Drei Shootings und der Katalog, der daraus entstand
Wie die meisten meiner geschätzten Leser_innen wissen, schreibe ich beruflich am liebsten Autokataloge. (Ich schreibe auch alles andere, aber in den Katalogen ist jedesmal Herzblut drin.) Mein Hauptarbeitgeber ist die Agentur, in der ich als piepsige Juniortexterin angefangen habe, in die ich nach einem kurzen Abstecher zur Konkurrenz und Mercedes-Benz als Seniorin zurückkam, um mich irgendwann selbständig zu machen und wieder gebucht zu werden. Immer für einen Kunden, der bis heute mein liebster ist und es wohl auch immer bleiben wird: Audi.
Audi baut nicht nur schöne Autos, sondern stattet sie auch auf Wunsch mit Fahrhilfen für Menschen aus, die körperlich eingeschränkt sind. Genau für diese Zielgruppe produzierten wir in den letzten Monaten einen Katalog, den ich ausnahmsweise nicht nur auf meine Arbeitsseite packe, sondern auch hier im Blog vorstellen möchte. In meiner persönlichen Hitliste kommt er direkt nach meinem Lieblingskatalog über die 24 Stunden von Le Mans, den ich bereits 2003 geschrieben habe.
Was ihn für mich so besonders macht, ist die Herangehensweise. Ich schrieb nicht über die üblichen Themen, die ich sonst liebevoll im Katalog abfiedele, den Motor, das Design, den Innenraum, die Neuheiten, die das Fahrzeug hat. Dieses Mal schrieb ich stattdessen über die Menschen, die mit dem Fahrzeug unterwegs sind.
Unsere Konzeptidee war, drei Sportler_innen vorzustellen, die die Audi-Fahrhilfen nutzen: Maria Kühn, Rollstuhl-Basketball, Vico Merklein, Handbike, und Gerd Schönfelder, Alpinski. Dafür wurden drei Low-Budget-Shootingtage geplant, eher spontan on location anstatt große Studioproduktion, und ausnahmsweise war ich dabei. Als Texterin sitze ich eigentlich brav in der Agentur, während die Art-Fraktion unter Palmen drei Wochen lang ein Auto fotografiert. Dieses Mal guckte ich meiner Art Direktorin und dem Junior-AD dabei zu, wie sie mit dem Fotografen und seinem Assistenten Bilder komponierten. Während sie sich zwischen den Aufnahmen über die Digitalkamera beugten und die nächsten Einstellungen diskutierten, grätschte ich kurz dazwischen und stellte unseren Modellen zwei, drei Fragen. Und während die anderen Mittagspause machten, schnappte ich mir die Sportler_innen und hatte jeweils eine gute Stunde Zeit, um sie mal in Ruhe auszuquetschen, wobei mir da Jo Magrean, der Fotograf, gerne über die Schulter guckte und die Menschen fotografierte, während sie mit mir redeten. Am Anfang war ich etwas skeptisch, ob wir uns nicht ständig in die Quere kämen, aber schon nach wenigen Stunden des ersten Tages war ich begeistert von dieser Art des Arbeitens.
(Junior-AD, Art Direktorin, Vico, Jo, Nancy, Kundin beim ersten Blick auf die Bilder, alles beim Staatstheater Darmstadt, wo wir zuerst fotografierten.)
Das hatte zum einen mit Jo zu tun. Meine Art Direktorin hatte ihn ausgewählt, weil ihr seine Art, Menschen zu fotografieren, so gut gefallen hat: Jedes Bild sieht persönlich aus, ungestellt, schlicht. Weit weg von der üblichen Hochglanzwerbeknipsigkeit, die wir bei diesem Projekt nicht haben wollten. Sein Assistent Matthieu ist Franzose und lebt in Spanien; mit ihm radebrechten wir auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch, Jo sprach stets Französisch mit ihm, dann unwillkürlich auch mit uns, was seltsamerweise meist funktionierte, es war an allen Shootingtagen richtig warm, wir haben in Hessen und dann in Bayern unter einem stahlblauen Himmel geshootet, und so fühlte es sich ein winziges bisschen wie Urlaub an, den man mit entspannten Freunden verbringt. Denn was Jo für mich so großartig gemacht hat, war seine Art, die Menschen vor der Kamera innerhalb von unglaublichen fünf Minuten locker zu kriegen.
