Auswärtsspiel
Seit mehreren Jahren gehört mein Samstag der Bundesliga; ich erinnere an diesen Eintrag. In der letzten Sommerpause musste ich mit Entsetzen feststellen, dass mir die Jungs und das Bällchen weitaus mehr gefehlt haben als ich das vorher geglaubt hatte. Deswegen gab ich zum Start der jetzigen Saison alle Contenance auf, kaufte ein Trikot, nahm vom pflichtschuldig gemochten HSV Abschied (wenn man halt in Hamburg wohnt) und schenkte mein Herz dem Verein, der es seit Jahren schon hatte, dem FC Bayern, auch wenn man sich dafür immer rechtfertigen muss („Erfolgsfan“). Außerdem wurde ich Vereinsmitglied und guckte mir unser Stadion live an. Zusätzlich trug ich zum ersten Mal alle Bayernspiele in meinen iCal-Kalender ein, damit ich weiß, wann ich soziale Verpflichtungen annehmen kann und wann ich tödliche Krankheiten vortäuschen muss, um in Ruhe Fußball gucken zu können. Und dabei fiel mir auf: He, wenn du schon nicht dauernd nach München fliegen kannst, um deinen Helden zuzujubeln, dann guck sie dir doch an, wenn sie in deiner Nähe spielen. Erste Gelegenheit: meine Geburtsstadt Hannover.
Sonntag mittag checkte ich die vorausgesagten Temperaturen (ein HSV-Spiel vor Jahren hatte mich gut auf die zu erwartende Kälte vorbereitet), zog zwei Shirts und zwei Longsleeves unter mein Gomez-Trikot, fitzelte zwei Paar Socken in die Sneakers, warf mir den Schal mit meinem Namen darauf um, packte die Jacke erstmal in den Rucksack und bestieg den Zug in Richtung Niedersachsen. Die zwei Stunden vor dem Spiel verbrachte ich bei einer Freundin mit Familie, stärkte mich mit Feigen-Pflaumen-Kuchen, ließ mir vom Nachwuchs bescheinigen, eine coole Sonnenbrille zu haben und wurde dann zur U-Bahn gebracht. Auf dem Weg dahin scherzten die ersten 96-Fans, dass Bayern verlieren werde, was ich natürlich mit „Wir sprechen uns nach dem Spiel“ konterte. Gut, dass wir uns danach nicht mehr getroffen haben.
Die AWD-Arena kenne ich noch als Niedersachsenstadion. Mein erstes Popkonzert fand dort statt, Pink Floyd erfreuten mich auf ihrer „Momentary Lapse of Reason“-Tour 1988. Und auch mein erstes Fußballspiel live habe ich dort gesehen. Ich dachte lange Zeit, eine Begegnung der EM 88, Irland gegen die UdSSR, wäre mein erstes Spiel gewesen, aber das zweite Spiel, an das ich mich deutlich weniger erinnere, war laut der Wikipedia schon ein paar Jahre früher: Am letzten Spieltag der Saison 1985/86 verlor Hannover 96 1:4 gegen Dortmund und stieg in die zweite Liga ab. Das Ergebnis wusste ich noch, das Jahr hatte ich anscheinend verdrängt.
Gegen ein 1:4 hätte ich Sonntag nichts einzuwenden gehabt. Schon in der U-Bahn traf ich die ersten Bayern-Anhänger, die genau so wie ich an den roten Trikots zu erkennen waren. Wir mischten uns unter die vielen schwarz-weiß-grünen Schals und Kutten und zogen die wenigen Gehminuten in Richtung Stadion.
AWD-Arena – Allianz-Arena 1:0. Kürzere Anfahrts- und Fußwege, bessere Ausschilderung. Allerdings sieht man das Stadion erst, wenn man direkt davor steht und so eindrucksvoll wie der Kissenberg in München ist es nicht. Aber das gibt nur Abzüge in der B-Note und beeinflusst den Spielstand nicht.
