Next Goal Wins

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Next Goal Wins (UK 2014, 93 min.)

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Die Fußball-Nationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa hat seit ihrer FIFA-Mitgliedschaft 1994 noch nie ein offizielles Spiel gewinnen können. 2001 verloren sie ihr Qualifikationsspiel zur WM 2002 gegen Australien in der Rekordhöhe von 31:0. Jetzt ist es 2011 und die Quali zur WM 2014 in Brasilien steht an.

Next Goal Wins lief auf dem Filmfest München, und nach dem Film diskutieren die Regisseure und Produzenten Mike Brett und Steve Jamison informativ-unterhaltsam mit dem Publikum. Ein Satz von ihnen war: „Wie gehst du nach der Halbzeitpause wieder aufs Spielfeld, wenn du 16:0 zurückliegst?“ Das habe ich mich gleich zu Beginn des Films auch gefragt, denn dort bekam man sämtliche Tore zu sehen, in all ihrer Unerbittlichkeit. Torwart Nicky Salapu griff wieder und wieder hinter sich, und als Publikum war man schon nach zwei Minuten im Film weichgekocht und in die Jungs verliebt, die dort unten auf dem Platz so unterirdisch miesen Fußball spielten.

Aber das soll sich nun ändern. Der Verband der Insel fragt beim großen Bruder USA nach, ob sie einen Trainer erübrigen könnten, der sich um die Mannschaft kümmert, der große Bruder postet eine Stellenanzeige – und ein einziger Mann meldet sich: Thomas Rongen, ein holländischer Coach, der seit Jahren US-Teams betreut, darunter auch die amerikanische U20. Er hat eine strikte Vorstellung davon, wie ein Fußballtraining auszusehen hat. Das Problem ist nur: Die Spieler haben eher andere.

Was den Film so interessant macht, ist nicht unbedingt die Fußballgeschichte, sondern das Aufeinanderprallen zweier Welten – und damit meine ich nicht die Kultur. Die Wikipedia verrät mir, dass zwei Kulturen schon zur Insel gehören, also das, Zitat, „Nebeneinander von modernem amerikanischem Lebensstil und samoanischen Traditionen“. Was ich meine, ist die Professionalität eines Trainers, der auf den Amateurstatus eines winziges Verbandes trifft, in dem die meisten Spieler einen Ganztagesjob haben und nur nebenbei kicken können, aber trotzdem den Anspruch haben, sich mit anderen FIFA-Teams messen zu wollen.

Als die beiden Regisseure sich an den Verband wandten, um den Film drehen zu können, konnten sie nicht ahnen, was sie alles filmen würden. Sie wussten nicht, dass ein neuer Coach kommen würde und mit ihm eine ganz neue Dynamik. Sie kannten kaum Einzelspieler, sondern waren eher am Kollektiv interessiert. Eigentlich wollten sie sich nur selbst die Frage beantworten, die ich oben schon ähnlich wiedergegeben habe: Wie motiviert man sich, wenn man weiß, dass man immer verliert? Was sind das für Menschen, die schlicht nicht einsehen wollen, dass sie keine Chance haben?

Einige dieser Menschen lernen wir besser kennen, zum Beispiel den unglücklichen Torwart, der inzwischen in Seattle lebt, aber für die Quali wieder in die Heimat zurückfliegt. Einen Spieler, der sich bei der US-Armee verdingt, weil auf Amerikanisch-Samoa kaum Jobs zu finden sind und der auch wieder auf der Insel landet. Oder Jaiyah Saelua, auf die man sehr schnell aufmerksam wird, denn sie bewegt sich anders als die Mannschaftskameraden (“I run like a girl”). Sie ist ein Fa’afafine, ein drittes Geschlecht, das einen Mensch bezeichnet, der biologisch ein Mann ist, sich aber dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlt. Jaiyah studiert auf Hawaii und lebt dort als Frau; auf Amerikanisch-Samoa spielt sie aber mit den Männern Fußball. Das passiert alles sehr unaufgeregt und ohne dass es großartig thematisiert wird (und ohne, dass ihre Mannschaftskameraden Angst davor haben, von ihr unter der Dusche angegangen zu werden, was ja anscheinend eine große Angst hiesiger Spieler ist). Schließlich lernen wir auch noch den Coach besser kennen, der zunächst nur rumschreit und kurz davor ist abzureisen, aber nach nur drei Wochen lächelnd und mit geschlossenen Augen friedlich den Ozean genießt und mit seinen Spielern eine tränenreiche Geschichte teilt.

