Die Uni, ein Ãœberraschungsei

Vormittags Französisch, nachmittags Kolloquium – und vor allen Dingen ein Gespräch mit dem Dozenten, wie ich bitte meine BA-Arbeit rund kriege, für die ich seit zwei Wochen besinnungslos lese und trotzdem keinen roten Faden zu fassen bekomme.

Aber erstmal Französisch.

Mein Spracheinstufungstest in einem der ersten Semester schob mich in die Stufe A 1.2, wo ich im letzten Halbjahr saß, nachdem ich mir vorher aus Spaß an der Freude ein Semester Italienisch gegönnt hatte. Als aber klar war, dass ich den Master machen will und dafür eine zweite moderne Fremdsprache auf einem gewissen Niveau nachweisen muss, sagte ich ciao, Italiano und salut, français. Leider. Denn obwohl ich noch relativ viele Vokabeln wusste und einen Hauch an Grammatik, war das letzte Semester eher unschön. So nett die Dame vorne an der Tafel war, so wenig nett war ihr Unterricht. Wir haben selten laut gelesen, um unsere Aussprache zu üben („Lesen Sie sich das bitte mal durch und fragen dann nach Vokabeln“), und wenn wir mal laut gelesen haben, hat meist eine von uns den gesamten Text gelesen, anstatt dass reihum jede mal ranmusste, damit eben jede mal was sagen konnte. Dabei hat die Lehrerin leider kaum korrigiert. Ich habe Aussprachen in diesem Kurs gehört, die wahrscheinlich in keiner Sprache dieser Welt vorkommen, aber selten Verbesserungsvorschläge. Wir haben des Öfteren mit unseren Nachbar*innen zusammenarbeiten müssen, aber dabei haben wir eher die ollen Übungen im Buch gemeinsam gelöst anstatt miteinander zu sprechen. Und selbst beim Sprechen hatte die Lehrerin die seltene Gabe, Fragen so zu formulieren, dass man kaum Antwortmöglichkeiten hatte.

Unsere Italienischlehrerin, die ich super fand, fragte uns komplette Anfänger*innen nach lausigen drei Stunden, was wir am Wochenende gemacht hätten. Wir konnten kaum „essen, schlafen, Fußball gucken“ auf Italienisch sagen, aber sie half, wir wiederholten, der nächste sagte was Ähnliches, und zack, hatten alle mal kurz Italienisch gesprochen, selbst wenn wir nur die Worte der Lehrerin wiederholt hatten. Die Französischlehrerin fragte gerne: „Hatten Sie ein schönes Wochenende?“ Worauf zwei Leute „oui“ piepsten und dann war gut.

Innerlich dachte ich mir, den Quatsch machst du jetzt mit, bis du die Masterqualifikation hast und dann sprichst du nie wieder ein Wort Französisch. Erstes Überraschungsei:

Bei der Kursbelegung für dieses Semester achtete ich darauf, nicht wieder die gleiche Lehrerin zu bekommen und habe es bisher keine Sekunde bereut. Ich twitterte und facebookte gestern schon begeistert ein paar Sätze meiner neuen Lehrerin: „Sie müssen emotional an eine Fremdsprache gehen! Kaufen Sie sich das schönste Vokabelheft und tragen es bei sich. Sie müssen da gerne reingucken wollen! Hören Sie Chansons oder Radio, schreiben Sie auf, was Sie verstehen – das ist immer ein Erfolgserlebnis! Und wenn’s nur mittendrin zwei Worte sind. Egal, aufschreiben und lernen. Ãœberlegen Sie sich, was Sie Wichtiges über sich sagen wollen – das übersetzen Sie und lernen es auswendig. Finden Sie Wörter, die Sie gerne mögen und bilden Sie Sätze damit. In meinen Aufsätzen kam immer (Wort x, nicht verstanden, ähem) vor.“

Vor Beginn jeder Stunde läuft französische Musik, an der Tafel steht „Vous écoutez …“ (gestern war es Carla Bruni, letzte Woche Hip-Hop), und die Lehrerin spricht immer Französisch. Ich verstehe nur die Hälfte, aber irgendwie weiß man doch immer, was sie von einem möchte, und es kommt mir zehnmal sinnvoller vor als der deutschsprachige Unterricht, den ich letztes Semester hatte. Wir lesen viel laut, wir reden miteinander, und gestern haben eine Kommilitonin und ich bei der üblichen Gruppenarbeit, wo man theoretisch Deutsch sprechen könnte, wenn die Lehrerin nicht gerade am Tisch steht, ernsthaft auf Französisch darüber geradebrecht, wie wir zuhause lernen, wie doof wir das Lehrbuch, aber wie toll wir la prof finden. Mit Händen und Füßen und geratenen Vokabeln, aber man *will* bei ihr in der Stunde echt nicht Deutsch sprechen.

