Für Emilia zum zweiten Geburtstag

Liebe Emilia,

heute ist dein zweiter Geburtstag. Ich kann kaum glauben, dass schon ein ganzes Jahr vergangen ist, seit ich dir den letzten Brief geschrieben habe. Damals hast du gerade angefangen, vorsichtig in der Gegend rumzutapsen – und heute bist du schon schneller als deine Eltern, wenn du quietschend durch die Wohnung rennst. Deine Füße erinnern mich übrigens an die Comicfigur Calvin (aus „Calvin & Hobbes“ – frag mal deinen Vater, der müsste ein paar Bände davon rumliegen haben). Du hast ganz weiche, kleinkindkurze Beinchen, die in schrecklich niedlichen Füßchen enden, die du ganz komisch krümmst, wenn du barfuß durchs Wohnzimmer stapftst. Neulich hast du auf dem Balkon gesessen und mit deinem Wassereimer gespielt bzw. erst vorsichtig die Beine deiner Mutter benetzt, dann deine eigenen – und dann hast du den Eimer schön flächendeckend über dich selbst ausgegossen. Und weil du eben so schnell bist, musste sich deine Mama ganz schön langmachen, damit sie dich erwischt, bevor du mit deinen nassen Calvinfüßen ins Wohnzimmer patschtst.

Wie schnell du bist, durfte ich selbst auch erfahren, als ich das erste Mal auf dich aufgepasst habe. Darüber habe ich in meinem Weblog geschrieben, und da ich in diesem Brief nicht darauf verlinken kann, schreibe ich es hier nochmal für dich hin:

(netterweise ist das hier nicht der Brief, sondern mein Weblog, in dem ich darauf verlinken kann, und daher mache ich das hiermit)

Laut deiner Eltern hast du noch tagelang davon geredet, dass „Ake“ auf dich aufgepasst hat. Deine Mama behauptet, dass du jedesmal, wenn ihr an der Kirche vorbeikommt, vom Hahn erzählst und den Glocken und Nemo.

Ich bin sehr von deinen sprachlichen Fähigkeiten beeindruckt. In deinen Bilderbüchern findest du sofort die Vogelscheuche und das Schweinchen, wenn deine Mama danach fragt. Manchmal haust du allerdings auch daneben und zeigst auf das Schaf, wenn deine Mama wissen will, wo die „Gack-gack-Ente“ sei. Und du kannst sogar „Vogelscheuche“ sagen. Jedenfalls behaupten deine Eltern, dass du mit „Ogelöche“ „Vogelscheuche“ meinst.

Vor ein paar Tagen hast du eine kleine Schwester bekommen: Lotta. Deine Eltern waren etwas besorgt, wie du damit umgehst, dass du plötzlich nicht mehr das einzige Kind in der Familie bist, aber du fandst Lotta von Anfang an ziemlich klasse. Du hast sie ganz neugierig angeguckt, als sie aus dem Krankenhaus nach Hause kam und sie geküsst und gestreichelt. Als ich Lotta zum ersten Mal besucht habe, warst du gerade mit deinen Großeltern beim Eisessen, und als du wiederkamst, hast du mich zwar kurz angelächelt und begrüßt, bist dann aber sofort wieder zu deiner kleinen Schwester ans Bettchen gegangen und hast ihr beim Schlafen zugeguckt. Mir ist da erst aufgefallen, wie groß du schon geworden bist. Bisher dachte ich immer, dass du ganz winzig bist, aber im Vergleich zu deiner Baby-Schwester bist du schon riesig. Daher musste ich auch deine Mama anrufen, um sie zu fragen, welche Kleidergröße du hast, als ich dein Geschenk kaufen wollte. Gut, dass ich sie erreicht habe, denn ich hätte etwas viel zu Kleines ausgesucht.

Ein ganz anderes Thema: Ich durfte dabei sein, als du deine erste Schokolade gegessen hast. Ich bin ja ein bekennender Fan von Schokolade und finde den Geschmack auch nach 37 Jahren noch großartig. Daher kann ich deine Reaktion vollkommen verstehen, als deine Mutter dir zu Ostern ein M&M in den Mund gesteckt hat. Du hast das glücksseligste Quietschen von dir gegeben, das ich je gehört habe. Ich weiß, wie du dich gefühlt hast.

