„Die meisten Klienten besuchen uns gerne in der Agentur. Wahrscheinlich wegen des Kaffees und des Ausblicks. Wir empfangen sie nachmittags, sie essen etwas, sie trinken etwas, sie unterzeichnen Verträge. Ich würde nicht sagen, dass ich mit meinen Klienten befreundet bin, aber ich würde sagen, dass ich viel Verständnis für sie habe, auch für ihre Selbstzweifel. In der internationalen Presse kursiert seit Jahren die Ansicht, dass die Texte aus CobyCounty stilistisch zwar perfekt seien, dass ihnen jedoch der Bezug zu existenzieller Not fehle. Diese Haltung wird in Onlinemagazinen und Kommentarforen nachgeahmt. Und wenn Autoren noch sehr jung sind, dann lesen sie tendenziell viel in solchen Magazinen und Foren und laufen Gefahr, sich von diesen jederzeit abrufbaren Meinungstexten langsam zermürben zu lassen. Eine meiner wichtigsten Aufgaben sehe ich darin, die jungen Autoren auf die Lügen in den Digital- und Printmedien hinzuweisen: Zum Beispiel wurde auf der Webseite von Le Monde zuletzt behauptet, der Markt vertrage keine aufwendig gestalteten Bücher über Standpartys mehr. In Wahrheit wollen die Menschen aber noch viel mehr über gute Zeiten in CobyCounty erfahren, das zeigen nicht nur die Verkaufszahlen, das erklärt sich von ganz allein: Wer hier nicht lebt, will sich ein Leben hier vorstellen, und alle anderen wollen ihre eigenen CobyCounty-Erfahrungen mit den Erfahrungen in den Texten abgleichen.
Ein guter Agenturtag beginnt mit Kaffee und zwei Shortstorys. Nach der Mittagspause, die ich oft in einem Bistro für üppige Gemüsesuppen verbringe, schreibe ich E-Mails und führe Telefonate. Heute spreche ich mit Mattis Klark, der mein allererster Klient war. Er möchte nach seinem Debütroman nun einen Band mit kürzeren Texten veröffentlichen. Das Projekt ist einfach zu betreuen, es sind schlichte, leicht anrührende Geschichten über einen manisch-depressiven Highschoollehrer. Ich finde fast keine Fehler und kann Mattis für seine äußerst solide Orthografie loben. Er ist ein dankbarer, sonorer Typ, er zieht seinen Sohn alleine auf. Ich kündige ihm an, dass ich ihn auf eine Tasse schwarzen Tee besuche, sobald er mir auch die letzten beiden Erzählungen geschickt hat.“
Leif Randt, Schimmernder Dunst über CobyCounty