbs-down rating (and perhaps he thinks he gets to vote with other appendages, too?).

Though the intentions behind Dove campaign’s quest to “redefine beauty” aren’t exactly pure – yes, they’re selling stuff – they’re fairly high-minded nonetheless, which is why these comments seem to hit so far below the belt.

But these remarks aren’t about being politically contrary; they’re about something else. They expose the nasty inverse of “the beauty standard,” which is the belief, held by some men, that women who don’t look like fantasy material aren’t just unworthy of their attention but are actually offensive, or even menacing. It’s worth noting that none of the complainers goes so far as to call the Dove models ugly, yet they consider these women visual nuisances, annoying as litter, sour eye candy, gross.

Wendy McClure hat übrigens auch ein Weblog, das sich unter anderem mit fat acceptance beschäftigt, und ihr erstes Buch ist vor kurzem erschienen.

fernmündlich

(file under Große Worte, die leider langsam in Vergessenheit geraten. Böse Technik, böse Welt, auf die Fresse, du blöder Fortschritt.)

Dass wir es überhaupt bis hierhin geschafft haben

Erstickte, vergiftete und entstellte Kinder bzw. Filme über deren gar schröckliche Schicksale werden bei Emily wieder lebendig.

Die ultimative Lobhudelei auf meine kleine, unschuldige Webpräsenz …

… kommt vom nuf. Ich bin sehr gerührt:

Was sie wahrscheinlich nicht ahnt, ist dass es mich zur Weißglut bringt, wenn sie nicht endlich in die Filme geht, die ich sehen will. Täte ich es vor ihr, würde ich mich am Ende nur über das unnötig investierte Geld ärgern, wenn der Film doof war und ich das ein/zwei Wochen später bei Frau Gröner lese. Also muss ich andauernd warten, bis sie ins Kino geht. Das ist anstrengend!

Read all about it. Wobei ich gestern dann doch nicht ins Kino gehen konnte, weil ich den subtilen Verführungskünsten des Kerls erlegen bin („Knutschen?“).

Powerful Women

Das Forbes Magazine hat eine Liste der ihrer Meinung nach most powerful women erstellt. Ich frage mich nun, ob man powerful mit mächtig oder lieber mit einflussreich übersetzen soll. Jedenfalls habe ich Schwierigkeiten mit der Idee, dass First Lady Laura Bush (Platz 4) mehr Macht haben soll als Senatorin Hillary Clinton (5). Oder dass noch eine First Lady, Cherie Blair (12), mächtiger sein soll als Tarja Halonen (31), die Präsidentin von Finnland.

Wieso gilt das finnische Staatsoberhaupt als weniger mächtig als die Ehefrau des englischen Premierministers, die laut Verfassung einfach gar nichts mit den Regierungsgeschicken ihres Mannes zu tun hat? Vielleicht ist mein Erstaunen aber auch nur mein persönliches Problem mit dem Phanomän der „ersten Dame im Staate“. Was genau können die Mädels denn ausrichten, außer ihrem Göttergatten beim Abendbrot ihre Meinung zu Steuersenkungen und der Asylpolitik kundzutun? Haben sie wirklich einen nennenswerten Einfluss – abgesehen von den üblichen Wohlfahrtsprojekten, die ich hübsch und nett und sicherlich sinnvoll finde, die aber wohl kaum irgendwelche Probleme einer Regierung lösen werden?

Laut Wikipedia übernehmen die First Ladys, zumindest in den USA, oft diplomatische Funktionen, indem sie sich um die Gattinnen von Staatsoberhäuptern kümmern, wenn die grad mal auf Besuch vorbeischauen. Ist das also die Macht, von der Politikerfrauen träumen? Kaffeetrinken mit ihrem ausländischen Equivalent, während die Herren Weltpolitik machen?

Mir fällt grad auf, dass der Begriff „Politikerfrau“ genauso doof ist wie „Zahnarztfrau“. Und ich persönlich glaube ja immer noch, dass jede Managerin eines Konzerns, wie sie auch zuhauf in der Liste vorkommen, in meinem Wortsinn mächtiger ist als eine First Lady. Einfach, weil sie die Macht haben, Entscheidungen zu fällen.

(Link via Frausinn)

„Erosion der inneren Wertorientierung“

Die FAZ bzw. der von ihr befragte Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle (puh), Hans-Joachim Maaz, versteigt sich zu einer gewagten Theorie: Man könne es der DDR anlasten, dass die zurzeit in den Schlagzeilen vorkommende Mutter aus Brandenburg neun ihrer Kinder direkt nach der Geburt umgebracht habe.

Zwar kann man keine Häufung an Kindstötungen in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten feststellen, aber anscheinend reicht schon eine DDR-Biografie, um potenziell zur Kindsmörderin bzw. zum Komplizen zu werden. Zitat aus dem Artikel aus der gestrigen FAZ, leider nicht online:

„Wir erleben sehr oft, dass strukturschwache Menschen, die im strikt strukturierten DDR-Staat weitgehend unauffällig waren, mit der Wende und der Notwendigkeit, selbst aktiv zu sein, in eine tiefe Krise mit Panik, Angst, Depressionen und Resignation gestürzt sind.“ Für diese Leute sei Pluralismus eine Bedrohung. Hinzu komme die von der SED mit großem Erfolg vorangetriebene Entkirchlichung und Entchristlichung der DDR-Gesellschaft. Wer eine innere Wertorientierung aufgrund familiärer oder sozialer Bedingungen nicht habe, brauche ein Leben lang äußere Wertvermittlung. „Das Problem des Autoritarismus im Osten ist längst noch nicht überwunden. Nein, wir haben noch nicht einmal erfasst, wie viele Menschen das Bedürfnis haben, geführt zu werden.“

Mal abgesehen davon, dass ich es für eine recht billige Ausrede halten würde, vor Gericht als Verteidigung anzuführen: Ich habe vom Pluralismus Depressionen bekommen und musste daher meine Kinder umbringen, finde ich die These ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Problematische Umfelder gibt es nicht nur im Osten Deutschlands; ich muss mich ja nur in der reichen Stadt Hamburg umgucken, um strukturschwache Stadtviertel zu entdecken, in denen Kinder zu Tode kommen, wie gerade erst vor einigen Monaten zu lesen war.

