re:publica 2012 – Tag 1
Raus aus Kalkscheune und Friedrichstadtpalast – rein in die Station Berlin. Konnte nach dem Rush-Hour-Gedrängel und -Geschwitze vom letzten Jahr eigentlich nur besser werden auf der re:publica 12. Und es wurde. Und wie.
In der Station gibt es acht Stages, von denen ich gestern, am Mittwoch, fünf kennengelernt habe. Und bis auf eine war ich von allen schwer begeistert – gut und ausreichend bestuhlt, gutes Licht, guter Ton, gute Luft. Stage 1 ist die Hauptbühne, auf der fast durchgehend Englisch gesprochen wird. Und wo man tollerweise mitlesen kann, denn um die Barrierefreiheit zu verbessern, tippt irgendein unsichtbarer Geist alles mit, was der/die Sprecher_in sagt, und man kann es mit winziger Zeitverzögerung und fast komplett auf der Leinwand mitlesen.
Aber damit fing es ja gar nicht an. Nach der kurzen Akkreditierung und dem unvermeidlichen Bändchen am Handgelenk, was jetzt zwei Tage mitduschen darf, schlenderte ich um kurz nach 9 in die helle, große und luftige Halle, in der sich mehrere Türme aus schwarzen Boxen erhoben, auf denen schon fleißig Menschen in Smartphones oder Laptops starrten. Kiki taufte das Ganze per Tweet „Affenfelsen“, und genauso nenne ich das jetzt auch. Neben den Boxen standen bergeweise bunte Stapelstühle rum, die sich im Laufe des Tages in allen Stages und Freiflächen verteilten – und genau das sollten sie auch. Wie Johnny in der Eröffnungsrede meinte: mitnehmen, wo immer sie gebraucht werden, danach wieder in die „open space“ (die Luft um den Affenfelsen rum) bringen, wo sie dann ein anderer mitnehmen kann. Gute Idee, simpel, praktisch, schön.
In der „open space“ befinden sich zusätzlich ein paar Catering-Buden (auch eine deutliche Verbesserung zur Theke in der Kalkscheue), bei denen es Getränke, Sandwiches, Baguettes und kleine Gerichte zum Wegsnacken gibt. Zusätzlich wartet an der Stirnseite der Halle ein re:staurant, wo man sich entspannt hinsetzen und was Warmes essen kann. Habe ich nicht angetestet, sah aber alles gut und bezahlbar aus. Mein Getränk des Tages war Filterkaffee für einen Euro – mal eine schnieke Abwechslung zum Latte-Gedöns für nen Fünfer.
Nach der Eröffnung in Stage 1 ging ich zu Stage 2, wo Herr Knüwer über „Creative Internet Business: Made in Germany?“ redete. Dabei saß ein Investor, der seine buntverspiegelte Sonnenbrille völlig ironiefrei im Haar trug, und ein anderer benutzte derart viele Buzzwords, dass ich ihm sehr gerührt zuhörte. Derartig konsequentes Jil-Sander-Denglisch kriegt man in Reinform ja kaum noch geboten.
Eigentlich sollte der Vortrag nur die Zeit bis zum Panel über Barrierefreiheit überbrücken, aber dann fand ich es doch so interessant, dass ich blieb. Auf Stage 1 erzählte mir dann eine junge Dame etwas über Windowfarms (“as locally grown as possible”) und Open-Source-Food, was ich auch alles äußerst spannend fand. Die Digital Media Women Hamburg konnten mir dann auf Stage 7 leider nicht sagen, was sie eigentlich genau machen außer dem üblichen schwammigen „Netzwerken“, aber vielleicht ist das so ein Twitter-Ding: Wenn man es nicht ausprobiert, kapiert man es nicht. Stage 7 war die einzige Bühne, die etwas nervig war – sie teilt sich das offene Obergeschoss mit Stage 8. Die beiden sind zwar weit genug voneinander entfernt, dass man das andere Panel nur als Hintergrundrauschen hört, aber man hört es eben. Außerdem ging mir der Titel „Kompetenz statt Quote“ ziemlich auf die Ovarien, denn ich finde es sehr schade, wenn Frauen glauben, sich verbal von feministischen Themen abgrenzen zu müssen, um bloß niemanden zu erschrecken. Das habe ich mir dann auch nicht bis zum Schluss angehört und mich wieder zu Stage 2 begeben, wo ein hochinteressantes Panel zum Thema Self-Publishing stattfand, das von mir aus gerne doppelt so lang hätte sein können. Die Vor- und Nachteile von Self-Publishing versus klassischer Verlag wurden gut herausgearbeitet, und mit meinem winzigen Einblick in das Buchgeschäft, den ich im letzten Jahr gewonnen habe, war das alles noch mal so spannend.
