Tagebuchbloggen 11. bis 17. November
Montag, 11. November
Ereignisloser Flug nach München, dort kaum Wartezeit, weder auf S- noch auf U-Bahn: 12.30 Uhr zuhause statt gegen 13 Uhr. Die Zeit reicht, um schnell aufs Fahrrad zu steigen und den zweiten Reader für meinen Geschichtskurs über Geschlechterbilder aus dem Copyshop gegenüber vom Hauptgebäude der LMU zu holen. Danach geht’s zur Packstation und ins kunsthistorische Institut, wo mal wieder der tolle Provenienzkurs auf mich wartet. Neuerdings beginnen die Dozierenden immer mit „Haben Sie noch Fragen zu den Entwicklungen im Gurlitt-Fall?“ und natürlich haben wir.
Dann erzählt uns die Bibliotheksleiterin der Unibibliothek was zum Inventarisieren der Bestände der vielen Bibliotheken, die zur Uni gehören und wir bekommen eine Aufgabe für den Rest des Semesters: Bücher katalogisieren. Die Bestände der kunsthistorischen Bibliothek sind erst ab 1958 vernünftig erfasst worden, wenn es um die Herkunft geht; alles, was davor eingeliefert wurde, könnte wer weiß woher stammen. Wir bekommen in der nächsten Woche ein paar Regalmeter zugewiesen, jeder einen anderen Bestand, und dann dürfen wir verschiedene Infos in eine Exceltabelle eintragen: Die Basics wie Titel, AutorIn, Signatur etc., aber eben auch Dinge wie Stempel, Ex Libris, Widmungen, vorherige Signaturen – kurz alles was uns eventuell sagen könnte, woher das Buch stammt. Und wer was Spannendes im Buch findet, soll sich auf die Suche machen. „Von 100 Büchern wird wahrscheinlich nur in einem was drin sein, aber vielleicht finden Sie ja was raus.“ Die Datenbank, die wir jetzt beginnen, soll dann in den kommenden Semestern von anderen fortgeführt werden. Wissenschaft hands-on. Toll. (Anke-Bonus: in Büchern rumwühlen! Noch toller.)
Gelesen: einen Auszug aus Kunstgeschichtliche Grundbegriffe: Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst* von Heinrich Wölfflin und Wahrheit und Konvention aus Kunst und Illusion von Ernst Gombrich.
—
Dienstag, 12. November
VERSCHLAFEN! Duschen ja, Kaffee ja, Make-up nein, und um 8.10 Uhr sitze ich nur marginal abgehetzt in der Uni, wo ich viel über die Salier und vor allem über Heinrich IV lerne. Ich habe noch eine Frage, stehe also am Ende der Vorlesung beim Dozenten, der darüber offensichtlich erfreut ist und mir noch einen Buchtipp über Canossa mit auf den Weg gibt.
Die zwei Stunden bis zur nächsten Vorlesung verbringe ich zuhause mit The Good Wife, dann radele ich wieder zur Uni und höre der Dozentin sehr aufmerksam zu, als sie über die Ausstellung When Attitudes Become Form in Bern spricht, die 1969 stattfand. Sie wurde 2013 in Venedig noch einmal gezeigt, und genau das ist der Gegenstand meiner Frage nach der Vorlesung, als ich mal wieder vorne stehe: „Eine Ausstellung, die spontan und ortsgebunden war, an einem anderen Ort und genau skizziert zu wiederholen – widerspricht das nicht dem Charakter dieser Ausstellung? Ich finde das sehr rätselhaft.“ – „Rätseln ist gut! Rätseln ist immer gut!“ Sie sagt noch mehr, aber das bleibt hängen und wird mein Leitspruch für den Rest des Studiums.
Im Lektürekurs die übliche Faszination über die Grundbegriffe Wölfflins und den schlichten Stil von Gombrich.
Gelesen: Der Erste Weltkrieg. Triumph der Geschlechtertrennung von Françoise Thébaud und Männlichkeit und Erster Weltkrieg von George E. Mosse aus dem gestern abgeholten Reader.
—
Mittwoch, 13. November
Im Genderkurs sitzt neben mir ein Knäblein, das meistens den Kopf auf den Armen liegen hat, er hat bis heute den ersten Reader des Kurses nicht abgeholt, er sagt nie was und sieht so aus, als wäre er lieber ganz woanders. Deswegen hat mich sein doch recht gut informiertes Referat zum Thema Frauenarbeit während des Ersten Weltkriegs überrascht. Ich packe meine Vorurteile kurz weg, stelle wie immer ein paar Fragen und weiß nach drei Stunden viel mehr als vorher. (Wo soll dieses ganze Wissen bloß hin?)
