Elizabethtown (USA 2005, 123 min)
Darsteller: Orlando Bloom, Kirsten Dunst, Susan Sarandon, Judy Greer, Paul Schneider, Alec Baldwin, Jessica Biel
Musik: Nancy Wilson
Kamera: John Toll
Drehbuch: Cameron Crowe
Regie: Cameron Crowe
Trailer
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Ich gehe gerne ins Kino, weil ich mich gerne in neue Stimmungen versetzen lasse. Natürlich schaue ich auch gerne Menschen bei Geschichten zu, die ich so nie erleben würde, aber was Kino für mich zu einem besonderen Ort macht, ist das Gefühl, mit dem ich den Saal nach dem Abspann verlasse. Komödien machen mein eigenes Leben plötzlich angenehmer, Tragödien lassen mich ein wenig in wohligem Selbstmitleid versinken, und nach Familienfilmen will ich immer meine Mama anrufen, was ich sonst nie will. Der Regisseur, auf den bis jetzt immer Verlass war, wenn ich mit einem melancholischen, sehnsüchtigen und doch zutiefst befriedigten Gefühl aus dem Kino kommen wollte, ist Cameron Crowe. Jeder Film von ihm hat mich glücklich gemacht – bis jetzt. Denn Elizabethtown ist leider die erste Ausnahme. Die letzten 20 Minuten des Films waren genau das, was ich von Crowe kenne und was ich an ihm so liebe und was mich mit dem „richtigen“ Gefühl hat aus dem Kino kommen lassen. Aber über die 100 Minuten davor müssen wir wirklich mal reden.
Orlando Bloom spielt einen Schuhdesigner, der gerade der Firma, in der er angestellt ist, 900 Millionen Dollar Verlust beschert hat. Als er sich deswegen umbringen möchte, klingelt sein Handy, und seine Schwester berichtet ihm, dass sein Vater gestorben sei. Bloom fliegt nach Kentucky, um die Leiche einäschern zu lassen. Auf dem Flug dorthin lernt er eine Stewardess (Kirsten Dunst) kennen, die ihn zuerst telefonisch und dann höchstpersönlich durch die Familienfeier begleitet, bis er sich mit der Urne seines Vaters ins Auto setzt und sich auf den Weg nach Hause zu Mutter und Schwester macht.
Das ist der ganze Film. So aufgeschrieben hört er sich schön kompakt an, mit ein paar Heul- und Freudenszenen garniert und natürlich der obligatorischen Liebesgeschichte. Leider zerfällt er auf der Leinwand in viele kleine Teile und Charaktere, die einfach nicht zusammenpassen wollen. Zum Beispiel die Schuhgeschichte. Der Film beginnt damit, dass Bloom sich von Alec Baldwin feuern lassen muss, der ihm noch ein paar Weisheiten mit auf den Weg gibt. Dass Bloom sich wie der letzte Versager vorkommt, erwähnt er zwar im Laufe des Film noch des Öfteren, aber man fragt sich die ganze Zeit, warum. Ob Kirsten Dunst nun in festen Händen ist oder nicht, ist auch egal, denn man weiß, dass sie und Bloom sich irgendwann kriegen, sobald man die beiden das erste Mal auf der Leinwand sieht. Warum erwähnt sie dann dauernd ihren Freund? Warum redet sie soviel über Namen und ihre Träger, wenn es nichts mit der Handlung zu tun hat? Warum müssen wir uns mit Blooms Cousin und dessen Sohn und Vater beschäftigen, wenn sie doch nur als kleine Randnotiz erscheinen? Wozu müssen wir Chuck und Cindy kennenlernen, die drei Tage lang in dem Hotel heiraten, in dem Bloom auf die Einäscherung seines Vaters wartet? Und warum, oh warum, müssen wir Susan Sarandon dabei zusehen, wie sie auf der Trauerfeier für ihren toten Mann zu Moon River steppt und die Geschichte ihres Nachbarn erzählt, der sie angeblich trösten will und dabei einen Steifen bekommt?