Liebe Emilia, ich wünsche dir von Herzen alles Gute zu deinem zweiten Geburtstag. Ich habe dir ein paar M&M’s geschenkt und: ein Fußballtrikot der deutschen Nationalmannschaft. Du wirst dich vielleicht gewundert haben, warum in den letzten Tagen so viele Leute hupend durch die Gegend gefahren sind. Das liegt an der Fußball-Weltmeisterschaft. Deine erste Fußball-WM! Im eigenen Land! Dafür brauchst du auf jeden Fall ein Trikot. Ich hoffe, du bist in späteren Jahren nicht allzu böse auf mich, weil du damit rumlaufen musstest. Und wenn es nur für das Beweisfoto für deine Patentante ist.

Fühl dich ganz doll gedrückt von
Anke

Bitte lesen Sie Syberia.

Verbales Hupkonzert

Fussi #1: Du weißt, dass die Götter dich hassen, wenn ausgerechnet zum Start der Hochsommersaison die Klimaanlage in der Agentur ausfällt. Genauer gesagt: nur in dem kleinen Flur, in dem dein Büro ist.

Aber die Götter betreiben Ausgleichssport: Wir dürfen während der Arbeitszeit WM gucken. Wenn sich’s einrichten lässt. (Passt.)

Fussi #2: Mein Text über meinen ersten (und bis jetzt einzigen) HSV-Besuch wurde zweitverwertet: bei Klaus, einem gar schmucken Online-Magazin von Klaus Stiegemeyer. Dem Mann bin ich verbunden; der hat schließlich meine Brille ausgesucht.

Die Kommentare wurden übrigens gleich mit zweitverwertet, was mir nicht so klar war. Ich hoffe, die Kommentatoren von damals können damit leben.

Fussi #3: Hier fahren neben den Millionen deutscher Wimpel am Auto laut meiner Augen diverse portugiesische rum. Ohne jetzt irgendwelche empirischen Daten zur Einwohnerstruktur Hamburgs zu haben – ich hätte auf viel mehr italienische getippt.

Fussi #4: affectionista sucht den schönsten Schnuckel auf Stollen. Ich plädiere spaßeshalber für Christian Ronaldo aus Portugal, weil der in seiner Pomadigkeit dem ollen Beckham in nichts nachsteht. (Nein, ernsthaft, ich mag ja den Henrik Larsson ganz doll gern. Aber erst, seit er sich die Haare abgeschnitten hat.)

Fussi #5: Bei dem Hupkonzert, das hier gestern abend nach dem 1:0 losging, habe ich eigentlich darauf gewartet, dass die Schiffe im Hafen auch noch ein „Gut gemacht, Jungs“ tuten.

Fussi #6: Wo wir grad bei Schnuckeln sind.

(Hier bitte ein wohliges Seufzen vorstellen)

Nach der doofen Zerrung slash Nervenreizung, an der ich zwei Wochen rumlaboriert habe und wegen der ich letzte Woche ziemlich grantig war, habe ich mich Sonntag ganz vorsichtig mal wieder in Richtung Golfclub bewegt. Zuerst nur auf dem Übungsgrün, wo ich meine Putts um Welten verbessert habe (haha). Dann habe ich mich auf die Range getraut und zaghaft ein paar Schwünge angetestet, die auch ziemlich schmerzfrei waren. Woraufhin ich gestern mal ganz mutig war und mich für neun Löcher auf dem Platz angemeldet habe.

Um’s kurz zu machen: YEAH. Das Gefühl, mit dem ich gestern vom Platz kam, war genau das, weswegen ich zu golfen angefangen habe. Ich hatte einen Slot um 19.40 Uhr gebucht, der vorletzten Möglichkeit, noch zu spielen, was bedeutet, dass einem nicht mehr so viele Grüppchen im Nacken sitzen. Außer mir hatte sich noch ein männliches Wesen mit Handicap -54 angemeldet, wie ich der Startzeitenreservierung im Internet entnehmen konnte. Dieses Wesen stellte sich als ein pensionierter Herr heraus, der auch erst ein knappes Jahr dabei war. Wir hatten nicht nur das gleiche Handicap, sondern haben so ziemlich gleich gespielt, sowohl in der Frequenz von Klasse- bzw. Gurkenschlägen als auch in unserem Tempo. Zwischen den Löchern haben wir ein bisschen entspannt geplaudert („Ich wollte ja nie golfen lernen, denn die wenigen golfspielenden Leute in meinem Alter, die ich kenne, sind total überheblich“), uns beim Bällesuchen geholfen („Ihr Ball liegt vor dem Baum, aber hinter dem Biotop. Hoffe ich.“), uns charmant Komplimente gemacht („Der ist ja quasi schon drin“) und ansonsten stillvergnügt vor uns hingegolft.

