Wochenrückblick 14. bis 19. Juli
Sonntag, 14. Juli
Die erste Tageshälfte mit Lernen verbracht, die zweite mit Grillen.
Montag, 15. Juli
Nach dem erfolgreichen Geschichtseignungstest kann ich mir die erste von zwei Musikklausuren – Gehörbildung – sparen. Ich ringe noch etwas mit mir, trotzdem hinzugehen, so aus Spaß und als angemessener Semesterabschluss, entscheide mich dann aber für die nächste Runde Lernen. Vor mir liegen ungefähr 300 ausgedruckte Kunstwerke in halber Postkartengröße und 100 Karteikarten mit kunsthistorischen Begriffen und Namen – zum Beispiel zum barocken Schlossbau, zum Realismus oder zur Münchener Stadtgeschichte sowie wichtigen Büchern und Aufsätzen, die man kennen (oder noch besser: gelesen haben) sollte. Ungefähr ein Drittel der Bilder gehört zur Vorlesung Altniederländische Malerei; sie sind nach Malern geordnet anstatt nach Themen, weil ich sie so besser behalten kann. Die Themen wiederholen sich nämlich gerne: Lukas-Madonna, das Jüngste Gericht, Altäre für diverse Heilige und viele Porträts, wobei die nach Einzelporträt, Stifterporträt (Diptychon aus einem Flügel mit einer Madonna plus Flügel mit dem Menschen, der das Bild bezahlt hat, eben dem Stifter) und Gruppenbild getrennt sind. Ich bin schon so weit, die meisten Bilder bei einem flüchtigen Blick darauf wiederzuerkennen, bringe aber gerne Daten durcheinander und ignoriere zugegebenermaßen komplett die Aufbewahrungsorte. Die Punkte, die mir in der Klausur fehlen, wenn danach gefragt wird, werde ich verschmerzen, sag ich mir so locker. (Dieser Satz wird mich natürlich noch in den Arsch beißen.)
Die anderen Bilder gehören zur Vorlesung Kunstgeschichte 1500 bis 2000, und die lassen sich höchstens nach Jahrhunderten ordnen. So habe ich sie zunächst auch gelernt, denn mit einem geistigen roten Faden kann ich sie halbwegs behalten. Drei Tage vor der Klausur mische ich den großen Stapel erstmals und springe nun lustig zwischen Caravaggio, Stella, Chardin, Matisse, Cellini und Redon hin und her. Läuft.
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Das neue Vorlesungsverzeichnis lenkt mich sehr vom Lernen ab: Social Media im Museum, Vorlesung und Seminar zu Kairo und Jerusalem mit Exkursion sowie amerikanische Kunst nach 1945 streiten sich mit meinen neuen Lieblingen Das Mittelalter im Überblick, Reisen in Zeiten der Aufklärung und Der dritte Kreuzzug. Das wird – natürlich! – ein tolles Wintersemester.
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Abends wird Mario Gomez in Florenz auf einer Pressekonferenz vorgestellt, kriegt sein violettes Leibchen mit der 33 drauf und lernt seine neuen Fans kennen. Ich muss Italienisch lernen. Für die Kunst!
Dienstag, 16. Juli
Ein letztes Mal Skulptur und Plastik 1890 bis 1950 und das war’s dann in diesem Semester mit meinen Veranstaltungen. Ich schlendere sentimental, aber entspannt nach Hause, denn das Kunsthistorische Institut liegt nur fünf Fußminuten von meiner Wohnung weg (ich liebe sie so sehr!), überfresse mich an Kirschen, lerne weiter und schlendere ein paar Stunden später wieder zurück ins Institut, denn dort wartet ein Vortrag auf mich:
„Der Vortrag behandelt Potentiale, Grenzen sowie Randbedingungen des Einsatzes virtueller Modelle für das Erinnern an verlorene Architekturen. Im Focus stehen die virtuellen Rekonstruktionen von Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört wurden. Dr.-Ing. Marc Grellert lehrt am Fachgebiet Informations- und Kommunikationstechnologie in der Architektur der TU Darmstadt und ist Mitbegründer der Firma Architectura Virtualis.“
Ich weiß immer noch nicht, warum mich seit zwei Semestern Architektur so fasziniert, denn vorher waren Häuser einfach nur Häuser für mich. Jetzt sind sie auf einmal eine hochspannende Ansammlung von Details, in denen ich mich zunächst verliere, sie dann einzeln mit den Augen abtaste und schließlich wieder zusammensetze.
