Wieder viel zu lesen im neuen SZ-Magazin. Einmal ein halbwegs kritischer Blick auf die Art des Online-Journalismus, wie sie Spiegel Online betreibt (hätte ruhig noch etwas kritischer ausfallen können): Spiegelverkehrt.
„Die herausragenden Kennzeichen des Spiegel-Online-Journalismus sind ein Tonfall, der in Schlagzeilen wie „Brown startet das Blair-Switch-Projekt“ oder „Pannen-Beck verpokert sich“ gipfelt, und eine Themenmischung, bei der eine US-Wahlanalyse direkt neben einer neckischen Reportage über russische Multimillionäre und einer Reflexion über sinnlose PC-Tasten stehen kann. Müller von Blumencron hat dieses Prinzip einmal als „Schwingen“ der Website beschrieben – als durchkomponierte Mischung aus nachrichtlichem, analytischem und unterhaltendem Journalismus. Im Milieu des traditionsbewussten Tagesjournalismus spielt Spiegel Online die Rolle des geachteten Flegels.
Bei professionellen Beobachtern löst die Manier des Portals leichtes Naserümpfen aus: „häufig zu lärmend“ oder „manchmal zu überdreht“ sind typische Bemerkungen. Spiegel Online hat die Grenzen zwischen Nachrichten, Boulevard, Feuilleton, Reportage und Kommentar niedergerissen. Die Trennung von Qualitäts- und Boulevardjournalismus ist porös geworden. Als Mario Vargas Llosa kürzlich schrieb, der Journalismus des Spektakels kontaminiere zunehmend die seriöse Presse, hätte er dies über Spiegel Online gesagt haben können.“
Und danach eine nette Geschichte über die fast religiöse Hingabe der Apple-Jünger (!) zu den Produkten ihrer Lieblingsfirma. Auch ich kann meine Hände hier nicht in Unschuld waschen. Angebissen:
„So wurde das Apple-Universum zum immerwährenden Heilsversprechen: stets neue Geräte, die noch intuitiver zu bedienen sind. Und was heißt da „bedienen“? Ist es nicht mehr ein Streicheln, ein Berühren, was den Umgang mit dem iPod ausmacht? Das sanfte, kreisförmige Streichen über das Auswahlrad des MP3-Spielers oder die auseinanderziehende Bewegung von Daumen und Zeigefinger auf dem Touchscreen des iPhone, mit der man den Bildschirminhalt vergrößert: Im Grunde sind es eher rituelle, neuartige Gesten, die mehr mit vertrautem Kontakt zu tun haben als mit Funktionalität.
Solche Bewegungen lassen sich leicht aus religiösen Handlungen herleiten (Handauflegen, Segenspenden). Auch andere Verhaltensweisen der Apple-Anhänger, wie sie nicht ohne Grund genannt werden, sind in theologischem Licht deutbar: Sie stecken sich Kopfhörer ins Ohr, die wie ein Kreuz den Oberkörper hinabfallen (in der Farbe der Unschuld: Weiß). Sie kampieren wie Wallfahrer tagelang vor Geschäften, nur weil es dort ein Apple-Handy anzubeten gibt. Schließlich werden sie eingelassen in eine Kathedrale wie den Apple Store an der 5th Avenue in New York, ein unterirdisches Bauwerk, in das das Tageslicht nur durch einen riesigen Glaswürfel von oben fällt, als wäre es ein Sakralbau. Oben schwebt, wo in einer Kirche das Kreuz wäre, ein riesiger Apfel.
Damit sind die Analogien in der Apple-Religion noch lange nicht erschöpft. Denn auch der große Meister, Firmenmitgründer Steve Jobs, inszeniert seine umjubelten Auftritte vor der Apple-Gemeinde ähnlich einer Predigt. Im kargen Outfit (Jeans und dunkler Pullover) präsentiert er wie ein moderner Bettelmönch, was er und die Seinen an neuen Segnungen für unsere Welt haben. Diese Veranstaltungen sind Messen eigener Art, auf denen Jobs seine charismatischen Qualitäten ausspielt – bis hin zum Schluss-Segen, der sich bei ihm in die Worte „One more thing“ kleidet. Eine Sache habe er noch. Danach schwärmen die Jünger wieder in die Welt aus und verkünden die Frohe Botschaft – vor allem unter den Ungläubigen. Aus Sicht der Apfel-Missionare sind dies die bedauernswerten Kreaturen, die ihr Leben im freudlosen, mühebeladenen Reiche der Windows-Computer fristen – geknechtet von Bill Gates, der für jeden echten Apple-Jünger der Leibhaftige persönlich ist.
Jobs’ messianische Züge wurden selten so brillant auf den Punkt gebracht wie vor wenigen Wochen vom New York Magazine. Das bildete Jobs anlässlich des iPhone-Verkaufsstarts auf dem Hefttitel ab und setzte als Überschrift nur ein Wort dazu: iGod.“