Nebenschauplätze

Der naive Plan war: Ich nehme mir eine Auszeit von der Werbung, studiere was Nettes, um den Kopf wieder ein bisschen mehr anzustrengen, um dann nach drei Jahren als frischgebackene kluge Bachelorette wieder Werbung zu machen.

Die unangenehme oder auch total tolle Realität: Seitdem ich meine Füße zum ersten Mal in die LMU gesetzt habe, ist die Werbung eine elende Nervensäge geworden und das Studium ein Paradies auf Erden.

Mein Widerwille, sich mit Reklame zu befassen, ist kaum zu beschreiben. Ich würde im Moment lieber kellnern gehen als weiterhin Kram zu texten, den kaum jemand lesen will und den meist niemand braucht. (Mein Rücken findet texten allerdings netter als kellnern. Man ist ja keine 40 mehr.) Ja, meine Kataloge holen die Leute sich freiwillig, aber trotzdem: Ich mag gerade nicht. Und ich mag eigentlich schon seit längerer Zeit nicht mehr, sonst hätte ich die Idee mit dem Studium gar nicht erst gehabt.

Mein derzeitiges Luxusproblem: Da ich nur etwas studieren wollte, das mich interessiert und nicht etwas, das mich eventuell beruflich weiterbringt (ich hab ja nen Beruf), habe ich eben Kunstgeschichte und Musikwissenschaften gewählt. Ich merke allerdings in jeder Unterrichtsstunde und Vorlesung mehr, dass ich wirklich gerne was im Bereich Kunstgeschichte machen würde. Ja, ich weiß, die Welt wartet nicht auf 46-jährige Kunstbachelorettes oder 48-jährige KuGi-Masters, aber sie hat auch nicht auf orientierungslose Studienabbrecherinnen gewartet, die bloß nen Copytest ausgefüllt haben, und trotzdem ist aus mir was geworden. Und wenn ich mir mit 48 einen neuen Job schnitzen muss, dann mach ich das eben. (Oder ich ziehe zu meiner Schwester, die mich mit Essen dafür bezahlt, dass ich ihre Wohnung aufräume. Vielleicht kriege ich sogar Taschengeld.)

Um wieder auf das Problem zurückzukommen: Als Ergänzung zu Kunstgeschichte ist Musikwissenschaft eher suboptimal. Also nicht völlig daneben, aber es gäbe schlauere Nebenfächer. Zum Beispiel Geschichte, das ich ja sogar schon mal studiert habe, wenn auch ohne Abschluss. Bei jedem kunstwissenschaftlichen Buch zieht es mich zu Geschichtsbüchern aus der Epoche, in jeder Vorlesung bastele ich mir im Kopf um die Bilder die Zeitläufe herum, in denen sie entstanden sind, um sie irgendwie einzunorden. Wenn ich mir meine Sachbuchvorlieben angucke, findet sich da neben Kunst, Musik, Futter und Fußball so gut wie nur Historisches – und das lese ich freiwillig und in meiner Freizeit. Warum dann nicht in der Uni?

Der eventuelle Nebenfachwechsel hat noch einen anderen Hintergrund: das leidige Geld. Durch mein selbständiges Texten ist mein Konto in den letzten Jahren richtig schön voll geworden, und wenn ich nicht in München wäre, könnte ich entspannt ohne Nebenjob drei Jahre davon leben und studieren. Ich bin aber nun mal in München, weil ich nur da Musikwissenschaften studieren kann. Von der Hamburger Uni hatte ich vor knapp einem Jahr auch eine Zusage im Briefkasten – und zwar für die Fächer Kunstgeschichte und Geschichte. Aber Frau Gröner wollte ja was Lustiges studieren und hat zudem die Mietkosten in München sträflich unterschätzt, weswegen ein Nebenfachwechsel mir auch die Möglichkeit gibt, ganz eventuell den Studienort zu wechseln, falls es finanziell einfach nicht mehr geht. (Dann lasse ich mich vom Kerl mit Essen dafür bezahlen, dass ich unsere Wohnung aufräume. Vielleicht kriege ich sogar Taschengeld.)

Vielleicht ist die Werbemüdigkeit nur temporär bzw. vielleicht liegt es an den Dingen, die ich bewerbe. Daher hatte ich mich vor kurzem um einen Nebenjob als Texterin in einem Reiseunternehmen beworben, mit dem ich selbst gerne durch die Gegend fahre, aber das hat nicht geklappt – passt schon; nach dem Vorstellungstermin wollte ich dort weitaus weniger gern arbeiten als beim Bewerbungschreiben. Lag nicht am Gespräch, war nur ein Bauchgefühl, und die nächste Florenzreise wird auch wieder bei dem Unternehmen gebucht. Auch der Nebenjob in der Bayerischen Staatsoper hat nicht geklappt, aber für den war ich wirklich nicht qualifiziert genug – was mich natürlich nicht daran gehindert hat, trotzdem eine Bewerbungsmail zu schreiben. Jetzt grübele ich über Jobs in Museen nach, mit denen sich vielleicht ein bisschen was in die Kriegskasse spülen lässt, wobei ich in diesem Bereich noch nicht mal weiß, wo ich anfangen könnte. Mein neuer Liebling, das Lenbachhaus, sucht allerdings gerade jemand fürs Marketing. Zwar in Vollzeit, aber egal. Ich schreib mal wieder ne Mail.

Ich bin immer noch selbst erstaunt davon, wie sehr mir das Studium gefällt, wie großartig ich es finde, mich mit ganz anderen Dingen zu befassen als in den letzten Jahren. Ich mochte meinen Job und die meisten Kunden und Agenturen und natürlich vor allem die Leute, mit denen ich gearbeitet habe. Aber ich habe immer mehr gemerkt, dass ich mich über Zeug aufrege, das es schlicht nicht verdient hat, mir Magengeschwüre zu bereiten. Kein Adjektiv ist es wert, dass ich wegen ihm mitten in der Nacht aufwache, weil der Kunde es mir gestrichen hat. Keine Präsentation ist so wichtig, dass man bis Mitternacht in der Agentur für sie sitzen muss. Und wegen keinem, wirklich keinem Job sollte man auf dem Klo hocken und heulen.

Ich erlebe mich an der Uni komplett anders als in der Agentur. Deutlich weniger angespannt, mit weniger Schmerzen in den Schultern, mit durchgeschlafenen Nächten und vorfreudigem Aufwachen. Ich wette sogar, dass mein Blutdruck niedriger geworden ist. Ich fühle mich anders, weil ich anders arbeite: selbstbestimmter, interessierter, begeisterter. Und: Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Man kann sicher darüber streiten, ob ein altes Gemälde sinnvoller ist als ein neues Auto, aber ich für meinen Teil habe die Entscheidung zugunsten des Gemäldes getroffen. Ich war und bin der Meinung, dass Kunst und Musik die Menschheit zu einer besseren machen, während Technik das vielleicht nicht immer schafft. Diese beiden Bereiche machen zumindest mich zu einem besseren – gesünderen, glücklicheren – Menschen. Und ich bin mir sicher, dass auch Geschichte das schafft.

Weitergrübeln.