Nach den ersten drei Löchern ging die Sonne langsam unter, die Hitze ließ nach, das Gras begann stärker zu duften. Wir zogen zügig, aber nicht hektisch unsere Bahnen, beendeten nach zwei Stunden die Runde und setzten uns im Clubhaus noch kurz vor den Riesenfernseher, um Brasilien beim 1:0 zuzugucken. Ich hab ein Alster ausgegeben bekommen und zwei Zigaretten geschnorrt („Sonst rauche ich ja nicht“ – „Ich auch nicht, nur im Club“), wir haben noch ein wenig versonnen ins Grüne geguckt und uns dann klassisch verabschiedet („Danke fürs Spiel“). Ich bin mit offenem Fenster über die Elbbrücken in die schönste Stadt der Welt zurückgefahren und habe zum ersten Mal die blauen Tore anständig illuminiert gesehen. Im Radio lief Grönemeyers Zeit, dass sich was dreht, und zuhause wartete ein Teller Tomate mit Mozzarella auf mich (und anderthalb Liter Wasser auf ex).

Nach einem eher durchwachsenen Tag in der Agentur hat sich das Spiel so unglaublich entspannend angefühlt, dass ich es selbst kaum glauben konnte. Natürlich war ich nach 20 Minuten schon durchgeschwitzt, aber meine Begleitung war so angenehm, meine Schläge im Rahmen meiner Möglichkeiten (und die zwei Bogeys auf der 3 und der 9 haben mich mit den fünf Schlägen versöhnt, die ich auf der 6 gebraucht habe, um aus dem Rough wieder aufs Fairway zu kommen), dass ich mich trotz der Anstrengung völlig ausgeruht gefühlt habe, als ich den letzten Ball eingelocht hatte. So habe ich mir Golf vorgestellt: als Sportart, die durchaus schlaucht, aber gleichzeitig unglaublich belohnt. Und als eher stummen und disziplinierten Ausgleich zum Rest meines Lebens, in dem ich mich gerne über Kleinigkeiten ewig und lautstark aufrege.

Aber nächstes Mal möchte ich trotzdem weniger als fünf Bälle verlieren. Oder mich beim Suchen etwas mehr anstrengen. Was mich zur nächsten Frage führt, die ich selbstverständlich in einem gesonderten Eintrag noch auf 200 Zeilen diskutieren möchte: Wieso findet man weiße Golfbälle im grünen Gras nicht wieder?

Dieser Eintrag steht auch auf Golfers Delight.

JPod

Was mich von vornherein mürrisch gestimmt hatte, als ich Douglas Couplands JPod aus dem Amazon-Päckchen geschält hatte, war der Titel: JPod. Mit großem J. Im Fließtext wird immer „jPod“ geschrieben, wie sich’s gehört, wenn man die Anspielung konsequent macht. Warum dann nicht auch als Titel? Schon ein Minuspunkt.

Dann der erste Satz, über den ich schon mal gemeckert hatte. Das mag ja ein total crazy Stilmittel sein, sich selbst als Autor in sein eigenes Werk zu schreiben, aber so gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, fand ich etwas … arrogant.

So ging’s dann auch weiter. Coupland wird nicht nur erwähnt, sondern taucht allen Ernstes als Figur in der Handlung auf. Als das passierte, habe ich geistig komplett abgeschaltet. Und die Story bis dahin ist auch nicht unbedingt der Rede wert. Was Microserfs, die geistige Vorlage für JPod und quasi das Prequel, so charmant gemacht hatte, war die relativ unspektakuläre Handlung. In JPod wird dagegen jede Abstrusität, die Coupland vielleicht mal auf dem Klo eingefallen ist, als „Handlung“ verkauft. Da gibt es geschmuggelte Chinesen, einbetonierte Biker, Mütter, die Hanfpflanzen züchten, Kampflesben, die freiwillig zu dummen Blondinen werden, Spieleentwickler, die nach China verschleppt werden und dort glücklich darüber sind, heroinabhängig gemacht worden zu sein und eine Kuschelmaschine für die Nerds im titelgebenden jPod. Und noch vieles mehr, was ich schon wieder vergessen habe, weil es mich nicht interessiert hat. Beziehungsweise weil ich überhaupt keinen Sinn in dieser Handlung gesehen habe, außer auf Teufel komm raus 450 Seiten vollzukriegen.