(Edit: Das Publishing-Panel ist online.)
Das Stage-Hopping ist übrigens um so vieles einfacher als das Von-Raum-zu-Raum-Gekämpfe der letzten Jahre. Wo man sich sonst, gerade in der Kalkscheune in den kleineren Räumen, am besten morgens um 10 einen Platz sicherte, damit man auch garantiert in das Panel um 16 Uhr reinkommt, ist hier: Platz. Platz bis zum Umfallen. Sogar die Luft ist erträglich, sogar bei knapp 30 Grad, sogar nachmittags um vier. Okay, da wurde es in den kleinen Räumen etwas stickiger, aber auch das war immer noch deutlich besser als in der Kalkscheune, wo ich mit allem fächelte, was ging, um wenigstens die Illusion von Luft zu erzeugen.
Auch der Zeitplan ist etwas schlauer; es gibt immer einen Puffer von 15 Minuten zwischen den einzelnen Vorträgen, und jetzt, wo man die Zeit gar nicht braucht – weil eben nicht alles so überfüllt ist – hat man wirklich mal die Möglichkeit, aufs Klo zu gehen oder sich ein Sandwich zu holen, und man kommt danach trotzdem bequem in die Panels. (Klos = sehr sauber, nie überfüllt.) Vielleicht hatte ich die guten Vorträge mit dem guten Publikum, denn auch die Labernasigkeit von Fragesteller_innen hielt sich extrem in Grenzen. Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl von entspannter Wohlorganisiertheit. Der Charme des Klassentreffens ist ein bisschen dahin, aber dafür kriegt man endlich mal was von den Vorträgen mit, für die ich Geld bezahle. Um Blogger- und Twitternasen zu treffen, brauche ich keine Konferenz. Für die Vorträge schon. Und natürlich habe ich trotzdem dauernd jemand getroffen, den ich kannte, allerdings nicht so in der geballten Menge wie sonst. Dafür ist es doch alles deutlich größer.
In der „open space“ stehen natürlich auch die üblichen Sponsorenboxen, die ich mir aber nicht genauer angeschaut habe. Dafür fand ich eine Aktion von Hornbach sehr erwähnenswert. Erstens haben sie Frühstück verteilt, was für die frisch Angekommenen aus anderen Städten sicher ne nette und sinnvolle Idee war. Und zweitens haben sie in der „open space“ eine geschätzt acht Meter lange Wand aufgebaut, die sie tapezieren. Immer wieder. Wenn die Wand voll ist, fangen sie wieder von vorne an, denn wie ihr Claim sagt: „Es gibt immer was zu tun.“ Und was tapezieren sie da? Sämtliche ausgedruckten Tweets mit dem Hashtag #rp12. I like. (Hier sieht man die analoge Twitterwall in Bewegung – die bunten Stühle auch. Via @stecktimdetail.)
Beim Panel „Innovationslabore des Journalismus“ war ich kurz davor einzunicken, weil ich das Gefühl hatte, hallo, das habe ich doch alles schon vor drei Jahren gehört, aber das fand netterweise der Rest des Raums auch, und es entwickelte sich eine recht scharf geführte Diskussion zwischen Publikumsanspruch und Innovationswille der Verleger bzw. den vermittelnden Journalist_innen auf der Bühne. War dann doch spannend. Der einzige Vortrag, den ich eher so meh fand, war ausgerechnet der von Kathrin Jans und Jojo, den ich ja anbete, aber die 45 Minuten zu Leetspeak und Ragefaces war dann doch teilweise an den Haaren herbeigezogen (den Gedankensprung von Kunst zu Memes musst du mir noch mal erklären) und von geringem Neuigkeitswert. Leider. (Edit: Le Jojo hat mich hervorragend getroffen. Ich bin ein Rageface im Bayerntrikot!)
Danach war mein Kopf dicht und ich schwänzte die letzten beiden Stunden, um in angenehmer Gesellschaft bei einigen Gläsern Riesling zu versacken.
Bisheriges Fazit: bis jetzt toll. Mehr davon.