Bücher September 2013
Dirk von Gehlen – Mashup: Lob der Kopie
Schlaues Büchlein über die Geschichte der Kopie und dass ohne sie die Kunst, die Literatur, die Musik und, ja, der Fußball nicht aus der Steinzeit herausgekommen wären (ich verallgemeinere). Man erfährt zusätzlich viel über das Urheberrecht und hat nach der Lektüre ziemlich gute Argumente für Mashups und Remixes. Und wer richtig viel Zeit hat, kann sich auch durch die gefühlt 1000 ebenfalls lesenswerten Fußnoten ackern, die auf weitere Artikel verweisen, die sich mit dem gleichen Thema bzw. dem großen Themenfeld „Wie entsteht eigentlich künstlerische Leistung und was ist sie überhaupt?“ befassen. Große Empfehlung. (Nebenbei: sehr lesbar geschrieben. Hier geht’s zur Website.)
(Leseprobe bei suhrkamp.de.)
Ernst Kris/Otto Kurz – Die Legende vom Künstler: Ein geschichtlicher Versuch
Die Legende erschien 1934 das erste Mal. Es geht ganz grob darum, dass es viele Legenden und Geschichten über Künstler gibt, die nicht nur auf einen, sondern gleich auf mehrere zutreffen. Kunsthistoriker und Psychologe Kris wurde deswegen stutzig und hat ein paar dieser wohl eher erdachten Storys zusammengetragen und was sie für die Rezeptionsgeschichte der Kunstwerke bedeuten. Ich zitiere aus dem Klappentext:
„Ernst Kris verdanken wir also die tiefe Einsicht, daß die Geschichten, die allerorten und zu allen Zeiten von Künstlern erzählt werden, eine allgemeine menschliche Reaktion auf den geheimnisvollen Zauber des Bildermachens spiegeln; Otto Kurz verdanken wir die Erfindungsgabe des Aufspürens von Parallelen, um die Allgegenwart dieser Motive zu illustrieren und nachzuweisen.“
Ein richtiger Kracher ist das Büchlein nicht, aber ein hübsches Steinchen in meinem Puzzle, das sich langsam zu Kunstgeschichte zusammensetzt. (Solche Sätze gebe ich in meinen Hausarbeiten nicht von mir, keine Bange.)
Alexander Görsdorf – Taube Nuss: Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen
Ich mag Bücher, die aus einer mir fremden Perspektive geschrieben sind, denn nur so kann ich lernen und verstehen. Görsdorf ist taub und trägt seit einiger Zeit ein Cochlea-Implantat, das ihn wieder hören lässt – wenn auch nicht so, wie wir Flotthörenden (seine Worte) es kennen. Das Buch erzählt episodenhaft, wie Görsdorf lebt, arbeitet, studiert, einkauft, liebt (das waren die Kapitel, die ich unter TMI abhefte, aber das ist meine ganz persönliche Prüderie) und worin sich seine Tage zu denen unterscheiden, die zum Beispiel ich verlebe, die über ein funktionierendes Gehör verfügt. Der Schreibstil ist freundlich und informativ, und jedes Kapitel endet mit einer Pointe, bei der ich so gut wie jedes Mal dachte, ach stimmt, das ist ja auch anders. Besonders die Beschreibungen des Cochlea-Implantats und wie sich die Sinneswahrnehmungen ändern, haben mich sehr faszininiert. Schönes Ding.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Markus Zusak – The Book Thief
Thief ist ein Jugendbuch und erzählt die Geschichte eines Mädchens zurzeit des Nationalsozialismus. Das Buch hat eine allwissende Erzählerstimme, die sich sehr gerne reden bzw. schwadronieren hört, dauernd Plotpoints vorwegnimmt und so artifiziell und gekünstelt klingt, dass ich das Buch nach 100 Seiten weglegen wollte. Wohlmeinende Tweets überzeugten mich davon, weiterlesen zu müssen, und kurz vor Schluss hatte das Buch mich dann gnadenlos im Griff. Ich empfand es als höchst manipulativ und übermäßig dramatisch – die Zeit war schon fies genug, da muss man nicht noch mehrere Moral- und Todesschippchen draufpacken –, aber genau deswegen habe ich die letzten 30 Seiten komplett durchgeheult. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich das Buch weiterempfehlen möchte, weil es mich so schamlos am Nasenring durch die Manege gezogen hat, aber irgendwas muss wohl dran gewesen sein, sonst hätte ich es nicht durchgelesen.
(Leseprobe bei amazon.de.)
Walter Slezak – Wann geht der nächste Schwan?
Slezak kam zufällig Ende der 20er Jahre zum Film und blieb gleich da, wanderte rechtzeitig in die USA aus, während seine Eltern in Bayern blieben. Sein Vater war Opernsänger (daher der Titel, Lohengrin und so), und das Buch handelt dann auch von der Familie, Hollywoodgossip und den stets fruchtlosen Diäten von Vater und Sohn. Ein charmantes, altmodisches Kleinod von 1962, gerne gelesen.
Guillaume Long (Hans Kantereit, Übers.) – Kann denn Kochen Sünde sein?
Long hat ein Comic-Fressblog bei der Le Monde (nicht vom neuesten Post abschrecken lassen), und das Buch versammelt diverse launige Einträge. Rezepte wechseln sich ab mit persönlichen Vorlieben (keinen Zucker in den Kaffee!), es gibt Reiseberichte und meine liebste Rubrik: wie Guillaume beim Schwimmen einen Koch kennenlernt und ihm ein Loch in den Bauch fragt anstatt seine Bahnen zu ziehen. Das ganze ist hübsch von Hans Kantereit übersetzt, manchmal ein bisschen schlampig lektoriert und zum Titel sage ich ausführlich was, wenn ich das Werk für Comicgate bespreche. Aber empfehlen wollte ich es schon vorher.
(Leseprobe bei Carlsen)