Match Point

Match Point (UK 2005, 124 min)

Darsteller: Scarlett Johansson, Jonathan Rhys-Myers, Emily Mortimer, Matthew Goode, Brian Cox, Penelope Wilton
Kamera: Remi Adefarasin
Drehbuch: Woody Allen
Regie: Woody Allen

Trailer

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Match Point beginnt mit einem Satz aus dem Off, den der Ex-Tennisprofi Chris (Jonathan Rhys-Myers) spricht: I’d rather be lucky than good – Ich hätte lieber Glück anstatt in etwas gut zu sein. Bebildert wird der Satz mit einem Ballwechsel; wir sehen einen Tennisball über ein Netz gehen, hin und her, hin und her, bis er schließlich an der Netzkante hängenbleibt und bewegungslos in der Luft verharrt. Der Glückliche, auf dessen Seite der Ball nicht zurückfällt.

Die Geschichte von Match Point klingt von den Beziehungskonstellationen nicht übermäßig neu: Chris gibt Tom Tennisunterricht, lernt dessen Schwester Chloe kennen, verliebt sich in sie und wird durch beide in die so genannte bessere Gesellschaft eingeführt. Er gewöhnt sich sehr schnell an das reiche Leben, bekommt von Chloes Vater einen lukrativen Job angeboten und heiratet schließlich in die vermögende Familie hinein. Er könnte sich also glücklich schätzen, wenn da nicht Nola wäre, Toms Verlobte, die er begehrt, seitdem er sie das erste Mal gesehen hat. Jonathan Rhys-Meyers zeigt als Chris zwei sehr unterschiedliche Seiten. Solange er mit Chloe zusammen ist, ist er ein Musterbeispiel des braven, bescheidenen Schwiegersohns und Gatten. Sobald aber Nola (Scarlett Johansson) in seiner Nähe ist, hält man fast die Luft an, so dicht ist die Spannung zwischen beiden, so zwanghaft sind auf einmal seine Bewegungen und Blicke, während ihre stets sehr weiblich und ungezwungen verführerisch scheinen. Nach einer kurzen sexuellen Eskapade zwischen den beiden verlässt Nola erst einmal das Bild, da Tom die Beziehung zu ihr wegen einer anderen Frau beendet. Niemand weiß, wo Nola abgeblieben ist, und so kann Chris sich wieder seinem beschaulichen Leben hingeben, in dem er Unmengen von Geld hat, eine ihn liebende Ehefrau und ein Appartement mit Blick über die Themse, in dem eine ganze Polomannschaft wohnen könnte. Kurz gesagt: Er findet sein Leben belanglos.

Die Kunst von Match Point liegt darin, dass der Film und seine Geschichte sich neu anfühlen, obwohl man die ganze Zeit nichts wirklich Neues zu sehen bekommt. Von Woody Allen ist man ja eher das Bilderbuch-New York gewöhnt; hier ist es das Bilderbuch-London, das aber mit dem gleichen liebevollen Blick gezeigt wird. Und wie in fast allen seinen Filmen beschäftigen sich die Menschen auch hier eher mit dem richtigen Wein als mit den richtigen Klamotten und gehen ganz selbstverständlich in die Oper anstatt ins Kino. Dialogzeilen wie “Have you seen my Strindbergh copy?” sind genauso normal wie die Tatsache, dass der Schwiegervater von Chris auch deshalb so von ihm beeindruckt ist, weil man mit ihm prima über Dostojewski reden kann. Die Welt, in der sich die Figuren bewegen, ist ein Idyll – oder aber eine erstarrte Landschaft aus Konventionen, Tradition und Erwartungen, auch an sich selbst, denen man entsprechen kann oder an denen man zerbricht.

Chris versucht, den Traditionen zu entsprechen – teilweise erfolglos. So möchte seine Frau dringend ein Kind, was beiden aber nicht vergönnt ist. Sein Job beginnt ihn zu langweilen, der konstante Druck seiner Frau geht ihm auf die Nerven … und plötzlich steht Nola wieder vor ihm. Die alte Anziehungskraft ist wieder da, und sie ist stärker als zuvor. Mit offenen Augen gerät Chris in eine Situation, die keinen anderen Ausweg als den des großen Dramas zulässt. Er erkennt, dass er nicht gut darin ist, eine Ehe zu führen, er ist nicht gut darin, eine Affäre zu haben, er ist nicht gut darin, seinen Job anständig zu machen – aber vielleicht hat er Glück. Vielleicht findet er die Lösung zu seinem Problem. Das Bild, das diese Lösung begleitet, ist ein Ehering, den er wegwirft, der durch die Luft segelt, schließlich an einem Geländer hängenbleibt und nach oben springt, wo er kurz in der Luft verharrt. Auf wessen Seite wird er landen?

Match Point besticht durch Dialoge, die nicht von dieser Welt sind, aber das sind die Figuren und die Kulissen auch nicht. Die Figuren tun nur so, als wären sie eine Ehefrau, ein Ehebrecher und eine Geliebte. Sie sind in Wirklichkeit Entwürfe, Ideen einer Ehefrau, so könnte eine Geliebte sprechen und handeln, so könnte sich ein Ehebrecher fühlen. Sie sind Metaphern für eine moderne Geschichte, die aber eine ganz alte Geschichte erzählt. Und sie sind wundervolle Metaphern, sie fühlen sich richtig und wohlüberlegt an, wie Vorlagen für die Ewigkeit. Der Film hat ein perfektes Tempo, alles entwickelt sich zwingend, aber nicht überhastet, und die Zeitsprünge, die der Film macht, werden von den Figuren mitgetragen: Je länger der Film dauert, desto angestrengter wirkt Chris, desto hysterischer wird Nola, desto pragmatischer Chloe. Fast scheint die Lösung, zu der sich Chris entschließt, Sinn zu haben, so sehr sind wir inzwischen gefühlsmäßig mit den Protagonisten verbunden. Aber eben nur fast. Das Erschrecken über die Konsequenz, mit der Chris die Geschichte beendet, verbindet sich mit dem plötzlichen Widerwillen, ihm sein Glück zu gönnen. So gerne hätten wir Gerechtigkeit gesehen und ein moralisch einwandfreies Ende, das in diese idyllische Kulisse passt – aber das gibt es nicht, genauso wenig wie es einen ewig gültigen Entwurf einer Ehe oder einer Geliebten gibt. Es gibt nur das Glück, das wir uns nicht erarbeiten können, so sehr wir es auch versuchen. Entweder es lächelt uns zu oder es zerstört uns. Was es tut, liegt nicht in unserer Macht. Halten wir also den Atem weiter an und warten hilflos ab, auf wessen Seite es fällt.