BA-Tagebuch 20. Mai 2015
Am heutigen Donnerstag halte ich mein Referat im BA-Kolloquium, wo ich meine Arbeit vorstelle. Da ich mein Thema erst seit zwölf Tagen habe und nicht bereits seit viereinhalb Wochen – da begann meine offizielle Bearbeitungszeit; wir KuGi-Studis in München fangen alle gleichzeitig an und geben gleichzeitig ab –, bin ich noch längst nicht so weit wie ich zu diesem Zeitpunkt hätte sein wollen. Wenn ich die BA-Arbeit abgegeben habe, schreibe ich mal meine gedankliche Odyssee durch diverse Themen auf, die ich im Kopf hin- und herwälzte, bis ich bei meinem jetzigen ankam, aber jetzt gerade bin ich zu müde.
Gestern war also der letzte Tag vor dem Referat, in dem ich in lächerlichen 20 Minuten über (Luft holen) Architekturzeichnungen, Architekturbilder, Architekturmodelle, Architekturfotografie und digitale Architekturvisualisierungen sprechen werde. Eigentlich wollte ich auch noch über Architektur im Film reden, aber das Thema habe ich schlicht nicht mehr geschafft. Ich bin zwar ganz froh, durch den Referatstermin dazu gezwungen worden zu sein, einen roten Faden übers Knie zu brechen, aber die Arbeit selbst hat sich für mich nicht so gut angefühlt wie ich es gewohnt bin.
Normalerweise vergrabe ich mich in eine überschaubare Anzahl Bücher oder Aufsätze, durchdringe das Thema oberflächlich und steige dann in die Tiefen der Fußnoten und Quellen hinab, um von der Oberfläche wegzukommen und meine Forschungsfrage zu beantworten. Für die BA-Arbeit lautet diese: Welche traditionellen Methoden der Architekturvisualisierungen nutzt die digitale 3D-Technologie und wo definiert sie neue Standards für unser Fach? Um diese Frage zu beantworten, muss ich natürlich erstmal alle Visualisierungsmöglichkeiten, die es vor der digitalen Wende gab, verstehen. Was in meinem Fall – und wegen der kurzen Vorbereitungszeit – hieß: im Schweinsgalopp durch eine Medienart, dann durch die nächste, nochmal zur ersten zurück, denn jetzt kann ich bereits erste Vergleiche ziehen, dann zur dritten, wieder zurück zu den ersten beiden usw. Im Prinzip habe ich erst gestern ein erstes Fazit ziehen und einen ersten Versuch einer Antwort unternehmen können, weil ich vorher schlicht besinnungslos gelesen und gesammelt habe.
Mich hat es gestört, ständig von einem Thema zum anderen springen zu müssen, um den Gesamtüberblick zu bekommen. Ich musste an der Oberfläche bleiben, um mein Pensum zu schaffen. Ich musste teilweise spannende Bücher weglegen, um mich dem nächsten Medium zuzuwenden, was ich nicht gemacht hätte, wenn ich einfach vor mich hinschreiben hätte können. Dann hätte ich eine Woche lang nur über Zeichnungen gelesen, bis ich zu den Bildern gegangen wäre. Hier hat es sich mehrfach angefühlt, als risse ich mich selbst von einer Wissensinsel, um hektisch zur nächsten zu paddeln, ohne die erste anständig kartografiert zu haben.
Ich bin nicht so richtig glücklich mit meinen Referat, aber das bin ich selten, und dann ist es meistens doch okay, aber hier habe ich immer noch das Gefühl, an der Oberfläche zu sein. Jedes einzelne Medium ist eine Dissertation wert; in meinem Literaturverzeichnis befindet sich eine, die sich mit lausigen 15 Zeichnungen befasst, und das reicht für 400 Seiten. Ich kann in meinen 20 Minuten – die ich heute erstmals bewusst ignorieren muss – nicht alles unterbringen, um wirklich ein überzeugendes Fazit zu ziehen, was mich ärgert.
Nebenbei habe ich bergeweise Bilder gesucht, die meine Gedankengänge unterstreichen, denn bei KuGi-Referaten gucken wir gerne Bilder. (Bei Geschichtsreferaten überhaupt nicht, was mich am Anfang etwas irritierte. Ich war es nach zwei Semester gewohnt, bunt bebildert unterhalten zu werden.)
Ich hatte keine Zeit mehr, meine Folien auf den Stand zu bringen, auf dem ich sie gerne hätte. Im Klartext: zu jedem Bild die meiner Meinung nach erforderlichen Infos zu bringen. Künstler_in, Bildtitel, Datierung, Abmessungen, Material, Standort. Und das, obwohl ich fast alle Bilder aus unserer Prometheus-Datenbank gezogen habe, die von dutzenden von kunsthistorischen Instituten befüttert wird. Selbst da fehlen teilweise essentielle Infos. Normalerweise wäre ich jetzt in unsere Bibliothek gegangen und hätte zu jedem Werk ein Buch aus dem Regal gezogen, wo hoffentlich die Infos stehen (Gesamtverzeichnisse, you rock!). Aber die Zeit habe ich nicht mehr. Das wird heute vermutlich egal sein, das Referat ist nicht benotet und dient eher dazu, Feedback von Kurs und Dozenten zu kriegen, aber mich stört das trotzdem.
Mir fehlt noch ein bisschen der Aha-Moment, die große Glühbirne. Gestern abend beim ersten Fazit leuchtete immerhin schon eine kleine, was mich sehr gefreut hat, denn auf den Augenblick warte ich seit zwölf Tagen: den Augenblick des ersten, kleinen Erkenntnisgewinns, der sich bei mir meist irgendwann beim Schreiben einstellt. Also bei den ersten Formulierungsversuchen, die über die 1000 Exzerpte hinausgehen, die ich in den letzten Tagen und Wochen verfasst habe. Meine Stoffsammlung hat jetzt schon mehr Zeichen (146.000) als es die BA-Arbeit haben muss (60.000), und ich bin, wie gesagt, noch an der Oberfläche.
Ich trauere immer noch sinnloserweise den ersten vier Wochen meiner Bearbeitungszeit nach, auch wenn ich es nicht mehr ändern kann. Immerhin glaube ich jetzt wieder daran, dass ich das Ding noch fertigkriege, auch wenn es vermutlich nicht die tiefsinnige, perfekt durchdachte Arbeit wird, die ich schreiben wollte. Auch darüber bin ich traurig.
Und jetzt gehe ich noch mal über mein Manuskript und versuche, irgendwo bei 25 Minuten zu landen.