Seit ich radfahre, bin ich extrem fußfaul geworden. Die Unibibliothek und die Bayerische Staatsbibliothek liegen ungefähr 300 Meter auseinander. Mir egal. Ich gehe hinten aus dem LMU-Gebäude raus, wo einer der beiden Ein- und Ausgänge des Historicums ist. Diese Zweiteilung ist mir zum ersten Mal im Fahrstuhl aufgefallen, wo es zwei Leisten mit Etagenknöpfen gibt, und die Türen öffnen sich entweder zum Alt- oder zum Neubau hin. Nach zwei Fahrten wusste ich dann auch, welcher Gebäudeteil welcher ist – man sieht es ihnen nämlich netterweise nicht an –, und seitdem husche ich immer gerne aus dem Ausgang des Altbaus, denn da ist eine coole Holztreppe. Rauf aufs Fahrrad, 400 Meter zur Stabi, ein Buch abgeholt, 300 Meter zur UB, die man unter anderem durch den Haupteingang der LMU erreicht, dort das Fahrrad abgestellt, damit ich nachher nicht einmal ums ganze Gebäude rennen muss, noch ein Buch abgeholt, dann eine Treppe hoch zur Vorlesung über amerikanische Kunst gegangen, was über Minimal Art gehört und natürlich nach der Veranstaltung noch bei der Dozentin gewesen und ne Frage gehabt.
Gelesen: Aufklärung als Kommunikationsprozess von Hans Erich Bödeker.
—
Donnerstag, 14. November
Im ersten Kurs des Tages „Geschichte und Journalismus“ sprechen wir über Fragetaktiken und bekommen ein, zwei legendäre Interviews vorgeführt. Dozent: „Das ist schön, dass wir im Deutschen Worte wild zusammensetzen können, aber wenn Sie 28 Anschläge in einer Zeitungsspalte haben und Ihr Wort länger ist als die Spalte, sollten Sie ein kürzeres verwenden.“ Und dann machen wir ein Experiment: „Tun Sie sich zu Gruppen zusammen und schreiben innerhalb von zehn Minuten eine Geschichte, die nur aus einsilbigen Worten besteht.“ Meine Gruppe ersinnt ein Beziehungsdrama in 94 Einsilblern, aber die Siegergruppe hat über 150 zusammengekriegt und bekommt dafür Süßigkeiten.
Im zweiten Kurs hören wir ein Referat über den Bödeker-Text, das quasi noch mal wiedergibt, was ich schon gelesen habe. Das scheint ein Grundproblem in diesem Kurs zu sein, dass uns nicht zugetraut wird, einen Text selbständig zu erfassen. Dieses Seminar ist das einzige, an dem ich eigentlich immer was rumzuquengeln habe, aber das Thema – Journale und Zeitungen im Zeitalter der Aufklärung – ist spannend genug, um mich bei der Stange zu halten.
Zwei Stunden Pause. Ich setze mich in meine geliebte Historicumsbibliothek, lese mich dort aber nicht fest, sondern schreibe einen kleinen Autofolder. Das fühlt sich ziemlich falsch an, aber hier lässt es sich wirklich prima arbeiten.
Letzte Vorlesung der Woche: Stadtentwicklung in Süddeutschland in einem fiesen Betonhörsaal bei den ollen Germanisten. Durch diesen Kurs bin ich endgültig auf die Seite der Seniorstudihasser gewandert, denn eigentlich sollte der Kurs in meinem geliebten Hauptgebäude stattfinden, in einem der schönen Hörsäle im zweiten Stock, den mit den recht neuen dunkelbraunen Stühlen, die selbst für meine Körpergröße überaus ausreichend und vor allem bequem sind, mit den unquietschenden, unverunstalteten Klapptischen, mit hoher weißer Decke, hohen Fenstern, guter Akustik und überhaupt EIN VERDAMMTES PARADIES, HERRGOTTSAKRA. Aber weil zu viele Senioren im Kurs sitzen, hocken wir jetzt da drüben in der blöden Schellingstraße bei den blöden Geistis mit ihrer blöden runtergerockten 70er-Jahre-Architektur ohne Tageslicht und ich bin jedesmal stinkig, wenn ich in den Hörsaal komme. Der Dozent macht seinen Job eigentlich gut, schafft es aber nie, Fragen der Senioren abzuwürgen (geht doch, verdammt noch mal, nach der Stunde hin – machen andere ja auch *hust*) und lässt Folien ewig stehen, damit sie abgeschrieben werden können, obwohl wir eingeschriebenen Studis sie doch alle im Internet finden. Von uns schreibt keiner was auf. I am Jack’s ungerechter Zorn, aber jetzt ist die Stunde rum, ich habe gelernt, dass viele bayerische Städte nicht irgendwie von sich aus entstanden sind, sondern von Herzögen bewusst gegründet wurden, will dringend nach Regensburg und nach Landshut – aber jetzt geht’s erstmal nach Hamburg.
Gelesen: ausnahmsweise mal wieder Belletristik, nämlich Lion Feuchtwangers Erfolg*. Beim ersten Versuch mochte ich das Buch nicht, jetzt wo ich München kenne, mag ich es sehr.
—
Freitag, 15. November
Singen. Frühstück/Mittagessen/Brunch mit Lektorgirl. Ein Buch aus der Hamburger Stabi abholen, das in der Münchner ausgeliehen ist. Tasche packen für Kurzurlaub mit dem Kerl.
Nix gelesen. Sehr müde gewesen.
—
Samstag/Sonntag, 16./17. November
Sylt.
Wir stellen Caspar David Friedrich nach.
Wir essen in der Alten Friesenstube, wo die Speisekarte komplett auf Platt und das Essen großartig ist.
Wir nehmen bei Sonnenschein Abschied.
Gelesen: The women’s suffrage movement in Britain, 1866–1928 von Sophia A. van Wingerden. Die nächste Uniwoche wartet.
—
* Amazon-Affiliate-Links