In einem Interview mit den Farrelly-Brothers habe ich mal über ihre Art, Drehbücher zu schreiben, gelesen. Sie behaupten, sie denken sich den größten Schrott aus, der ihnen einfällt, und manövrieren sich so absichtlich in eine böse Ecke – und aus der können sie dann nur mit einer wirklich guten Pointe wieder rauskommen. JPod fühlt sich ähnlich an: Was immer es an Blödsinn gibt, passiert hier, nur leider fehlt die gute Pointe. Das Buch hört irgendwann auf – zugegebenermaßen mit einem netten kleinen Gag, der mich ein winziges bisschen mit dem Verfasser versöhnt hat –, und ich war wirklich froh darüber, dass ich die Nasen aus dem Buch nicht mehr mit mir rumschleppen musste.

Was ich an JPod allerdings mochte, waren wie immer die kleinen rausgehauenen Nebensätze oder fun facts, die das stilistische Gerüst von jedem Coupland-Roman bilden. Ich mag seine Art, sich über Zeitgeist-Kleinkram Gedanken zu machen (Google, Zima, Primzahlen). Und ich mag es, dass ich bis jetzt in jedem seiner Bücher etwas wiedergefunden habe, was sich anfühlt, als würde er in meinem Kopf rumkramen. So hatte ich mir zum Beispiel mal aus einem Artikel in der brandeins die beknackte Tatsache gemerkt, dass die Toilettenpapierindustrie ihre Klientel nach Knüllern und Faltern unterscheidet. Und genau darüber hat auch eine Figur in JPod was zu sagen. Und ich hatte mal im Weblog über meinen charmanten Lieblingstexter meiner alten Agentur geschrieben, der so gerne Handy-Klingeltöne nachsingt. Coupland hat anscheinend auch so einen Wirrkopf in seinem Bekanntenkreis, denn auch so jemand wuselt mal kurz über eine Buchseite.

Es waren diese Kleinigkeiten, die mich dann doch dazu gebracht haben, ein Buch zuende zu lesen, das mir, ehrlich gesagt, nicht gefallen hat. JPod liest sich wie eine Pflichtaufgabe – und das sagt die Romanfigur Coupland auch selbst zu einem anderen Charakter: Ich muss noch ein Buch abgeben, ich brauch noch Handlung, und deswegen stöbere ich jetzt durch deinen Laptop. JPod fehlt dieses visionäre Spinnertum, was ich an Generation X, Shampoo Planet oder vor allem Microserfs mochte. Je älter Coupland wird, desto mehr haben seine Figuren Jobs und sorgen sich um ihre Eltern, anstatt schön slackermäßig die 20er hinter sich zu kiffen oder zu daddeln oder zu träumen. Ich vermisse das Slackertum ein wenig. Ich vermisse das Rumspinnen. Aber vielleicht will ich auch einfach nicht mit Coupland zusammen alt werden.

Kann sich Spiegel Online eigentlich nichts mehr außer Praktikanten mit kaum vorhandenen Rechtschreibkenntnissen leisten oder wieso ist dort seit einigen Tagen niemand mehr in der Lage, die Bindestriche in den Headlines korrekt zu setzen?

Kein Leerzeichen vor dem zweiten Wort, Herrgott! Das ging doch früher auch bei euch.

Und dann sagte ich doch vorgestern im Stadion so verträumt zum Kerl: „Oooh, der Rasen sieht so puschelig aus …“

Kerl: „Ich weiß, woran du denkst, Schatz. Hör auf zu sabbern.“

Katz und Goldt zum Anziehen: Rumpfkluft. Mein Liebling: „Soll ich Ihnen etwas Kompott in die Anorakkapuze schütten?“ In blau.

2:1

Im Shuttlebus zum Stadion die ersten Fangesänge. Die argentininische Kolonie verliert das Lautstärkeduell gegen die Jungs und Mädels von der Elfenbeinküste. Ein Fan hat einen Stoffelefanten auf dem Kopf.

