“How pathetic”
Ich rege mich seit Tagen über die Äußerung von Jürgen Trittin auf, dass die USA (sinngemäß) selbst Schuld daran hätten, dass sie Katrina so hart erwischt hat. Hätten sie doch bloß die Kyoto-Protokolle ratifiziert, dann wäre alles nicht so schlimm gekommen. In der englischen Ausgabe von Spiegel Online veröffentlichte daraufhin Claus Christian Mahlzahn einen Artikel, dass diese Äußerungen wie Salz in der Wunde wären, ziemlich unpassend und schlichtweg doof. Den Artikel fand ich sehr angenehm, die angeblichen Reaktionen von vielen amerikanischen Lesern des Drudge Report, der den SpOn-Artikel veröffentlichte, wiederum ziemlich eklig: Nun durften sich nämlich „die Amis“ über „die Deutschen“ aufregen.
Nun deckt aber lautgeben auf, dass der Trittin-Artikel bereits geschrieben war, bevor Katrina überhaupt ihre Zerstörungskraft entfaltet hatte, also noch bevor jemand ahnen konnte, wie schlimm es werden würde. Hat SpOn also selbst einen kleinen Skandal angezettelt, um ein paar Klicks zu generieren? Wenn ja: Gut, dass ich neuerdings lieber tagesschau.de lese, um informiert zu sein.
Bezeichnend finde ich zumindest, dass diese “Diskussion” mit überspitzten Klischees beider Sichtweisen sonst scheinbar kaum irgendwo eine prominente Rolle spielt – weder in deutschen, noch in amerikanischen Medien.
Marc am 02. September 2005
Dafür bin ich eigentlich sehr dankbar.
Anke am 02. September 2005
… genau darüber rege ich mich auch seit tagen auf. aber das liegt wohl sicherlich auch daran, daß ich trotz richtungsnähe herrn trittin immer schon sonstwo hingewünscht habe. der zeitpunkt ist meiner ansicht nach irrelevant, da er so oder so der falsche war.
timanfaya am 02. September 2005
Manchmal bleibt es unvermeidbar, Salz in Wunden zu reiben. Sicher ist das angesichts der Opfer der Flutkatastrophe geschmacklos – schlimmer aber werden die Fragen unserer Nachkommen sein, warum wir angesichts des drohenden Kollaps geschwiegen haben.
tboley am 02. September 2005
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Trittins Artikel war der falsche, auch er wenn vor dem Bekanntwerden des gesamten Ausmaßes der Katastrophe geschrieben wurde. So hätte er noch zurückgezogen werden können und wäre erst später veröffentlicht worden. Es war bereits am Sonntag absehbar, dass es schlimm werden würde.
Dennoch ist die Kampagne gegen Trittin derzeit einfach nur beschämend, hier wird Wahlkampf auf den Rücken der Opfer betrieben und wie es bei lautgeben steht, soll der Artikel auf SpOn vor allem Werbezwecken gedient haben.
Was ist nun schlimmer?
doerfler am 02. September 2005
Nein, es war am Montag abzusehen, daß es eben nicht so schlimm wird. Der Hurricane war herabgestuft worden von 5 auf 3, die zunächst drohende Überflutung wurde für unwahrscheinlich gehalten. Es galt als ausgestanden.
Genau dann – nach einer Katastrophe, die nochmal eben so glimpflich abgegangen ist, ist der richtige Zeitpunkt darauf hinzuweisen, daß es im Klimaschutz weiter gehen muß. Und dazu gehört nun einmal, daß die USA – als pro Kopf größter Umweltverschmutzer der Welt – endlich wenigstens den ersten Schritt geht.
Zu anderen Zeiten interessiert das nämlich keine Sau: “Ach die Grünen wieder mit ihren Orchideenthemen”
Daß es im nachhinein unglücklich wirkt, liegt nun einmal auch an der Lahmarschigkeit von Printmedien.
