durchlüften
So. Gekündigt. Neuer Vertrag ist unterschrieben. Nur noch drei Wochen in der im Prinzip schönsten Agentur der Welt. Wenn doch nur die Kunden … oder ein bestimmter Kollege … wenn doch alles ein klitzekleines bisschen anders wäre, hätte ich es gerne noch ein wenig länger hier ausgehalten. Nun sind die Dinge aber nun mal so, wie sie nun mal sind, und ich kann es leider nicht ändern. Also die Kunden oder den Kollegen. Aber ich kann mich selber ändern bzw. den Ort, an dem mein Schreibtisch steht.
Das letzte Mal stand ich vor drei Jahren vor einem Ortswechsel. Damals war der Wunsch ziemlich groß, der Werbung Adios zu sagen und mal was anderes zu machen. Komischerweise war der Wunsch, ganz dringend wieder Werbung machen zu wollen, sofort da, als mein letzter Tag in der Agentur und der dementsprechende Tränenschleier sich verzogen hatten. Damals hatte eine Bewerbung gereicht, um einen neuen Job zu kriegen; diesmal musste ich mich noch weniger anstrengen, denn netterweise ist Texter ein recht krisensicherer Job, und wenn man einen halbwegs vernünftigen Ruf hat, hinterlassen die vielen, netten Persotanten Hamburgs ganz freiwillig Einladungen zum „Ach, komm doch mal vorbei, so mit Mäppchen, nur mal schnacken, irgendwelche Pläne?“ auf dem Handy. Was mich und mein kleines, memmiges Ego sehr gefreut hat. Ich habe mir mehrere Läden angeguckt, mein Bauch fand auch erstmal alles spannend und toll und Hauptsache erstmal raus hier, aber nach einigen Nächten, in denen ich über alles geschlafen habe, bin ich eines Morgens wachgeworden und wusste ganz genau, wo ich hinwollte. Und da geh ich jetzt auch hin. Und ich freue mich sehr darauf.
Es hat mich auch gefreut, dass es dieses Mal gar nicht zur Diskussion stand, die Werbung zu verlassen. Anscheinend mag ich meinen Job heute lieber als damals. Könnte daran liegen, dass ich inzwischen mehr Erfahrung habe und schlicht gut in dem bin, was ich tue. Dementsprechend macht es auch mehr Spaß, wenn man nicht mehr klein und doof ist und alles erfragen muss, sondern es stattdessen einfach macht und dann passt das schon.
Die Kündigung lag, wie gesagt, nicht nur an bestimmten Kunden, sondern eher an der – auch wenn das Wort seit Manitu nicht mehr ganz so ernstgenommen werden kann – Gesamtsituation. Ich habe schon seit Wochen bzw. Monaten gemerkt, dass irgendwas in mir nicht in Ordnung ist, ohne wirklich den Finger draufpacken zu können. Leider habe ich das an der Waage gemerkt, denn die – für mich immer noch unglaublichen – abgenommenen 25 Kilo sind inzwischen eher wieder 20. An guten Tagen hat das gesunde Essen geschmeckt – und ich weiß ja auch, dass ich mich damit weitaus besser fühle als wenn ich Quatsch esse. An schlechten Tagen wusste ich das auch, aber es war mir egal, und ich wollte jetzt ganz dringend einen Becher Ben & Jerry’s einatmen und eine Pizza und noch ne Runde Schokolade und Chips hinterher, um meinen Tag zu vergessen. Beziehungsweise eben einen einzigen Blödmann, mit dem ich arbeiten muss. Denn das ist es, was mich so kirre gemacht hat.
Ich hätte nicht gedacht, dass es soviel Kraft kostet, sich tagtäglich mit einem Menschen auseinanderzusetzen, dessen Arbeitsweise und persönliche Eigenarten mir so dermaßen gegen den Strich gehen wie ich es noch nie vorher erlebt habe. Ich habe zeitweilig die „Ich ignorier ihn einfach“-Schiene ausprobiert (was aus praktischen Gründen nicht ging), ich habe die „Ich find ihn jetzt einfach nett, und wenn’s das letzte ist, was ich tue“-Schiene ausprobiert (was nicht ging, weil ich kein Heiliger bin, verdammt nochmal), und ich hab die „Ich muss ihn ja nicht heiraten, ich muss nur mit ihm arbeiten“-Schiene ausprobiert – was halbwegs ging, den langen Arbeitstag aber auch nicht gerade zu einem Vergnügen gemacht hat. Ich habe erst verstanden, wie fürchterlich ich die Tage finde, an denen er da ist, als ich bemerkt habe, wie sehr ich mich auf die Tage gefreut habe, an denen er nicht in der Agentur ist.
Jetzt, da ich weiß, dass es nur noch wenige Wochen sind, geht’s mir besser. Seit ein paar Tagen klappt die vernünftige Ernährung wieder, ohne dass ich sie mir schönreden muss. Ich verliere meine Kraft nicht mehr auf sinnlosen Nebenschauplätzen – denn ich brauche meine Kraft eben für die Ernährungsumstellung bzw. den Umgang mit meiner Essstörung. Ich schlafe wieder halbwegs gut (verdammte Hitze), und überhaupt merke ich jetzt erst, dass ich mal wieder durchatmen kann.
Wenn nun noch die Zerrung komplett abheilen würde, damit ich wieder den Golfschläger schwingen (und viele Leser mit den Schilderungen darüber vergrätzen) kann, wäre eigentlich alles perfekt. So ist es immerhin fast perfekt.
Auch nicht so schlecht.