Ich bräuchte für die nächsten Spiele mal eine Aufstellung, in welchen Stadien 0,5-l-Plastikflaschen erlaubt sind. Hamburg: weiß ich nicht mehr verboten, danke, Pleitegeiger. München: erlaubt. Wolfsburg, jedenfalls zu Frauen-WM-Zeiten: 0,5-Tetrapak erlaubt, Plastikflasche verboten. Hannover: verboten.
AWD-Arena – Allianz-Arena 1:1. DURST!
Auch an dieser Stelle, nachdem ich auf Twitter schon mehrfach piepste, ein fettes Dankeschön an den Kutter, dem ich meine Eintrittskarte verdanke. Perfekter Platz, zwei Blöcke neben der Bayern-Fankurve, weswegen ich meine Freund_innen weitaus lauter hören konnte als die 96er, die hinter dem Tor da ganz weit drüben standen. Gerade mal zwei Besuche in der Allianz-Arena hatten mich perfekt vorbereitet. Fangesänge haben recht selten komplizierte Texte oder Melodien, weswegen ich alles locker mitgrölen konnte. Habe ich anfangs nicht gemacht, aber direkt vor mir saßen zwei überzeugte und laute 96-Kuttenträger, und da wollte ich dann doch ein kleines Gegengewicht bilden.
STEEEHT AAAUUF, WENN IHR BAYERN SEID, STEEEHT AAAUUF, WENN IHR BAYERN SEID!
Aufgestanden bin ich verdammt gerne, auch wenn ich kein Bayer bin, aber die Sitzschalen, jedenfalls im Oberrang, sind scheiße unbequem. Man liegt eher als dass man sitzt, und das Lehnchen hat seinen Namen nicht mal im Diminuitiv verdient. Gut, man hat ein bisschen mehr Platz als in München, aber da kann man wenigstens sitzen ohne Angst zu haben, aus der Schale zu rutschen oder sich endgültig den armen Rücken zu ruinieren.
AWD-Arena – Allianz-Arena 1:2. Ich bin alt, ich will’s bequem.
Das Spiel war noch nicht richtig im Gange, als die ersten Nasen hinter mir schon vom Bayern-Dusel zu reden begannen. Das hörte auch nach dem 2:0 nicht auf. Außerdem hatte ich eine Dame hinter mir, die ihren armen Kerl ab Minute 30 volljammerte, dass das alles viel zu spannend sei. „Also wenn die das noch verkacken, dann haben sie aber echt selber Schuld. Das ist alles viel zu spannend. Wieso ist noch nicht Schluss? Mann, wenn die das noch verkacken!“
Natürlich musste sich auch der Mann, dessen Namen ich auf dem Rücken trage, eine Menge anhören. Leider nicht ganz unberechtigt. Umso schöner fand ich es, als ich in der Halbzeitpause mal wieder stand (und sogar Netz hatte!), dass mir ein Bayern-Fan, der hinter mir die Treppe runterkam und mein Trikot sah, auf die Schulter klopfte und meinte: „In der nächsten Halbzeit! Das wird noch!“ Schnucki wäre gerührt gewesen. Hinter dem freundlichen Fan ergoss sich eine weitere Schlange an Menschen, die zu den Fressständen oder den Klos wollten – oder eine rauchen. In den Zugängen durfte man anscheinend und draußen, aber nicht, wenn man saß. Ich habe mehrfach Ordner gesehen, die Leute auf das partielle Rauchverbot aufmerksam machten, und soweit ich das überblicken konnte, wurden auch brav alle Kippen ausgedrückt.
AWD-Arena – Allianz-Arena 3:2. Ich rauche zwar auch ab und zu, aber in der Masse nervt es total. Fetter Punkt für Hannover. Und: Die Allianz-Arena ist das absolute Funkloch. In 300 Meter Entfernung konnte ich manchmal noch twittern, in der Arena selbst ging nix mehr. In Hannover ging es immerhin in der Halbzeit.