SannÃÂe am 02. September 2005
Entschuldigung, aber da bin ich völlig anderer Meinung. Ich fand die Sprüche nach 9/11, dass Amerika selbst Schuld daran hätte, dass Terroristen sie aufs Korn nehmen, genauso deplatziert. Und ich hätte auch jeden Spruch nach der Tsunami-Katastrophe in Asien für widerlich gehalten, der den betroffenen Staaten vorgeworfen hätte, ja Mensch, hättet ihr ein Frühwarnsystem gehabt, wär das nicht passiert.
Dass Trittin recht hat mit seinen Forderungen, die Welt müsse sich eben geschlossen um den Planeten kümmern, ist unbestritten. Aber der Zeitpunkt war mehr als dämlich.
Anke am 02. September 2005
Der Zeitpunkt war nun Mal Montag, als Spiegel Online beschrieb, mit welchem Cocktail die Bewohner von New Orleans einen weiteren Orkan überstanden haben.
Trittins Äußerung erschien so selbstverständlich, dass sie niemand wirklich registrierte. Erst zwei Tage später, als eine ganz andere Katastrophe – das Brechen der Deiche – vorgefallen war, hat sich Spiegel Online dem angenommen und ein transatlantisches Bashing veranstaltet.
Torsten am 02. September 2005
Hm. Wenn man so will, bin ich also einer SpOn-Marketingkampagne auf den Leim gegangen. Allerdings haben mich an dem Verhalten der Regierungsparteien (für die ich im übrigen gerade Wahlkampf mache) zwei Dinge gestört:
1.) Dass “Katrina” überhaupt zum Wahlkampfthema gemacht wurde.
2.) Dass erst nach mehreren Tagen (wenn überhaupt) Mitgefühl für die Opfer geäußert wurde. Laut CNN haben in New Orleans bei den letzten Wahlen 78 % für Kerry gestimmt. Und die, die jetzt am härtesten betroffen sind, werden wohl nicht viel mehr schädlichen Beitrag zur Klimaentwicklung leisten als ein vom Tsunami betroffener Indonesier. Der arrogante FR-Artikel von Trittin hilft diesen Menschen einfach nicht.
Dass der SPIEGEL die Polarisierung im deutsch-amerikanischen Verhältnis noch anheizt, um seine schlecht übersetzten Artikel zu promoten, ist traurig. Dass insbesondere Trittin und Bütikofer ihm dafür eine Steilvorlage geliefert haben und auch im Nachhinein ihr Verhalten völlig okay finden, ist für mich noch trauriger.
Marian Wirth am 02. September 2005
Ja, “Katrina” wurde am Montag herabgestuft nachdem sie auf Land traf. Aber was für ein Unterschied macht es denn, ob es nun Windspitzen von 260 km/h sind, oder “nur” von knapp über 200? Für die Häuser in den betroffenen Gebieten macht es keinen Unterschied, die fliegen einfach weg.
Wir alle glaubten am Montag, ach das wird nun doch nicht so schlimm werden, weil der Hurrikan herabgestuft wurde und weil er an New Orleans in großen Teilen vorbei zog, aber genau da liegt ja der Fehler. Das Gebiet des Hurrikans war so groß wie Deutschland und entsprechend groß musste auch das Gebiet der Zerstörungen ausfallen. Genau deshalb war es auch am Sonntag bereits abzusehen, dass wird dieses mal richtig heftig. Aber wir schauten eben vorher nur auf New Orleans (war das Thema für die Medien) und vergaßen dabei die anderen Regionen.
Darum kann ich wirklich nur zustimmen, die Aussagen Trittins sind richtig, aber der Zeitpunkt wirklich dämlich.
doerfler am 02. September 2005
Danke für den pointer. Sicherlich war es dann doch kein so geschmackloser Opportunismus, dieses Desaster im Wahlkampf lauthals zum Thema zu machen. Allerdings war es immer noch dummer Opportunismus, denn es war ja anscheinend schon klar, dass es kein harmloser Hurrican werden würde. Egal ob man schon die Zahl der Toten absehen konnte oder nicht.
thecod am 02. September 2005
CC Malzahn ist ein einschlägig auffällig gewordener Schmierfink:
http://www.rainerbartel.de/2005/08/malzahn-auf-dem-weg-zur-bild.php
Rainersacht am 02. September 2005
@Rainersacht: “Schmierfink” findichnichsotoll … wenn, dann Schimpfwörter benutzen, die man unabhängig vom Beruf gebrauchen und jedem an den Kopf werden kann.