Im Vortrag blickt Grellert zunächst zurück auf die umfangreiche Baugeschichte von Synagogen in Deutschland und erwähnt einige Bautypen wie maurisch in Berlin, neo-romanisch bzw. Rundbogenstil wie in Kassel und modern wie in Plauen – die Synagoge wurde erst 1930 gebaut und bereits 1938 während der Novemberpogrome teilweise zerstört. Was ich nicht wusste: Die Nazis vernichteten nicht nur Bausubstanz, sondern durchforsteten auch zum Beispiel Stadtarchive nach schriftlichen Zeugnissen der Synagogen, die ebenfalls zerstört wurden.
„Von den ca. 3.000 Synagogen und Beträumen, die im deutschen Reich bestanden, sind über 2.000 Synagogen in der NS-Zeit zerstört worden. Die genaue Anzahl sowohl der damals existenten Gebäude wie die Zahl der zerstörten Gotteshäuser ist immer noch nicht erforscht. Es wird davon ausgegangen, dass alleine in der Reichspogromnacht und den Tagen danach 1.400 Synagogen zerstört wurden. Selbst nach 1945 wurden Synagogen oder deren bauliche Reste in Deutschland noch abgetragen. Die Zahl kann mit über 350 angenommen werden. Erst in späterer Zeit setzte in verschieden Orten ein verstärktes Bemühen ein, an den noch vorhanden Gebäuden oder an den ehemaligen Standorten auf die frühere sakrale Nutzung hinzuweisen, und in unterschiedlicher Ausprägung wurde an Zerstörung, Vertreibung und Vernichtung erinnert.“
Das Zitat stammt von der Site synagogen.info, auf der viele der virtuellen Modelle zu sehen sind, über deren Erstellung Grellert im Vortrag berichtet. Das ganze Projekt begann als reguläres Seminar an der TU Darmstadt; die Studis lernten ein Semester lang etwas über die Bauformen von Synagogen, mit denen sie sich beschäftigen sollten, dann ein Semester lang den Umgang mit der CAD-Software, und im dritten Semester erstellten schließlich Teams aus vier bis fünf Studierenden jeweils eine Synagoge. Dafür stöberten sie in alten Quellen, suchten und fanden doch noch Material, das zur virtuellen Rekonstruktion benutzt werden konnte und sprachen mit überlebenden Augenzeugen. „Das wäre heute im Zeitalter des Bachelors gar nicht mehr möglich.“ Je länger ich studiere und den Klagen der Dozierenden zuhöre, desto öfter frage ich mich, wie sich dieses System jemals hat durchsetzen können, wo es doch anscheinend alle so richtig schön scheiße finden.
Der Vortrag endet mit einem kurzen Film über die Synagoge in Darmstadt (?), der dort im Museum läuft. Alte Aufnahmen werden überblendet mit der rekonstruierten Synagoge – und dem hässlichen Wohnblock, der heute dort steht. Einige Augenzeugen kommen zu Wort, und unterlegt ist alles mit synagogaler Musik. Was das Projekt vorhatte – Neugier wecken, Geschichte emotionalisieren –, hat bei mir zu gut funktioniert. Ich hatte da was im Auge irgendwie.
Auf Twitter unterhalte ich mich über den Vortrag mit André Anchuelo, @Donegal72 und @berlinschochise, der ein Foto aus dem Jüdischen Museum in Berlin postet. Auf diesen Tweet reagiert einen Tag später auch noch eben dieses Museum. (Ich mag so was.)
Mittwoch, 17. Juli
Klausurtag Altniederländische Malerei. Für die 30-minütige Klausur brauche ich die erwarteten 15 Minuten und gebe sehr entspannt ab. Im Überschwang twittere ich etwas von „müsste für ne schlechte 1 gereicht haben“, lösche den Tweet aber lieber wieder. Ich habe die Note noch nicht, rechne jetzt aber eher mit einer 2 – und bin deswegen pissig. Es wurde nach drei Daten gefragt, von denen ich eins richtig habe; bei den anderen hoffe ich auf plusminuszehnbiszwanzigjahre, um noch einen Punkt zu kriegen. Es wurde außerdem nach einem einzigen Standort gefragt – und ausgerechnet da hatte ich einen kompletten Blackout. Dass der Genter Altar in Gent ist, kriege ich noch hin, aber wie die VERDAMMTE KIRCHE heißt, fällt mir partout nicht ein. (St. Bavo. Werde ich nie wieder vergessen.)
