„Und, Anke, wie war so dein sechstes Semester?“

Durchwachsen.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes Semester.)

Ich muss meine übliche Uni-Lobhudelei mit einer etwas unschönen Nachricht beginnen, die meine Twitter-Follower_innen bereits kennen oder ahnen: Der Kerl und ich haben uns getrennt. Schon im März, brav und erwachsen in beiderseitigem Einvernehmen, alles zivilisiert, alles töfte. Trotzdem war und bin ich sehr traurig. Wenn man sich elf Jahre lang im Gefühl eingerichtet hat, dass da neben einem der Mensch ist, mit dem man es sein ganzes Leben lang aushalten könnte, dann ist das doch ungewohnt, ihn auf einmal nicht mehr neben sich zu haben. Oder auch nur per Facetime 800 Kilometer nördlich. Aber genau das hat uns zuletzt das Genick gebrochen: Wir haben uns zu selten gesehen, und weil wir uns nicht täglich versichert haben, wie’s uns geht, haben wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Ich musste mir eingestehen, dass es mich glücklicher macht, in München alleine in einer Bibliothek zu sitzen als in Hamburg gemeinsam vor dem Fernseher, und ich musste mir sagen lassen, dass ich in Hamburg nicht wirklich fehle, wenn ich nicht da bin. Eigentlich haben wir uns schon vor drei Jahren getrennt, es aber erst vor gut einem halben Jahr gemerkt. Es gab im Laufe des Semesters noch zaghafte Versuche, den Zustand doch wieder zu ändern, aber die endeten alle in mittleren Desastern und vielen Tränen.

Deswegen startete ich etwas waidwund und wackelig in mein letztes Semester, und als ob die persönliche Schwere nicht schon anstrengend genug gewesen wäre, gelang mir in diesem Halbjahr auch akademisch erst mal gar nichts. Das Thema, was ich mir schon im vierten Semester für meine BA-Arbeit ausgesucht hatte, entpuppte sich beim ersten ernsthaften Bearbeiten als totaler Quatsch. Was ich daraus gelernt habe: Bevor ich mein Master-Thema einreiche, denke ich da nicht nur länger drüber nach, sondern suche auch schon nach Literatur, mache eine Gliederung und habe die Arbeit quasi schon geschrieben, bevor ich sie schreibe.

So fürchterlich das für mich als kleine Perfektionistin war, mich wieder und wieder an einer Arbeit scheitern zu sehen, so viel nehme ich aus diesem Scheitern für die nächsten vier Semester mit.

Erstens (der Satz stammt von meinem Prüfer und ich werde ihn nie vergessen): „Nehmen Sie sich EIN Objekt vor und nicht die ganze Kunstgeschichte.“

Zweitens: Stell dir eine Frage und keine Aufgabe, wie du es aus der Werbung gewohnt warst. Du sollst hier nix erfinden, du sollst eine wissenschaftliche Frage beantworten. Deswegen sollst du auch keine Datenbank konzipieren, sondern dich eher mit der Auswertung einer solchen beschäftigen. Oder mit dem Arbeitsmittel „Architektonische Datenbanken seit 2005“. Oder schreib von mir aus ein Essay, das alle Datenbanken zu Teufelswerk erklärt und dass wir nie von den Bäumen hätten runterkommen dürfen. Aber kümmere dich um Ergebnisse, nicht um die Produktion eines neuen Werkzeugs. Das sollen mal schön die Informatiker_innen machen.

Drittens: Wenn du nur lange genug in der Bibliothek sitzt und liest, wird alles wieder gut. Wein, gute Freunde und das Internet helfen auch. Aber die Bibliothek ist dein happy place.

Ich habe gelernt, dass es eine weise Entscheidung war, im fünften Semester so rangeklotzt zu haben, um fast alle Pflichtkurse zu erledigen. Ich hatte in diesem Semester nur eine Übung (Montag morgen) und das Kolloquium für Examenskandidaten plus einen freiwilligen Französischkurs (beide Donnerstags), so dass ich den ganzen Rest der Woche folgendermaßen gestalten konnte: um 8 aufstehen, um Punkt 10 hibbelig vor dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte aufschlagen, ab 10.05 Uhr lesen – so lange ich wollte, denn ich hatte ja sonst nichts mehr zu tun. Mein einziges Referat habe ich in die letzte Vorlesungswoche gelegt, in der auch die Französischklausur stattfand, und dafür musste ich erst arbeiten, als die BA-Arbeit schon abgegeben war. Dass die so ein Brocken war, konnte ich nicht ahnen, aber wie oben beschrieben: Ich habe viel aus ihr bzw. dem Prozess ihrer Erstellung gelernt. (Vor allem Demut.)