Schon ist aus meiner negativen Haltung eine sehr positive geworden, und innerlich denke ich über Sätze nach, die ich dann locker-flockig in Frankreich sagen werde können, wenn ich mir endlich mal alle Kathedralen angucke. Erster Satz (muss ich noch übersetzen): „DAS HIER IST NE KIRCHE, KÖNNT IHR EURE BLÖDE BROTZEIT BITTE DRAUSSEN MACHEN?“ (Vom letzten Notre-Dame-Besuch in Paris inspiriert.)

Nochmal zum Lehrbuch: Mit dessen Produzent*innen würde ich wirklich gerne ein poulette rupfen. Das Ding hat nicht mal ein Vokabelverzeichnis, verdammte Axt. Die Texte sind genau einen Ticken zu schwer, als dass man sie intuitiv verstehen könnte, selbst wenn man die Worte noch nicht kennt, und man ist die Hälfte der Hausaufgabenzeit damit beschäftigt, Worte bei Leo oder Langenscheidt zu recherchieren, anstatt entspannt hinten im Buch nachzugucken, wie das im deutlich besseren Italienischbuch möglich war. Einzig die Bilder versöhnen mich ein wenig, die sind genau mein Niveau.

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Nach dem Französischunterricht hatte ich zwei Stunden Pause, in denen ich noch mal das Exposé zur BA-Arbeit überarbeitete, das ich bereits fünfmal überarbeitet hatte und mit dem ich immer noch nicht glücklich war. Dann ging’s zum Kolloquium, wo wir über digitale Bilder sprachen, zu denen auch Karten wie Google Maps zählen. In meinem verzweifelten Köpfchen ging ein kleines Lichtlein an, ich schrieb wie immer in den letzten Monaten, wenn ein Fakt zu meiner BA-Idee passte, in mein Moleskine ein eingekringeltes „BA“ und dann „KARTEN!“ In der Pause ging ich mit dem Dozenten in sein Büro, wo er die schlaueste aller schlauen Fragen stellte, die ich mir selber auch mal hätte stellen sollen: „Dann beschreiben Sie mir doch mal Ihr BA-Vorhaben in drei Sätzen.“

Ich guckte auf mein zweiseitiges Exposé, schnappte mir den ersten Satz und ignorierte alles, was ich danach geschrieben hatte: „Eine Epoche ist nicht anhand eines einzelnen Objekts erfahrbar, man muss das Objekt im Kontext sehen. So wie Bauwerke im Raum gesehen werden müssen. Ich will die bayerische Klösterlandschaft der Romanik mittels digitaler Methoden erfahrbar machen.“

Und schon waren wir in einer Diskussion über „Was ist überhaupt Raum? Wie wird der kunsthistorisch definiert? Wie kulturgeografisch? Was geht mit Verkehrswegen und Verbindungen zwischen den Klöstern?“ Also genau das, was bei mir nur noch ein kleiner Absatz beim Kapitel „Interdisziplinäres Arbeiten“ gewesen wäre, hätte ich die doofe Datenbank konzipiert, die ich einfach nicht rundgekriegt habe (mein Blogeintrag war so ein bisschen eine Hoffnung auf self-fulfilling prophecy, aber selbst da konnte ich mir nicht selbst erklären, was ich eigentlich will, herrgottnochmal). Denn natürlich ist eine derartige Datenbank bzw. sind die visualisierten Daten auch für Historiker*innen, Geograf*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen spannend. Wieso ich nicht von alleine darauf gekommen bin, mich auf dieses Thema zu konzentrieren, das doch so hervorragend in meine Urbanitäts- und Mobilitätsbegeisterung passt – keine Ahnung.

Damit ist ein Großteil der Lektüre der letzten zwei Wochen zwar hinfällig, aber ich bin sehr froh darüber, mich nicht mehr mit XML und mySQL beschäftigen zu müssen, sondern stattdessen mit Landkarten. Zweites Überraschungsei.

Dann rocken wir die Arbeit mal in siebeneinhalb statt in zehn Wochen runter. Ihr entschuldigt mich.