Vor dem Stadion die wuselige Menschentraube, die sich durch die erste Kontrolle zwängt. Taschen herzeigen, Rucksäcke aufmachen, Inhalt rausnehmen, abtasten. Und da ist das erste Problem: Es gibt anscheinend nicht genug Frauen, die die weiblichen Besucher abtasten. Als ich vorne stehe, wird einem Mädel vor mir von einem männlichen steward bescheinigt, dass er sie nicht abtasten dürfe; sie müsse in die Mädelschlange. Ich schließe mich ihr an. Es gibt geschätzte 20 Jungseingänge und einen für uns. Was aber nirgends ausgeschildert ist. Das kriegt man eben erst mit, wenn man, wie ich, ganz vorne steht und sich dann wieder nach hinten durchkämpfen muss. Ich bin ja kein Stadionexperte, aber bei den wenigen Malen, die ich da war, standen an jedem Eingang ein Mann und eine Frau, die ihre Geschlechtsgenossen und -genossinnen abgetastet haben. Gab’s für die WM nicht genug Freiwillige?

Egal. Ich bin drin. Jetzt auf zur zweiten Hürde: dem Kartenvorzeigen. Das dauert ungefähr dreimal so lange wie das Rucksackaufmachen. Alle haben Reisepässe und Ausweise im Anschlag, neben mir steht jemand aus Schweden, hinter mir höre ich Schweizer. Und eine Traube von Rot-Weiß-Essen-Fans, die anscheinend gut vorgetankt haben und drängeln und rumbrüllen. Meine Sympathie für Fußballfans geht kurzzeitig gegen Null. Dann gucke ich mir den Rest der vielen, vielen bunten, friedlichen, verdammt gut gelaunten Menschen an und bin wieder versöhnt.

Am Eingang muss man keinen Ausweis vorzeigen. Ein Hilfskraft hält das Ticket vor einen Scanner und man flutscht durch ein Drehkreuz. Wie beim HSV. Und dafür der ganze Aufwand mit dem Personalisieren? Pffft.

Ich bin überhaupt nicht vernünftig auf das Spiel vorbereitet, kein hellblaues Trikot, kein orangenes im Schrank. Also noch schnell mit Stöffchen eindecken: Ein offizieller FIFA-Shop hat dutzende von Shirts, Caps und Flaggen im Angebot, darunter auch die offiziellen Trikots für satte 65 Euro. Ich entscheide mich für ein grünes Côte d’Ivoire-Shirt mit den verdammten Deppensmileys auf dem Ärmel für angemessene 15 Euro. Für diese Transaktion brauche ich zehn Minuten, weil die drei Nasen im Shop die … lang … sams … ten … An … ge … stell … ten … sind, denen ich je Geld in die Hand drücken durfte. Aber trotz der Zeitlupe bin ich nicht schlecht gelaunt, denn der Freude und Spannung um mich herum kann ich mich überhaupt nicht entziehen. Fühlt sich wirklich wie das Fußballfest an, das die FIFA immer so gerne heraufbeschwört.

Ich sitze in der letzten Reihe, quasi drei Meter unter der Hallendecke, in der Verlängerung der Eckfahne – und ich habe das Gefühl, einen grandiosen Platz zu haben. Ich sehe alles, die Geräuschkulisse ist überwältigend, und da ich jetzt auch optisch zu einer Mannschaft gehöre, kann’s von mir aus losgehen. Allez!

Maradona ist in der AOL-Arena im FIFA-WM-Stadion Hamburg. Großbildleinwand sei dank.

Die Fans der Elfenbeinküste gewinnen auch im Stadion das Lautstärkeduell gegen die Argentinier. Dafür gewinnen die Argentinier das Spiel. Das Publikum hat sich besonders in den letzten 20 Minuten die Finger wundgeklatscht. Ich auch. Aua. Die Welle läuft mehrmals durch die Arena. Großartiges Gefühl.

Nach dem Abpfiff leert sich der Laden ziemlich schnell. Ich bin in geschätzten fünf Minuten vom Platz unter der Hallendecke am Abfahrtsort der Shuttlebusse. Keine 30 Sekunden später hält einer, lädt die Leute ein, keiner drängelt, keiner pöbelt, der Bus fährt ab und wird von der Polizei bis fast nach Othmarschen durchgewunken. Die Busfahrerin freut sich über die grüne Welle. „So hab ich das gern.“

Toll war’s. Und jetzt guck ich mir das Spiel nochmal im Fernsehen an, ob’s wirklich toll war.

