Munich

Munich (München, USA 2005, 164 min)

Darsteller: Eric Bana, Daniel Craig, Ciarán Hinds, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler, Ayelet Zorer, Geoffrey Rush, Michael Lonsdale, Mathieu Amalric, Lynn Cohen
Musik: John Williams
Kamera: Janusz Kaminski
Drehbuch: Tony Kushner & Eric Roth, nach dem Buch
Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team von George Jonas
Regie: Steven Spielberg

Trailer

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Munich erzählt die Geschichte des Olympia-Attentats in München 1972 – oder besser: Er erzählt, was danach passiert ist. Oder angeblich danach passiert ist. Laut des Films und dem diesem zugrunde liegenden Buch beauftragen Golda Meir und der Mossad einige Israelis, die palästinensischen Köpfe hinter dem Attentat ausfindig und unschädlich zu machen. Der Film konzentriert sich auf fünf Männer; einer davon ist Avner (Eric Bana), dessen Frau gerade hochschwanger ist, als er sich auf den Weg nach Europa macht, um dort seinen Auftrag auzuführen.

Ich hätte nicht gedacht, dass Regisseur Steven Spielberg es schafft, eine so hochemotionale Geschichte von Rache, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung (alle Begriffe mit Fragezeichen) dermaßen distanziert zu erzählen. Spielberg ist für mich immer ein Regisseur gewesen, der seine Storys überlebensgroß ausstattet, üppiges Kino schafft, immer wiederkehrende Motive satt ins Bild setzt. Selbst bei der äußerst sensiblen Geschichte von Schindler’s List hat er es geschafft, die typischen Hollywood-Momente zu produzieren; wenn Liam Neeson als Schindler sich kurz or Schluss grämt, dass er nicht genug Juden gerettet hat, dann ist das eklig und nicht ergreifend, einfach weil es zum Rest des Films, der sich ganz vorsichtig bewegt, in seiner brachialen Botschaft nicht passt. Munich wäre eine Steilvorlage gewesen, ebenso brachiale Botschaften an den Zuschauer zu bringen. Und ausgerechnet Spielberg hat dieser Versuchung widerstanden.

Der Film fühlt sich sehr altmodisch an; sicherlich auch, weil er liebevollst die 70-er Jahre wieder aufleben lässt, inklusive interessanter orangefarbener Kacheln in einem Küchenschaufenster. Aber vor allem fühlt er sich von der Erzählweise altmodisch an. Er nimmt sich viel mehr Zeit als man heute gewohnt ist, um den Zuschauer in die Geschichte zu holen. Zwar wird das Attentat selbst anfänglich nur sehr kurz abgehandelt, und auch Avners Vorgeschichte wird nur in zwei Sätzen erzählt, aber darum geht es in Munich ja auch nicht. Es geht um die Jagd nach den Attentätern, um die Suche nach ihnen, um die Pläne, wie man die Gefundenen töten kann. Und anstatt daraus jetzt eine atemlose Hetzjagd durch Europa zu machen, sehen wir den Israelis ganz gemächlich dabei zu, wie sie zusammen kochen und essen, Bomben basteln, Kontakte knüpfen, Schmiergelder zahlen und warten. Warten auf die richtige Gelegenheit, ihren Auftrag auszuführen. Die Erzählweise ist konzentriert, aber dabei fast beiläufig, lakonisch geradezu.

Nur in wenigen Szenen merkt man Munich an, dass er eine filmische Erzählung sein will und keine kühle Dokumentation. Als der erste Täter erschossen wird, kommt der gerade vom Einkaufen, seine Papiertüten fallen herunter, eine Milchflasche zerbricht, und die Milch vermischt sich telegen mit dem Blut des Opfers. Oder die Szene, in der ein Nachrichtensprecher die Namen der israelischen Sportler verliest, die gestorben sind; der Film springt zwischen den Fernsehbildern und einem Raum des Mossad hin und her, in dem gerade die Namen der Attentäter bekannt gegeben werden – die Namen vermischen sich, sie gehören auf einmal zusammen und werden nicht wieder voneinander loskommen. Oder eine Szene kurz vor Schluss, wo die beiden Welten des Films aufeinandertreffen: die letzten Bilder der Opfer und Täter in den Hubschraubern auf dem Flugfeld, die verunglückte Rettung, das sinnlose Sterben auf beiden Seiten. Hier mischen sich diese Szenen mit Bildern von Avner, der nach langer Zeit nach Hause gekommen ist und mit seiner Frau schläft. Er wird die Bilder, die seinen Auftrag begründeten, nicht mehr loswerden, ganz gleich, wie sehr er es auch versucht. Die Welt draußen ist in seine Welt drinnen eingedrungen, und dort wird sie bleiben.

