Protokoll der Sitzung vom 17. Januar 2013
Damit ihr mal mitkriegt, wie anders mein Schreiben klingt, wenn ich es weder für Autos noch fürs Blog noch für Antidiätbücher nutze. Das Protokoll wurde mit 2,0 benotet; ich habe leider kein weiteres Feedback bekommen, daher weiß ich nicht genau, was nicht „sehr gut“ daran war oder wo ich Fehler gemacht habe. Aber wir sind hier ja unter uns.
Die Noten zum Klaviertrio Op. 70,1 stehen hier (der letzte Downloadlink hat Taktzahlen), für Op. 70,2 hier (der dritte Complete-Score-Link hat Taktzahlen).
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Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Musikwissenschaft
WS 2012/13
Dozent: xxx
Beethovens Klaviertrios
Protokoll der Sitzung am 17.01.2013
Protokollantin: Anke Gröner, B.A. Kunstgeschichte/Kunst – Musik – Theater, 1. Semester
Auszüge aus Opus 70,1 (Geistertrio) und Opus 70,2 von Ludwig van Beethoven
Opus 70,1 – 2. Satz: Largo assai ed espressivo
In der Sitzung wird zunächst der zweite Satz von Opus 70,1 in D-Dur besprochen und die Frage gestellt, was das „Geisterhafte“ am sogenannten Geistertrio sei bzw. ob man die „geisterhafte Stimmung“ musikalisch belegen könne. Kritisch anzumerken ist, dass Stimmungen etwas sehr Persönliches sind, angesiedelt noch unterhalb von benennbaren Gefühlen; eine Stimmung entgleitet sofort, sie ist nicht so intensiv wie eine Emotion.
Eine Meinung ist, dass die vage, unspezifische Form des Satzes eine diffuse Stimmung verbreite, eine weitere, dass die Stimmung eher gespannt sei. Als Beleg für diese Aussage wird die Streicherphrase in Takt 1 angesprochen, bei der es unklar bleibt, wie sie sich entwickelt, der Zuhörer also gespannt wartet.
Während der Satz größtenteils den üblichen kompositorischen Gepflogenheiten entspricht, fällt die Vielzahl an Dominantseptakkorden auf. Der Satzbeginn bzw. die Vortragsbezeichnungen (auch sie in großer Zahl) sind ebenfalls ungewöhnlich: sotto voce in Takt 1 sowie cantabile in Takt 9 für die Streicher bzw. das Cello weisen auf stimmliche Qualitäten hin. Die menschliche Stimme gilt als das aussdrucksstärkste „Instrument“ – vielleicht hat Beethoven deshalb diese Vortragsbezeichnungen gewählt.
Das Klavier hingegen dient als „Klanginstrument“. Es schafft einen Hintergrund, eine nicht genau zu ortende Fläche, auf der „Melodiefetzen“ schweben. Diese Klangteppiche dienen auch dazu, seelische Befindlichkeiten des Menschen darzustellen. Als Beispiel für ähnliche Klangteppiche werden Richard Wagners Feuerzauber aus der Walküre sowie der Beginn des Rheingold erwähnt, in denen Naturereignisse anthropomorphisiert werden. Franz Schubert arbeitete in seinem Opus 99 und 100 ebenfalls mit „Klangbändern“ und erzeugte fast orchestrale Anmutungen.
Im vorliegenden Satz wird zu diesem Thema unter anderem Takt 18 erwähnt, in dem das Klavier durch sein Tremolo eine Art Zitterbewegung erzeugt, die akustisch instabil klingt und Assoziationen zu Geistern hervorruft. In Takt 37 wird in einer kleinen Sekunde tremoliert, und in Takt 24 erzeugt der Tritonus aus fis und c Spannung, genau wie derjenige aus f und h in Takt 25.
Trotz der nicht exakt zu definierenden Stimmung ist der Gesamteindruck des Satzes schlüssig; jeder Klangmoment verfügt über etwas Funktionales, das aufgelöst wird. Stefan Kunze bescheinigt dem Satz angeblich „geistige Tiefe“, wobei nicht klar ist, auf was sich Kunze bezieht. Man kann sicherlich vom Intellekt der Formästhetik beeindruckt sein; trotzdem bleibt der Begriff problematisch. Auch das Stichwort „poetisch“ fällt, vor allem im Hinblick auf die romantische Musikästhetik. Dieser Begriff kann ebenfalls nicht eindeutig musikalisch belegt werden.
Über das literarische Vorbild zum Geistertrio kann nur spekuliert werden. Vermutlich hatte Beethoven Kenntnis von William Shakespeares Macbeth, wo gerade der Hexensabbat zu Beginn sowie der Weg in den Wahnsinn von Lady Macbeth Vorlagen zu „schauriger“ Musik sein können.
Opus 70,2 – 1. Satz: Poco sostenuto, Allegro ma non troppo
Der erste Satz des Klaviertrios in Es-Dur beginnt mit einer Einleitung, die nach 19 Takten in das Hauptthema mündet. Das Charakteristische des Werks ist die Zurückhaltung des Klaviers, das den Streichern die meiste Zeit die Melodie überlasst.
Der Kopfsatz erscheint nicht eindeutig angelegt, er wirkt „im Fluss, prozesshaft“, als würde man einzelne Stadien der Komposition besichtigen. Seine langsame Einleitung prägt den gesamten Satz; E.T.A. Hoffmann nannte ihn angeblich „labyrinthisch“, man spüre „verschlungene Gärten“ und „Verworrenheit“. In ihm vereinen sich zwei unterschiedliche Charaktere: ein fassbares Hauptthema mit einem stark variierenden Seitenthema.