Worum es in Elizabethtown geht, ist das Leben. Dass es wertvoll ist, dass wir es schätzen sollen. Dass wir uns ab und zu selbst mal daran erinnern, dass es wertvoll ist und wir es schätzen sollen oder dass jemand anders uns daran erinnert. Genau das klappt auch in den guten Szenen im Film, aber es klappt eben nicht, wenn der Film vergisst, was er uns eigentlich erzählen will und uns stattdessen mit den oben angesprochenen Geschichtchen nervt. In manchen Szenen merkt man trotzdem, was aus Elizabethtown hätte werden können, und das sind komischerweise fast alles Szenen, in denen nicht gesprochen wird. Kirsten Dunst hat als Claire die seltsame Angewohnheit, Szenen per Handbewegung für sich festzuhalten – sie tut so, als hätte sie eine Kamera in der Hand und drückt einen imaginären Auslöser. Das habe ich auch ein paarmal gemacht, in den Momenten, in denen der Film mich berührt hat. Und meistens war ich von Blicken und Gesten berührt, die viel tiefer gehen als die vielen belanglosen Dialoge. Die Blicke, die Bloom zugeworfen werden, als er das Firmengelände für immer verlässt. Oder die Blicke, die Bloom von seiner riesigen Familie in Kentucky geschenkt werden: keine trauernden Blicke, sondern glückliche, stolze, dass man Blooms Vater hat kennenlernen dürfen. Der Blick von Blooms Cousin, als sein Vater ihm Erziehungstipps für dessen Sohn gibt und er ihn nur voller Liebe ansieht, obwohl der Vater Blödsinn erzählt. Und natürlich Bloom selbst, der hier endlich mal zeigen darf, was er kann. Die Art, wie er Dunst anschaut, ändert sich im Laufe des Films: Zuerst ist er erleichtert, als er sie sieht, weil er sich nicht mehr so allein fühlt. Dann blickt er sie an wie eine Vertraute, wie eine Art menschliche Festung in seiner ganzen Verwirrung. Und schließlich, als sie sich endlich finden und die dämlichen Drehbuchspielchen aufhören, blickt er sie nicht verknallt oder erfreut oder glücklich an, sondern voller Liebe und im sicheren Gefühl, dass er jemand gefunden hat, der weiß, wie wertvoll das Leben ist und der ihn immer wieder daran erinnern wird.
Dieser Blick ist der Schlusspunkt nach den 20 Minuten, die den Rest des Films fast vergessen machen. In den letzten 20 Minuten geht Orlando auf eine Reise durch Amerika: ganz klassisch mit dem Auto, die Urne seines Vaters auf dem Beifahrersitz und die Mix-CDs und Routenbeschreibungen von Dunst als Wegweiser nach Hause. Er verstreut die Asche an verschiedenen Orten dieses großen, bunten Landes; wir hören Dunst aus dem Off zu ihm – und zu uns – sprechen, und wir hören den üblichen melancholischen Gitarrensoundtrack, der Crowes Filme auszeichnet. Hier passt alles, hier fließt der Film endlich, hier geht einem das Herz auf, und hier fühlt sich auf einmal alles richtig und ungekünstelt und gut an.
Ich hätte gerne mehr über Blooms Reise erfahren und weniger über seine Familie. Ich hätte mir ein anderes Tempo gewünscht und weniger Figuren, die die Geschichte ständig ins Nichts quatschen. Und ich hätte mir ein kleines bisschen weniger Musik gewünscht, denn manchmal hatte ich schon den Eindruck, dass Crowe die Story um die Songs rumgeschrieben hat. Elizabethtown hat mir nur in den letzten Minuten richtig gut gefallen. Aber ich mag Crowes Art, mit seinen Charakteren umzugehen; er gibt sie nie der Lächerlichkeit preis, und obwohl sie manchmal nerven, schließt man sie alle, ja, wirklich alle, ins Herz, und das schätze ich an seinen Filmen. Deswegen verzeihe ich ihm auch die lange Exposition (denn mehr war Elizabethtown nicht für mich), bis er mir endlich dieses melancholische und sehnsüchtige Gefühl geschenkt hat, mit dem ich aus dem Kino gehen konnte.