Ich versuche mir mal vorzustellen, wie es sich anfühlt, wenn das Heimatland plötzlich nicht mehr existiert. Im besten Falle fühlt es sich vielleicht an wie ein Umzug in ein anderes Land, in dem man niemanden kennt und in dem man sich selbst zurechtfinden muss. Es fängt bei Kleinigkeiten an wie: die elektrischen Anschlüsse haben eine andere Spannung, und wieviel Porto kommt hier eigentlich auf einen Brief, und geht bei persönlichen Erinnerungen weiter: Was haben die Kinder hier im Fernsehen gesehen, worüber sie noch nach 20 Jahren lachen können, was oder wer ist hier im kollektiven Gedächtnis verankert, was macht dieses Land aus, wie kleiden sich die Menschen, was muss ich tun, um mich zu integrieren? Ich ahne, dass dieses neue Land teilweise sehr spannend ist, teilweise aber auch beängstigend in seiner Neuigkeit. Es liegt an mir und meiner persönlichen Grundkonstitution, was ich daraus mache. Wie gehe ich sonst mit Neuerungen um? Mit neuen Kollegen, unbekannten Orten, technischen Geräten, die ich nicht kenne? Hat es etwas damit zu tun, ob ich in einem autoritären Staat aufgewachsen bin, wie ich mit neuen Kollegen umgehe? Ist es jetzt typisch Wessi, wenn ich hoffe, dass dem nicht so ist? War man in der DDR generell misstrauisch, wenn unbekannte Gesichter in der Mittagspause auftauchten? Stand erstmal jedem „Stasi?“ auf der Stirn geschrieben? Traue ich mich nicht, in einem fremden Lokal nach dem Kellner zu rufen, weil die SED meine Regierungspartei war? Lasse ich per se die Finger von einem neuen Radio, bei dem die Bedienungsanleitung fehlt, wenn ich ein Pionier-Halstuch getragen habe? Bin ich bei jedem Aspekt meines privaten Lebens auf jemanden angewiesen, der mir sagt, was ich tun oder denken soll, „nur“ weil es in der politischen Öffentlichkeit meines Landes so ist? Wird man zwangsläufig unselbständig, weil der Staat einen gerne so hätte?

Ich muss gestehen, ich kann diese Fragen nicht beantworten, weil ich in der Bundesrepublik aufgewachsen bin. Ich behaupte aber mal, dass die im Artikel angesprochene „Entkirchlichung“ und „Entchristlichung“ im Westen ähnlich verlaufen ist wie im Osten Deutschlands. Natürlich schreiben sich hier die meisten Politiker noch auf die Fahne, christliche Werte zu vermitteln, und wir haben in der Schule (noch?) Religionsunterricht, aber mal ehrlich: Gehen im Westen wirklich signifikant mehr Menschen in die Kirche als im Osten? Glauben im Osten so viel weniger Menschen an Gott als im Westen? Und selbst, wenn ja: Bedeutet das automatisch eine höhere Akzeptanz von Gewalt, vielleicht sogar Mord, in der Gesellschaft? Wohl kaum. Und soweit ich mich erinnere, ging die Demokratiebewegung in der DDR auch von den Kirchen aus (nicht nur, aber auch), was für mich heißt, dass es durchaus eine Menge Menschen gab, die um gewisse Werte wussten. Außerdem glaube ich, dass, auch wenn die DDR keine offensichtlich christlichen Normen vermitteln wollte, der Staat doch durchaus das Ideal eines halbwegs friedlichen Miteinanders transportiert hat – zumindest öffentlich.

Ich kann mir vorstellen, dass eine offen aggressive oder menschenverachtende Staatsform bzw. Politik sicher Spuren bei seinen Bürgern hinterlässt, die eine derartige seelische Verrohung, die für einen neunfachen Mord nötig ist, fast verständlich machen. Aber kann man die DDR in eine Reihe stellen mit (jetzt ganz vorsichtig) z.B. Nazi-Deutschland, das ja offen den Krieg mit den „Untermenschen“ propagiert hat oder der Sowjetunion unter Stalin, Ruanda zurzeit des Hutu-Genozids usw.? Ich meine nicht.

Auch zur Mitwisserschaft der Kindstötungen bzw. zum Leugnen derselben hat Maaz übrigens eine Theorie:

„Wir kennen das Wegschauen oder Bagatellisieren als weitverbreiteten seelischen Abwehrvorgang von Leuten, die Dinge in sich tragen, die sie selbst nicht mehr wahrhaben wollen.“

Ja, kann ich nachvollziehen. Aber den folgenden Absatz nicht mehr:

Diese Personen seien sozusagen konditioniert aufs Verleugnen. Maaz sieht wiederum gesellschaftlichen Einfluss: „Das muss man der DDR anlasten. Die ganze Wahrheit über das Regime oder über Andersdenkende war tabuisiert oder bei Strafe verboten. Von daher ist die Verleugnung auch eine gesellschaftlich unterstützte und eingeübte Abwehr.“

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