Nach der Klausur gehe ich zum Entspannen in die Bibliothek. Einfach da sitzen und lesen, keine Zitate für eine Hausarbeit suchen, nicht für ein Referat exzerpieren, einfach ein paar von den Dutzenden Werken aus dem Regal ziehen, die uns die Dozierenden dauernd ans Herz legen und rumlesen.
(Die beiden schwer zu entziffernden Werke sind Werner Hofmanns Die Moderne im Rückspiegel, das ich dringend in der vorlesungsfreien Zeit zuende lesen will, sowie Hans Sedlmayrs Verlust der Mitte, das sich 1948 über abstrakte Kunst beschwerte und das ich ebenso dringend zuende lesen will. Und ja, selbst der anstrengende Adorno hat mir gefallen.)
Donnerstag, 18. Juli
Klausurtag Kunstgeschichte 1500 bis 2000. Vor dieser Klausur bin ich etwas nervöser (the Gent incident!), mache mich noch nervöser, indem ich ausgerechnet die Karteikarten mit in die Uni schleppe, deren Lösungen ich sowieso immer vergesse, und werde dann auch noch genervt, weil der Hörsaal recht voll ist. Das heißt, ich habe nicht so wie gestern eine halbe Reihe für mich und damit meine Ruhe, sondern vor und hinter und neben mir nervöse, quatschende Menschen, die ich doch gerade jetzt nicht brauchen kann. Dann ist auch der Professor recht redselig, dann dauert die Ausgabe der Blätter ziemlich lange, weil vier verschiedene Versionen der Klausur verteilt werden müssen, aber dann darf ich endlich anfangen.
60 Minuten habe ich Zeit, von denen ich fünf sinnlos darauf verschwende, nicht darauf zu kommen, zu welcher Kunstrichtung eines der vielen unbetitelten Bilder von Jannis Kounellis gehört. (Arte Povera. Werde ich nie wieder vergessen.) Weitere fünf Minuten höre ich einer Diskussion zwischen einer Fragenden und dem Prof zu, in der es um die Formulierung einer seiner Fragen geht, die missverständlich ist. Ich verstehe weder die Frage noch die Erläuterungen des Profs und schreibe beide Möglichkeiten einer Antwort hin. Nach weiteren 15 Minuten gebe ich entspannt ab. Zu dieser Klausur habe ich das Ergebnis bereits einen Tag später (was ich aber schon im Gefühl hatte): natürlich bestanden. Die Note finde ich allerdings erst Dienstag raus, wenn ich wieder in München bin. Wobei die egal ist, denn unsere Klausuren tauchen nur unter „bestanden“ oder „nicht bestanden“ im Gesamtnotenspiegel auf. Für meine persönliche Eitelkeit will ich aber natürlich wissen, was es genau ist. Wir sind ja nicht zum Spaß hier. (Doch, genau deswegen sind wir hier. Aber um mal wieder ein Friends-Zitat anzubringen: “Rules are good! Rules control the fun!”)
Abends: Getränke, nette Gesellschaft, 25 Grad, Balkon. Happy.
Freitag, 19. Juli
Rückflug nach Hamburg. Gesangsunterricht mit pinkfarbenen Flauschbällen: Wenn ich mit ihnen beworfen werde, singe ich verdammt hoch. Ab 18 Uhr ist der Kerl zuhause, und wenn ich nicht gerade blogge, klebe ich an ihm rum.
Diese Wochenendbeziehung, die eher eine „Wir sehen uns alle drei bis vier Wochen“–Beziehung ist, macht mir mürber als ich erwartet habe. Aber es sind ja nur noch zwei Jahre, denn bis auf die Hausarbeit für den Skulpturenkurs, für die ich die nächsten beiden Wochen noch mal in München sein werde, ist das erste Drittel des Studiums schon rum. How did this happen?