Weitere Rezensenten erinnert die Einleitung an ein Madrigal (1) bzw. Choräle (2) von Johann Sebastian Bach, an letztere besonders durch das übereinander gelagerte Motiv aus Takt 1 bis 4, das von Cello, Violine und schließlich vom Klavier kanonartig gespielt wird. Ob diese Komposition ein bewusster Rekurs auf Bach ist, lässt sich nicht mehr sagen. Man kann das Motiv der Einleitung auch als fugenhaft bezeichnen, was eher auf Joseph Haydn hinweisen würde. Es erscheint mehrere Male im Satz, zum Beispiel in der Coda in Takt 224, wo zusätzlich das langsame Tempo wieder aufgegriffen wird (Tempo I). Der Bach-Bezug bleibt auch aus anderen Gründen kritisch zu bewerten: Sein homophones, akkordisches Komponieren (als Beispiel) ist hier nicht zu finden.
Die Einleitung geht nahtlos ins Hauptthema des ersten Satzes über: In Takt 18 und 19 finden wir in der Violinstimme zunächst einen Sext-, dann einen Septimsprung (von b nach g bzw. von b nach a), der in Takt 20 seinen Abschluss findet, wo ein vollständiger Oktavsprung von b nach b vollzogen wird. Das zweitaktige Thema kehrt des Öfteren in Bruchstücken und Variationen wieder; durch seine Klarheit ist es stets wiederzuerkennen.
Das Seitenthema in B-Dur beginnt in Takt 64/65. Der Übergang dorthin ist bemerkenswert, denn das Motiv der Einleitung erklingt. Allerdings ist nicht zu klären, in welcher Tonart: Es könnte weiterhin Es-Dur sein, aber auch Ges-Dur sowie dessen Paralleltonart es-moll sind vorstellbar. Im Gegensatz zu Opus 70,1, wo das Seitenthema eher „fleckenhaft“ vorhanden ist, das heißt, fast versprengt und eher selten, findet es hier sehr starke Beachtung in der Durchführung.
Tonleiterläufe im Klavier sowie in den Streichern leiten in Takt 82 die Schlussgruppe ein. In Takt 95 beginnt die Durchführung, wo sich das Klavier zunächst durch diverse Akkorde arpeggiert. Unter anderem werden ein F7-, ein B7- sowie ein C7-Akkord gespielt, die aber keine Auflösung finden, bis die Phrase in Takt 106 mit dem Seitenthema in B-Dur endet. Franz Schuberts Wanderer-Fantasie wird erwähnt, aber ob Schubert sich damit wirklich vor diesem Arpeggio verbeugen wollte, kann nicht beantwortet werden.
Die Einleitung wird abermals in den Takten 121, 123 und 125 zitiert, als das Klavier in der hohen Lage trillert – ein „Show-Effekt“, der keinen Bezug zur Melodie der Streicher hat und ihr einen bisher ungehörten Klangcharakter verleiht.
In Takt 129 stellt sich die Frage, ob die Reprise bereits begonnen hat. Ansätze des Hauptthemas erklingen, allerdings nicht notengenau. Stattdessen wird auf Bruchstücke der Durchführung zurückgegriffen (z.B. die Sechzehntel in der Begleitung), die so diesen Satzteil unerwartet anreichern. Man kommt überein, dass diese „Schein-Reprise“ doch eine echte sei.
Der Satz endet mit der Coda ab Takt 209. Wiederum werden, im Tempo II, die Sechzehntel aufgegriffen, genau wie die Triller aus der Einleitung. Kurz vor Schluss erklingt nochmals das Tempo I – vielleicht ein Grund, warum E.T.A. Hoffmann das Ende als „versöhnlich“ und „adlig“ (3) bezeichnet hat. Nach dem „Labyrinth“ endet der Satz mit einem klaren und gleichzeitig zurückhaltenden Eindruck. Auch die Dynamik schließt den imaginären Kreis: Beginn und Ende des Satzes stehen im piano – ein klarer Gegensatz zu den eher „brachialen“ Enden anderer Kopfsätze.
Das Satzende kann aber auch anders empfunden werden: Man erwartet das nochmalige Erklingen des Themas, wird aber enttäuscht. Der Satz verebbt geradezu, er läuft scheinbar ins Nichts aus.
Ausblick
In der folgenden Sitzung sollen die drei weiteren Sätze behandelt werden.
Der 2. Satz: Allegretto erinnert an einen Rondosatz. Cello und Violine wechseln sich mit kleinen virtuosen Motiven ab. Der Satz ist nicht in Sonatensatzform verfasst.
Der 3. Satz: Allegretto ma non troppo könnte als Menuett gedeutet werden. Angeblich sei die Skizze Beethovens dementsprechend überschrieben gewesen sein.
Der 4. Satz: Allegro beschließt das Trio schließlich mit viel Witz und ist wieder von Unterbrechungen geprägt, die nochmals an Hoffmanns „Labyrinth“ erinnern.
Fußnoten
(1) Löhr, Martin: Der „andere“ Beethoven, in: Booklet zu: Beethoven Klaviertrios, Trio Jean Paul. Redaktion: Dr. Jens Markowsky, WDR 2002/2009, S. 5.
(2) Ringer, Alexander L.: Ein „Trio Caracteristico“? – Randglossen zu Beethovens Op. 70, Nr. 2, in: Laubenthal, Annegrit (Hrsg.), Studien zur Musikgeschichte – Eine Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel 1995.
(3) Hoffmann, E.T.A., Schriften zur Musik, München 1963, S. 132.