Zur angedrohten Abreise des Trainers hatten Brett und Jamison auch noch eine Geschichte zu erzählen. Die Situation ist im Trailer zu sehen, Coach und Verbandsfunktionär liefern sich ein Shouting Match, während alle Spieler dabei sind. Brett erzählte, dass sie sich untereinander mit Blicken verständigt hätten, schalten wir die Kameras aus, sollten wir hier dabei sein, ist das jetzt nicht zu intim, sollten wir vielleicht ganz gehen? Sie entschieden sich, den Ton laufen zu lassen, die Kameras aber abzudrehen und sich möglichst unsichtbar zu machen. Als die Männer damit fertig waren, sich anzuschreien, drehten sich beide zu den Regisseuren um und meinten unisono: “I hope you were filming this!”

Wer wissen will, ob Rongens Schreien und schließlich das Training Erfolg gehabt haben, kann sich diesen Artikel von 2011 aus der NY Times durchlesen. Oder den hier über Jaiyah, die erste transsexuelle Spielerin, die bei einer offziellen FIFA-WM-Qualifikation aufgelaufen ist (der Artikel spoilert allerdings auch das Spielergebnis). Oder ihr guckt euch den Film an, wenn ihr die Chance bekommt.

Ich mochte an ihm zwei Dinge besonders: die Freude am Spiel und die überall mitschwingende Spiritualität. Es scheint ganz normal zu sein, dass der Gouverneur des kleinen Nicht-Staates in der Kirche mit der Mannschaft betet und ihr alles Gute für das nächste Spiel wünscht. Die Kraft einer höheren Macht anzurufen, hat hier etwas Selbstverständliches, Gemeinschaftliches, es fehlt der Show-Charakter, den ich vielen Spielern unserer Breiten unterstelle, die direkt auf dem Spielfeld, vor Publikum und Kameras, noch mal offensiv beten, ganz egal ob zu einem muslimischen oder einem christlichen Gott. Mit dieser Einschätzung mag ich sehr daneben liegen, aber so fühlt es sich für mich an.

Der zweite Punkt, der mir so gefallen hat, gerade jetzt, während der WM-Zeit: das Erden dieses Sports. Das Runterkommen vom Big Business, von Sponsorenlogos überall – wobei es sehr niedlich war, die FIFA- und die Brasilien-2014-Fahne auf dem winzigen Acker wehen zu sehen, den Amerikanisch-Samoa als Fußballplatz bezeichnet –, von millionenschweren Spielern und Funktionären. Hier war Fußball ein Sport, der gemeinsam erlebt wird und der, ganz simpel, ein großartiges Hobby ist, das vom Alltag ablenkt.

Ich habe mich die ganzen 90 Minuten lang gefragt, wie Profi-Spieler den Film empfinden würden. Die Nationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa erinnert manchmal an die Jungs (und Mädels), die nach der Schule zwei Colaflaschen aufstellen und sie als Tor bezeichnen, um dann ewig davor rumzubolzen. Weil sie es können und weil sie es wollen, und nicht, weil sie es müssen, weil es inzwischen ein Job ist, weil der Berater schon mit dem nächsten Vertrag wedelt, weil noch ein Fotoshooting für den Merchandisingkatalog ansteht und weil draußen die Autogrammjäger warten, die einen nicht unbedrängt zum arschteuren Sportwagen lassen. Auch diese Frage konnten die Regisseure beantworten: Ein Screening fand bei Athletico Bilbao statt (ich hoffe, ich habe mir den Verein richtig gemerkt), wo anscheinend aus Profis wieder Jungs mit leuchtenden Augen wurden, die sich daran erinnerten, dass Fußball zuallererst immer noch ein Spiel ist, auch wenn sie inzwischen damit anständig Geld verdienen.

Und mit genau diesem Gefühl kommt man aus Next Goal Wins raus: mal wieder alles auf Null drehen und gucken, was wirklich wichtig ist. Der Trailer sagt es so schön: „Every country dreams of winning the World Cup. Some just want to win a game.“ Was ein fürchterlich pathetischer Sportfilm hätte werden können, ist eine Werbung für Polynesien und seine Menschen geworden, für das Überdenken des eigenen Wegs und für die Hoffnung, dass man manchmal jemanden trifft, der Impulse zur eigenen Entwicklung geben kann – oder den man selbst in eine neue Richtung schickt. Next Goal Wins ist charmant, liebevoll, sehr lustig und ich habe im Kino zwei toughe Kerle neben mir gehabt, die, genau wie ich, des Öfteren verstohlen ins Taschentuch schneuzten. Große Empfehlung.