Das Interessante an Munich ist, dass es sich genau wie für die Akteure auch für den Zuschauer immer mehr wie „nur“ ein Auftrag anfühlt. Zwar klingt ab und zu durch, dass man das alles für Israel tut, für sein Land, aber das waren für mich irgendwann nur noch Worthülsen. Nach dem zweiten oder dritten Mord spüren die fünf einen Verdächtigen im Libanon auf; also in einem arabischen Land, aus dem sie sich eigentlich fernhalten sollten. Sie überzeugen ihre Auftraggeber, sie trotzdem walten zu lassen. Und diese Überzeugungsarbeit klingt nicht wie eine Aufgabe um der Ehre des Heimatlandes Willen, sondern es klingt, als ob die Männer inzwischen wissen, wie sie ihren Job am effektivsten ausführen können. Es geht auf einmal nicht mehr um Gerechtigkeit, es geht inzwischen nur noch darum, mehr von „denen“ zu erledigen, bevor diese noch eine Chance haben, einige von „uns“ zu kriegen.

Genau das ist auch das Dilemma, dessen sich Avner im Laufe des Film bewusst wird. Je besser er in seinem „Job“ wird, desto mehr Angst hat er auf einmal um sich – und um seine Familie, die längst nicht mehr in Israel lebt, dem Land, wegen dem er doch den Kampf aufgenommen hat. Er beginnt, paranoid seinen Unterschlupf auf Bomben abzusuchen, er schläft nicht mehr in seinem Bett aus Angst vor Sprengsätzen, er vertraut Menschen nicht mehr, denen er vertraut hat und muss denen vertrauen, denen er eigentlich fremd bleiben wollte. Der Auftrag zehrt nach und nach an ihm, und allmählich wird ihm klar, dass mit jedem ermordeten Terroristen mehrere neue nachkommen, die er theoretisch auch umbringen müsste, um sich sicher zu fühlen. Munich schafft es, die kleine, geordnete Welt, die Avner beschützen wollte, zu einer einzigen großen Ungewissheit zu machen, in der er sich nun befindet, obwohl er doch genau das verhindern wollte.

Beide Seiten – Palästinenser und Israelis – dürfen in wenigen Dialogen „ihre“ Sicht darlegen, und natürlich klingen beide gleich: Beide beanspruchen denselben Platz auf dieser Erde, und beide gemeinsam können sie nicht darauf leben. Der Film bietet keine Lösung an – wie auch, die Realität schafft das ja auch nicht. Munich zeigt den Anfang des Terrors, mit dem wir heute leben, und er fühlt sich genauso überflüssig und genauso dumm an wie heute. In einer Szene geben die Israelis vor, für die RAF oder die ETA zu arbeiten, und es wird ihnen geglaubt. Es ist irgendwann egal, für wen die Waffen erhoben werden, das Ziel ist irgendwann egal, die Mission, die Menschen, die dafür sterben. Irgendwann fühlt sich alles wie ein nicht enden wollender Selbstzweck an, und die Protagonisten legen die Waffen nur deshalb nicht nieder, weil sie sie eben schon so lange in der Hand halten.

Munich ist streckenweise recht brutal, es fließt viel Blut in Großaufnahme, es tut weh, sich das sinnlose Töten anzuschauen, weil man weiß, dass es nichts bewirkt. Munich fühlt sich aber gleichzeitig an wie ein Versuch, das Böse aus der Welt zu schaffen – ein naiver Versuch, ein grausamer und ein sinnloser, aber ein Versuch. Der Film bezieht allerdings keine Stellung, er verurteilt das Attentat, er verurteilt aber ebenso die Reaktion darauf. Er negiert quasi sein Anliegen – und wird dadurch zu einer Art Auseinandersetzung ohne Auflösung. Die zu finden, bleibt dem Zuschauer überlassen. Und auch das hätte ich von Spielberg nicht erwartet: Er bildet diesmal nur ab, seine Handschrift ist kaum zu spüren, er gesteht dem Film zu, dass er streckenweise recht zäh wirkt, weil eben die Ereignisse minutiös erzählt werden müssen, er wagt sich an menschliche Abgründe, vor denen er sonst gerne zurückgeschreckt ist, er lässt das Böse zu Wort kommen, und er gesteht sich und uns ein, dass auch aus guten Absichten fürchterliche Konsequenzen folgen können. Diesmal sind wir nicht in Hollywood. Diesmal gibt es kein Happy-End. Und deswegen ist diesmal auch ein sehr erwachsener und sehr guter Film dabei herausgekommen.