Silber
(Das Kaffeegeschirr meiner Omi aus den 50ern und mein Silber.)
Meine Eltern sind nicht mit dem sprichwörtlichen Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen. Meine Mutter hat mit 14 angefangen zu arbeiten, mein Vater mit 16. Sie haben jeden Pfennig, den sie verdient haben, gespart, um sich nach und nach einen bescheidenen Wohlstand aufzubauen. Und dazu gehörte ein Alltags- und ein Sonntagsgeschirr (Zwiebelmuster versus Goldrand) und passend dazu Cromargan und ausgespülte Senfgläser für die Woche, Silber und Kristallgläser für das Wochenende. Ich bin damit aufgewachsen und finde es immer noch völlig normal, mehrere Sets von Tellern und Besteck im Schrank zu haben. Daher habe ich mich jahrelang bei anderen Leuten darüber gewundert, dass man als Gast von den „normalen“ Tellern isst und Stahlbesteck in den Händen hält, bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass Silber und Goldrandgeschirr nicht mehr ganz en vogue sind.
Eine meiner liebsten Kindheitsbeschäftigungen (und das muss ich heute immer noch vor allen Freunden rechtfertigen) war Silberputzen und Kristallgläser polieren. Ich fand es immer märchenhaft, wenn nach Partys meiner Eltern der riesige Berg Silberbesteck vor mir lag und die glitzernde Batterie an Gläsern und Krügen. Auch wenn ich stundenlang damit beschäftigt war, es zu putzen, habe ich mich wie eine kleine Prinzessin inmitten ihrer Schätze gefühlt.
Deswegen fand ich es auch völlig normal, als meine Omi irgendwann meiner Schwester und mir verkündete, dass wir jetzt auch alt genug für eigenes Silberbesteck waren. Wir sollten uns ein Muster aussuchen, und dann würden wir in den nächsten Jahren nach und nach unsere eigene Sammlung geschenkt bekommen, hier mal zwei Messer zum Geburtstag, dort mal die große Suppenkelle zu Weihnachten. Neben den Barbiepuppen und den Büchern natürlich.
Also blätterten meine Schwester und ich in Dutzenden von Katalogen, lernten, dass es klassische Muster gibt wie eine Perlumrandung oder Spaten, dass es so seltsame Wortgebilde wie „Nachkaufgarantie für 40 Jahre“ gibt und konnten uns immer weniger begeistern. Schließlich hatten wir das schönste Besteck doch seit unserer Geburt direkt vor der Nase: das unserer Mutter. Also sagten wir Omi, dass wir genau dieses Muster auch haben wollten – was sie sehr gerührt hat. Denn lustigerweise hat sich unsere Mutter ebenfalls für das Silber ihrer Mutter entschieden, also Omis.
(Das Goldrandgeschirr meiner Großeltern aus den 40ern (?), mein Silber, Kerzenhalter von meiner Omi, grüne Teelichthalter von Ikea, Weingläser von Habichvergessen, hab ich aber mal drüber gebloggt, find ich aber grad nicht, Wassergläser von Ikea, Tischdecke von Karstadt (es gibt sie noch, die guten Dinge), silberne Platzteller von meinem Patenonkel aus der WMF-Werksverkaufhalle, Stoffservietten von meiner Mutter, geschätzt aus der Aussteuertruhe. Sowas brauch ich auch noch.)
Ich mag mein Silber sehr gerne, genau wie die Goldrandteller meiner anderen Großeltern, die ich nach ihrem Tod bekommen habe. Ich mag meine Ikea-Bestecke auch, aber ich schätze dieses Gefühl, etwas Altes und Besonderes im Schrank zu haben, und daher benutze ich dieses Geschirr auch nur, wenn Gäste da sind. Für mein Käsebrot am Abend ist es mir zu schade, obwohl ich gar nicht sagen kann, warum. Ich bin damit groß geworden, dass man „das gute Geschirr“ eben nicht dauernd benutzt, und obwohl ich sagen könnte, pffft, eben weil es so gut ist, benutze ich es jetzt jeden Tag, bringe ich es nicht übers Herz, „normales“ Essen darauf zu servieren. Das Geschirr bleibt dem Sonntagsbraten vorbehalten, den vier Gängen und einer größeren Gesellschaft als zweien. Wie bei meinen Großeltern. Und meinen Eltern.
(Verdammt, ich werde wirklich wie meine Mama!)
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Nachtrag: Im Eintrag über meinen bloggenden Opa ist das Muster bzw. das Nichtvorhandensein desselben besser zu erkennen. Ganz runterscrollen.