Stephan am 03. September 2005
Das Problem ist doch ein ganz anderes, nämlich das Trittin recht hat. Die Dämme und Pumpen, die New Orleans schützen sollten waren schon lange nicht mehr Modernisiert worden. Der Kastastrophenschutz wurde in den letzten vier Jahren umgebaut und hat dadurch u.a. Naturkatastrophen aus dem Blick verloren.
Hat es hat auch mit dem Klima zu tun. Der wärmere Golf von Mexiko erzeugt heute stärkere Wirbelstürme als noch vor zehn Jahren.
Ãœbrigens ist es nichts anderes als die Elbeflut 2002 oder dieses Jahr die Flut in den Alpen.
Diese ganze Diskussion erinnert eher an das beliebte Spiel: Hau den Trittin. Da spielt es keine Rolle, was er tut. Ob Dosenpfand oder Ökosteuer. Es ist für mich nicht “pathetic” was Trittin geschrieben hat, sondern mehr was darüber geschrieben wurde.
Thomas Bohn am 03. September 2005
Der Spiegel (Claus Christian Malzahn) hetzt Amerikaner gegen Juergen Trittin auf
Spiegel-Online Politik-Chef Claus Christian Malzahn hetzt mit bewußt die Wahrheit verzerrenden Artikeln unter Ausnutzung der Flutkatastrophe in New Orleans die amerikanische Öffentlichkeit gegen die Bundesregierung und dort namentlich gegen Umweltm…
Mein Parteibuch am 03. September 2005
http://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/startseite/?sid=91d85a3558d42d155cc02557dbc477cb&cnt=720781
Dort gibt Audi A8-Fahrer und Umweltpharisäer Trittin eine rechtfertigende Erklärung zu seinem kontrovers diskutierten Gastbeitrag in der FR ab. Er ist die Primärquelle zu Deinem Zitat “Nun deckt aber lautgeben auf, dass der Trittin-Artikel bereits geschrieben war, bevor Katrina …”.
Rene am 04. September 2005
Bitte noch einmal genau hinschauen, Rene. Der Lautgeben-Artikel vom 1.9. kann sich wohl kaum des hier verlinkten Interviews mit Trittin als Primärquelle bedienen, denn dieses erschien ja erst 24 Stunden später.
Was auch immer mit der Angabe von Trittins Dienstwagen bezweckt werden soll… Privat fährt der “Umweltpharisäer” gar kein Auto, er hat nämlich keinen Führerschein.
SannÃÂe am 04. September 2005
Trittin mag in der Sache Recht haben. In Sachen “Umweltschutz” sind Teile des Ami-Landes wohl nicht gerade vorbildlich. Allerdings hatten in Kalifornien Autos schon Katalysatoren, als man bei uns noch gar nicht wußte, wie man das schreibt …
Trittin hat auf jeden Fall aber Pech gehabt beim Timing. Und dass SPIEGEL-online diese Panne journalistisch auskostet, ist schlicht und einfach daneben. Das berufliche Ethos mancher Journalisten ist offenbar nicht besser ausgeprägt als das Umweltbewußtsein mancher Amerikaner.
Varzil am 05. September 2005
Trittin und Katrina
In der Frankfurter Rundschau schreibt der Bundesumweltminister Trittin einen Artikel. Keiner hat ihn wohl gelesen aber alle glauben es getan zu haben. Trittin wird vorgeworfen, dass er den Amerikanern die Schuld für “Katrina” gegeben hat….
Bohn-O-mat am 06. September 2005