Gestern ist im Kino ein Film über … genau: Golf angelaufen: The Greatest Game Ever Played (Das größte Spiel seines Lebens) beruht auf dem gleichnamigen Buch von Mark Frost und erzählt die Geschichte von Francis Ouimet, der als 20jähriger Außenseiter die US Open 1913 gewann und damit angeblich Golf erst in Amerika populär gemacht hat.

Ich hab den Film nicht gesehen, weil er in Hamburg nur auf Deutsch läuft. Die Kritiken scheinen wohlwollend bis ochnaja zu sein, was bedeutet, sobald die DVD da ist, wird er geguckt. filmz.de hat noch ein paar deutsche Kritiken und Links.

Die letzte Nölung

Jauchzet, frohlocket, ihr zwei bis drei Leser, die Golf langweilig finden und Einträge darüber noch langweiliger: Frau Gröner hat sich in ihrem Übereifer eine schöne Muskelzerrung zugelegt. Und damit sich das Luxuswehwehchen noch ein bisschen dramatischer anhört, auch noch eine Entzündung des Nervs unter einem ihrer diversen Rippenbögen. Das tut doof weh, vor allem beim Atmen, was ich eigentlich ganz gerne mache. Meine Hausärztin hatte noch gemutmaßt, dass ich mir vielleicht eine meiner alten morschen Rippen angebrochen hätte, aber laut des Radiologen mit dem vollen Wartezimmer ist dem nicht so. Ich soll das Golfspielen jetzt erstmal ein paar Tage sein lassen. Schön, dass ich das sowieso schon seit letzter Woche mache, weil es schon seit letzter Woche weh tut. Schön, dass ich gerade Clubmitglied geworden bin und nun meine Beiträge für nix bezahle. Schön, dass ausgerechnet gestern die verdammte Golf-Beilage in der SZ war. WAS IST DENN JETZT SCHON WIEDER MIT MEINEM KARMAKONTO LOS?

Ein Gutes hat das Ganze immerhin: Durch die blöde Wartezimmerrumsitzerei hab ich Couplands JPod schon durch. Aber um die Golfnichtleidenkönnen-Leser zu ärgern, schreib ich da noch keine Rezension zu. So. La Gröner ist jetzt muksch.

(Dieser Eintrag hat einen Folge-Eintrag auf Golfers Delight.)

Dingsbums Viktualia

Lotta ist da.

Oder anders: Emilia hat eine Schwester bekommen. Am 2. Juni schon – Emilia kam am 17. Juni 2004, mitten in der EM, wenn ich mich korrekt erinnere. Diesmal gab’s die Geburt also vor einem großen Fußballturnier, so dass auch der sportbescheuerte Kerl noch geistig in der Lage war, einen Blumenstrauß mitauszusuchen und es überhaupt wahrzunehmen, dass im Haushalt meiner besten Freunde jetzt zwei Kinder rumwuseln. Lotta hat mehr Haare als ihre Schwester und wiegt ungefähr das Doppelte (und sieht aus wie ein Junge), aber Mama ist nicht ganz so fertig wie beim letzten Mal.

Anke: Und, war’s diesmal nicht so schlimm?

Kindsmutter: Es war immerhin nicht so lang.

Ich glaube, 16 Stunden im Vergleich zu 4. Mein Patenkind wieder. Tststs. Ich hab Emilia jedenfalls gesagt, dass Geschwister wahnsinnig praktisch sind. Wenn man selber was verbockt hat, kann man’s auf den kleinen, wehrlosen Nachwuchs schieben. Und wenn man Langeweile hat, kann man ihn ärgern. Oder man kann ihn nach 25 Jahren, wenn man nicht mehr unter einem Dach wohnen muss, total klasse finden.

The Family Stone

Wieder einer von den Filmen, die sich nicht entscheiden können, ob sie einen zum Lachen oder Weinen bringen möchten. The Family Stone (Die Familie Stone – Verloben verboten) erzählt die Geschichte von … ach, viel zu vielen Charakteren, die sich zu Weihnachten unterm Tannenbaum treffen. Da ist die unheilbar kranke Mama (Diane Keaton), der schwule taube Sohn, dessen Lebensgefährte ein Schwarzer ist (noch ein Klischee mehr und es hätte ein Steakmesser-Set gegeben), die nervige kleine Schwester (Rachel McAdams) des Hauptdarstellers (Dermot Mulroney), der sich mit einer Frau (Sarah Jessica Parker) verloben will, die alle in der Familie so richtig doof finden – bis auf den Bruder (Luke Wilson), der … und dann kommt auch noch die liebreizende Schwester von … und die erste große Liebe von … und so weiter.