Wir hatten gerade erst Hallo gesagt, da quatschte er Maria Kühn schon in ein Schwimmbad und Vico Merklein in die Sauna. Der einarmige Gerd Schönfelder flachste in Minutenschnelle zurück, als er die Ansage bekam: „Lass den einen Arm ruhig aus dem Autofenster hängen.“ – „Den anderen auch?“, Maria tauschte zwischen den Aufnahmen Shoppingtipps mit der Audi-Vertreterin am Set aus, und Vico knutschte seine Freundin Nancy, sobald kurz mal niemand was von ihm wollte. Die Atmosphäre war von Anfang an gut gelaunt und vertrauensvoll, und ich glaube nicht, dass ich das so hervorragend hinbekommen hätte wie Jo. Das Blöde ist: Ich weiß bis heute nicht, was er genau gemacht hat, denn er hat sich an jedem Shootingtag die jeweilige Hauptperson geschnappt und ist mit ihm oder ihr vom Rest der Gruppe weggegangen. Bei Maria und Gerd nahm er auf dem Beifahrersitz Platz, während wir zum ersten Shootingort fuhren, bei Vico bestand er darauf, ihn kurz alleine fotografieren zu dürfen. Und als wir wieder alle zusammen waren, hatte ich das Gefühl, wir seien auf einmal beste Freunde.
Und das war das zweite Tolle am Job: die Menschen, die ich kennenlernen durfte. Bei keinem war auch nur ein Hauch Arroganz oder Langeweile zu spüren – „Meh, schon wieder so ein oller Termin, den ich wahrnehmen muss“ –, ganz im Gegenteil. Vico hat mich mit seiner absoluten, fast zen-gleichen Ruhe beeindruckt. Egal ob er über seinen Unfall, seinen Sport, seine Familie sprach – er wirkte, als ob ihn nichts und niemand erschüttern kann. Umso spannender fand ich es, von ihm zu hören, dass er scheinbar am meisten von den dreien mit seinem neuen, anderen Körper nach dem Unfall zu kämpfen hatte. Maria hingegen ist ein Bündel von guter Laune; sie hatte einen Tag mit circa 33 Grad erwischt und musste mehrere Stunden lang in praller Sonne agieren. Das schien ihr alles nichts, aber auch gar nichts auszumachen, sie lächelte und lachte zu jeder Sekunde, und natürlich ist es ein Foto von ihr geworden, das auf dem Titel des Katalogs landete. Bei Gerd brauchte es nur ein Grinsen, und meine Art Direktorin und ich schmolzen dahin (wie bei Vico auch). Gerd ist ein Charmeur und Showman wie aus dem Bilderbuch, und das weiß er auch. Hier habe ich vor allem die stillen Momente genossen, die ich alleine mit ihm hatte. Jo und Matthieu bereiteten die nächsten Aufnahmen vor, das Art-Team war mit der Kundin verschwunden, und ich saß mit Gerd in Jos Hotelbett und quatschte, als ob wir uns schon 20 Jahre lang kennen würden. Irgendwann kam Jo dazu und fotografierte, und das Foto ist auch mein liebstes von Gerd im Katalog, wo man ihn im Profil sieht, mit mir nachdenklich sprechend, das dunkle Holz des Hotelbetts im Hintergrund, das weiche Mittagslicht.
(Jo und Matthieu fotografieren Maria vor dem Römer-Kelten-Museum in Manching.)
Beim Schreiben hatte ich die Seite Leidmedien im Hinterkopf, die netterweise gerade online ging, als ich mit dem Texten begann. Ich hoffe, mir ist nichts Blödes durchgerutscht, keine Menschen, die an den Rollstuhl „gefesselt sind“ oder „ihr schweres Schicksal meistern“. Unsere drei Sportler_innen haben die Texte vor der Veröffentlichung natürlich abgenickt und ich freue mich sehr darüber, dass sie nichts daran zu bemängeln hatten. Jedenfalls an der 24-seitigen Version, die Audi gedruckt hat. Intern haben wir eine 32-seitige Fassung erstellt, weil wir a) so viel zu erzählen und b) so viele schicke Bilder hatten. Auf meiner Arbeitsseite steht der 24-Seiter, und in einem weiteren Blogeintrag steht der Text, der in der 32-seitigen Broschüre gestanden hätte, zusammen mit ein paar Fotos. Im Blogeintrag fehlt die „Verkoofe“, also die Seite, auf der die Fahrhilfen zu sehen sind. Auch das war etwas, was mich am Projekt begeistert hat: dass wir eben kein Hardselling machen mussten und auf jeder Seite das Produkt zu sehen sein musste. Natürlich wird Audi erwähnt – he, es ist immer noch Werbung –, aber ich finde, es liest sich trotzdem wie eine Reportage. Zumindest hoffe ich das.
(Gerd schreibt schnell noch ein paar Autogramme, nachdem wir ihn durch Bayreuth und in einen Badesee gejagt haben.)
Bei Interesse: Hier steht der veröffentlichte 24-Seiter, und hier geht es zum Blogeintrag, aus dem leider kein 32-Seiter geworden ist.