Das Spiel selbst fand ich großartig. Klar hätte ich gerne ein anderes Ergebnis als das 2:1 gehabt, ich hätte ein Unentschieden als gerecht empfunden, aber ehrlich gesagt war mir das schon nach dem Abpfiff total egal. Ich habe 90 Minuten auf der Kante des Sitzes verbracht – und das nicht nur, weil mein Rücken sonst zerbröselt wäre. Es war unfassbar spannend, die Stimmung toll, die Kälte erträglich, und wenn ich noch was zu trinken gehabt hätte, wär das ein perfekter Abend gewesen.
Als ich wieder in Hamburg war, habe ich mir das Spiel nochmal auf Sky angeguckt, wo mich die ständigen Close-ups extrem genervt haben. In der Totalen konnte man wunderbar sehen, wie schnell das Spiel war, leider natürlich auch, wieviele Pässe wir diesmal vergeigt haben; wie unbeeindruckt Hannover von Bayern war, denen ich sonst eine gewisse naturgemäße Präsenz unterstelle, von der Sonntag aber nicht ganz so viel zu sehen war. Das waren zwei absolut ebenbürtige Gegner, die sich nichts geschenkt haben und die 90 Minuten lang kaum Leerlauf produzierten. Selbst wenn wir das Spiel verloren haben, war es ein Genuss, es anzuschauen.
Da ich noch 90 Minuten Zugfahrt vor mir hatte, bin ich quasi mit Abpfiff die Treppen runtergehüpft, um den nächstmöglichen Zug zu bekommen. Auch wenn im Gegensatz zu München keine 66.000, sondern „nur“ 49.000 Zuschauer_innen von hier weg wollen, war der Andrang am U-Bahnsteig äußerst erträglich. Eine Menge Ordner sagten genau, wer bitte wo lang zu gehen habe, und die Bahnen kamen im gefühlten 2-Minuten-Takt. In der S-Bahn-Station Fröttmaning fand ich es deutlich enger, deutlich voller und nicht ganz so konsequent organisiert, weswegen man eine Menge Ellenbogen brauchte, um a) in die Bahn zu kommen und b) eventuell sogar zu sitzen. Das hat bis jetzt beide Male mein Begleiter für mich erledigt, aber ich fand es immer recht grenzwertig und werde es wahrscheinlich auch nächste Woche, wenn wir gegen Neapel spielen, grenzwertig finden.
AWD-Arena – Allianz-Arena 4:2. Okay, weniger Menschen, aber trotzdem: eine sehr entspannte und gut organisierte Abreise.
Im Zug nach Hamburg wurde erstmal die Timeline nachgelesen, wodurch das Spiel noch eine weitere Ebene bekam (was Twitter halt so macht, dieser wunderbare Dienst). Und zuhause wartete die bereits erwähnte Sky-Übertragung. Ich war Stunden vor dem Spiel schon hibbelig, was sich auch so gar nicht dadurch bändigen ließ, dass ich ausgerechnet Fever Pitch von Nick Hornby im Zug las. Das Hibbeln hörte im Stadion erst recht nicht auf, und selbst zuhause, als alles vorbei und erledigt und gegessen war, ging mein Kopf nochmal ein paar Szenen durch, erinnerte sich an die vielen Details – und jammerte präventiv, dass er das nicht öfter haben kann.
Selbst wenn ich jeden zweiten Samstag nach München flöge, hätte ich recht geringe Chancen, eine Karte zu bekommen, da von den 66.000 Plätzen gerade mal 8.000 im freien Verkauf landen. Daher hier der Aufruf einer EXTREM ANGEFIXTEN JUNGEN DAME: Wer auch immer als Dauerkartenbesitzer_in mal keine Zeit oder Lust auf ein FCB-Spiel hat – Mail genügt und ich buche einen Flug. Sogar für Köln.
AWD-Arena – Allianz-Arena 4:3. Home is where the heart is.