Der Film hat viele Dialoge, die mir in ihrer Knappheit gut gefallen haben; ich mag es, wenn gerade in rührselig-lustigen Familienfilmen nicht alles breitgequatscht wird, sondern sich erst nach und nach enthüllt. Hier wurde aber nur angefangen, an der Oberfläche zu kratzen, und daher versandeten viele Handlungsstränge in Plattheiten, die man schon viel zu oft gesehen hat. Nach 20 Minuten wusste man, wo der Film hinführt, und das tut er dann auch. Es gibt einige Momente, die mir sehr gefallen haben, wie z.B. das Dinner, bei dem Parker einige sehr unangenehme Momente auf der Leinwand bravorös übersteht – so ungefähr muss es sich anfühlen, einem Autounfall in Zeitlupe zuzugucken. Oder die Szene, in der Diane Keaton Schutz bei ihrem Mann sucht – wundervoll zärtlich und kein bisschen schmalzig. Leider werden diese Szenen von der banalen Story völlig überdeckt. Ein bisschen weniger Komödie, ein paar Darsteller weniger, und wenn ich es mir wünschen könnte: nicht alle Familiengeschichten müssen Weihnachten oder Thanksgiving stattfinden, und dann hätte aus The Family Stone was richtig Nettes werden können. So reicht es immerhin für ein paar verheulte Taschentücher. Aber die auch eher aus gelerntem Reflex und weil ich mich gegen Have yourself a merry little Christmas von Judy Garland aber sowas von gar nicht wehren kann.

Fun with Dick and Jane

Fun with Dick and Jane (Dick und Jane) erzählt die Geschichte eines sehr gut verdienenden Ehepaars (Jim Carrey, Téa Leoni) mit Häuschen, Kind und mexikanischer Hausangestellter, das plötzlich arbeitslos wird. Nach kläglichen Versuchen, statt als CEO nun im Supermarkt oder Fitnessstudio zu arbeiten, fangen die beiden an, Tankstellen etc. zu überfallen, um wenigstens ihre verschachterten Möbel wiederzukriegen. Zum Schluss gelingt ihnen aber der große Coup, den Bösewicht, der Dick arbeitslos gemacht hat, um eine Menge Kohle zu bringen, und alles ist wieder gut.

Der Film ist eine Komödie, fühlt sich aber manchmal nicht so an. Die amateurhaften Raubzüge der beiden sind nicht überspitzt genug, um sie als völlig überzogen wahrzunehmen, und so hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass ein paar Körnchen zu viel Wahrheit in der Klamotte steckten. Vielleicht lag es daran, dass eine Menge Bezüge zur Wirklichkeit geschaffen wurden und sich so die Absurdität gar nicht so absurd angefühlt hat. Wirklich gelungen fand ich aber die Einarbeitung des Deppenzitats von George W. Bush “Now watch this shot”, das im Film Alec Baldwin von sich gibt.

Paradise Now

Paradise Now erzählt die Geschichte von Said und Khaled, zwei Freunden in der Westbank, die auserwählt werden, mit einem Selbstmordanschlag in Israel zu Märtyrern zu werden. Der Anschlag (oder die Heldentat?) verläuft nicht wie geplant, und beide haben erst nach dem Scheitern Zeit, darüber nachzudenken, was sie da tun, warum und ob es wirklich richtig ist.

Paradise Now wurde in Palästina gedreht und lässt daher anfänglich nur eine Seite zu Wort kommen. Erst im Laufe des Films hören wir auch Gegenargumente. Die Geschichte wirkt nicht durch filmische Sperenzchen, ganz im Gegenteil, sie wird sehr geradeaus erzählt, aber wahrscheinlich muss man dieses Thema auch nicht besonders aufwerten, um es sehr emotional werden zu lassen. Gerade aus der spröden Annäherungsweise an die beiden Hauptdarsteller bezieht Paradise Now seine Kraft. Ich glaube nicht, dass irgendjemand durch diesen Film eine andere Einstellung zum Nahostkonflikt gewinnen wird, aber allein durch die Originalschauplätze wird der gesamte Irrsinn ein ganz klein wenig fühlbarer als vorher.