Synapsenfunkeln

Im letzten Semester, als ich noch Musikwissenschaften studierte, freute ich mich eines Tages, als in Musik ein Buch erwähnt wurde, von dem ich schon in Kunstgeschichte mal gehört hatte. Da war plötzlich eine Verbindung, eine Linie von einem Punkt zum anderen, ein Aha, eine Glühbirne. Mein Gehirn glitzert dann immer ein bisschen, glaube ich. Das ist toll. Und das ist noch toller, seit ich Geschichte studiere.

Vor einigen Wochen lernte ich in der Mittelalter-Vorlesung die Ottonen etwas genauer kennen, die natürlich schon im ersten Semester Kunstgeschichte zur Sprache kamen, als wir uns so langsam der Romanik näherten. In der Vorlesung sahen wir das Krönungsevangeliar Ottos III. per Powerpoint (hier eine Seite) – und weil fast zeitgleich eine Ausstellung zum Thema in München lief, sah ich das Buch auch in echt. Das hat mich beeindruckt, das war hübsch und alles und so, aber erst, als ich in Geschichte von Opa Otto hörte und Mama Theophanu, fing mein Gehirn zu glitzern an. Da war nicht mehr irgendwo ein Buch und irgendwo anders der Kerl, für den es gemalt wurde, sondern auf einmal sah ich durch die lebhafte Schilderung des Dozenten den dreijährigen König und Kaiser des deutschen und des römischen Reiches, für den erstmal Mama und Oma die Regierungsgeschäfte übernehmen mussten. Auf einmal war da ein Stammbaum, der mit der beeindruckenden Geschichte Ottos des Großen begann und der völlig logisch irgendwann in einen Prachtband münden musste, den wir heute noch bewundern. Auf einmal war da die Verbindung.

In der Vorlesung über amerikanische Kunst nach 1945 hörte ich etwas über Dan Flavins Monuments for V. Tatlin, die auf Wladimir Tatlins Monument der Dritten Internationale rekurrierten, das ich im letzten Semester in meinem Skulpturenkurs kennengelernt hatte. In der Vorlesung über Ausstellungskonzepte der letzten 60 Jahre erfuhr ich, dass einer der Kuratoren der ersten documenta Werner Haftmann gewesen war, von dem ich in den Semesterferien brav sein Hauptwerk durchgelesen hatte. (Okay, fast.) Und in der Übung zu Zeitungen und Journalen der Aufklärung fiel mir zum ersten Mal auf, woher der Begriff „Journalist“ kommt. Wobei ich gestern gelernt habe: Die Herren, die dort publizierten, wurden auch „Gazettiers“ genannt <3

Letzte Woche lasen wir im Lektürekurs in Kunstgeschichte einen Text von Ernst Gombrich, dem Altmeister der populären Kunstgeschichte. Er schreibt in Kunst und Illusion, dass ein Künstler (m/w) nur das malt, was er kennt. Sehr vereinfacht: Er malt in einem Stil, der gerade zeitgemäß ist, er malt das, was er sieht und das ist immer etwas anderes als das, was ein Danebenstehender sieht. Wenn man fünf Leuten sagt, malt mal diesen Stuhl da möglichst realistisch, kommen fünf unterschiedliche Bilder dabei raus. Man guckt sich ein Objekt an und beginnt zu malen, wobei man unwillkürlich Schemata oder Formen abruft, die man abgespeichert hat – die man kennt.

Gombrich schreibt auch über die Verwendung von Bildern in früheren Zeiten, zum Beispiel im Mittelalter, wo ein wackerer Künstler die römische Engelsburg in einem Holzschnitt verewigte. Sein Problem: Er kannte die Burg nicht, wusste aber, wie bei ihm zuhause Burgen aussahen, und deswegen sieht die Engelsburg auf seinem Schnitt dann auch wie ein süddeutscher Adelssitz aus, mit Türmchen und Zinnen – und einem Engel, der auf dem Dach steht. Er „malte“, was er kannte.

In der gestrigen Vorlesung in Geschichte zur Stadtentwicklung in Süddeutschland zeigte der Dozent mal wieder eine Karte. (Karten sind toll! Wer hätte es gedacht.) Wir hatten in der letzten Stunde bereits gelernt, wie im 13. Jahrhundert die klassische Stadtgründung in Bayern aussah: eine breite Straße in der Stadtmitte, die als Markt diente, orthogonal angelegte Straßenzüge, eine fast quadratische Stadtbefestigung und, gerne etwas außerhalb der Stadt gelegen, eine Burg, in der meist der Herzog lebte, der die Stadt aus Lust und Laune geplant und gebaut hatte. (Und weil er Zolleinnahmen haben wollte.)

straubing_1840

Die Karte ist, wenn ich den Bayernatlas richtig interpretiere, aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kann man laut Dozent gelten lassen, denn unsere Städte veränderten sich erst Ende des 19. Jahrhunderts so richtig. Und in manchen, wie zum Beispiel in Regensburg, kann man aus der Luft sogar noch die alte Stadtbegrenzung erkennen. Wobei die in Regensburg sogar noch aus römischer Zeit stammt. (Edit 1.12.: Der Betreiber von archaeolet.de hat meinen direkten Link auf das Regensburgfoto als Hotlinking interpretiert. Ich verweise mal auf die komplette Seite, auf der das Bild steht – ihr müsstet jetzt nach unten bis zum zweiten Bild scrollen. Sorry, archaeolet, mein Fehler!)

Und dann sahen wir gestern eine weitere Stadt in einem deutschen Stich von 1582, wobei uns der Dozent nicht sagen wollte, um welche Stadt es sich handelt:

edinburgh

Überraschung: Es ist Edinburgh. Und das sah in Wirklichkeit ganz anders aus, nämlich viel langgestreckter – das geht rechts aus dem Bild raus noch mal so lang weiter mit den Häusern, aber mein Blog ist zu klein. Immerhin die Burg stimmt.

edinburgh2

Aber weil der deutsche Stecher nur deutsche Städte und ihre Formen kannte, nahm er eben an, dass schottische auch so aussehen.

Glitzerglitzer.