Ich habe gelernt, wie spannend es ist, anderen bei ihren Projekten zuzuschauen. Im Kolloquium stellten wir reihum unsere Arbeiten vor, und das waren nicht nur die Bachelors, sondern auch die angehenden Master, Magister und Doktor_innen. Ich mochte den Querschnitt an Interessen, den ich vorgetanzt bekam, auch wenn er natürlich gefiltert war, weil mein Prüfer sich auf Architektur und bayerische Kunstgeschichte spezialisiert hat. Da waren Arbeiten über einige Gebäude in Lemberg und Madrid (Atocha), über ein polnisches Stadtvierteil und seine Häuserentwicklung, über das Werk Erich Mendelsohns in Jerusalem und das von Adolf Voll in Fürstenfeldbruck. Eine Doktorandin besprach die Richtung ihrer Arbeit (das Thema verschweige ich mal lieber, ist ja nicht meins), was ich besonders lehrreich fand: zu sehen, dass man sich einem Stoff aus verschiedenen Richtungen nähern kann und vor allem aus welchen. Erstellt man schlicht einen Werkkatalog, weil er noch nicht existiert? (Nett, aber langweilig.) Oder setzt man das zu untersuchende Werk in einen Bezug zu anderen aus dieser Zeit? (Netter.) Oder geht man das ganze sozialwissenschaftlich an, indem man guckt, wer sich diese Werke außer dem Fürstenhof noch geleistet hat, wohin sie verkauft wurden und was dann aus ihnen wurde? Waren sie repräsentativ, eine Wertanlage, ein Zeichen von Status oder einfach nur Deko? (Da soll’s jetzt hingehen.)

Die Diskussionen um die Erarbeitung der Themen war für mich meist spannender als das Thema selbst. Und auch wenn ich mein Referat großflächig verkackt habe (immerhin mein einziger Referats-Reinfall im BA), hat mir die Kritik daran doch schlussendlich nach zwei Fehlversuchen den Weg zur Arbeit gezeigt.

Ich habe gelernt, dass ich eine BA-Arbeit in deutlich weniger als zehn Wochen schreiben kann, wenn ich muss. Ich hoffe, dass die Note noch erträglich wird. Meine Lieblingsnote wird’s nicht, das ahne ich jetzt schon, aber ich hoffe, die Arbeit ist in den Augen des Prüfers so ordentlich wie ich sie haben wollte.

Ich habe gelernt, wie sich richtig guter Sprachunterricht anfühlt.

Ich habe gelernt, dass sich das fünfsemestrige Warten auf die Nutzung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte aber so was von gelohnt hat.

Als ich mit dem Studium anfing, durfte man erst ins ZI, wenn man ein Forschungsprojekt vorweisen konnte. Man kam zwar in das Gebäude rein, auch als Touri, um sich die lustigen Abgüsse von antiken Statuen anzugucken, aber in die Bibliothek durften wir als LMU-Studis erst ab dem Semester, in dem wir unsere BA-Arbeit schrieben. Vorher waren wir anscheinend unwürdig oder sollten mit unseren Brei-und-Knete-Kleinkind-Fingern die schönen Bücher nicht angrabschen. Seit Anfang 2015 gilt diese fiese Regelung nicht mehr, jetzt dürfen wir ab dem ersten Semester rein, und ich kann nur allen Erstis raten: Macht das. Es ist das Paradies für Kunsthistoriker_innen.

Wo ich vorher von Bibliothek zu Bibliothek radeln und tagelang auf Bücher warten musste, setze ich mich hier in den (allerdings relativ kleinen und unklimatisierten) Lesesaal, klappe meinen Rechner auf, suche im hauseigenen Katalog nach Literatur – und fahre dann mit dem schnellsten Fahrstuhl Münchens durch fünf Stockwerke voller Schätze. Es gibt nichts, was hier nicht steht. Ich habe noch jede obskure Zeitschrift gefunden, von der ich vor der Sucheingabe nicht mal wusste, dass sie existiert. Hier wird alles gesammelt, was irgendwie mit Kunst zu tun hat, und es steht direkt vor meiner Nase. Man kann sich einen kleinen Handapparat anlegen, die Mitarbeiter_innen sind freundlich und hilfsbereit, und ich möchte da wohnen. In den ersten fünf Semestern haben mich schon alle Uni-Bibliotheken und die Stabi zu einem Fan dieser Einrichtung werden lassen, aber das ZI war in diesem für mich auf allen Ebenen sehr herausfordernden sechsten Semester meine kleine, stille Rettungsinsel.

Ich habe gelernt, dass die Ahnung aus dem fünften Semester („Ich glaube, ich bleibe bei Architektur und digitaler Kunstgeschichte“) die richtige war. Momentan klackert auch die NS-Zeit im Hinterkopf rum – was daran liegen könnte, dass ich sie in München dauernd vor der Nase habe –, aber ob das mein Fokus im Master wird, weiß ich noch nicht. Jedenfalls habe ich mich um einen Master-Studienplatz beworben und gucke mal, ob mich München oder Hamburg weiterlernen lassen. (Ich hoffe natürlich auf München.)

Ich habe gelernt, dass ich ein Netzwerk brauche. In den ersten Semestern habe ich mich blöderweise nicht wirklich um Kontakte bemüht – da war der grandiose Plan ja noch, hier bindungslos drei Jahre zu studieren und dann schön wieder ins Beziehungs- und Werbehamburg zurückzukehren. Der Plan war schon etwas länger wackelig und jetzt ist er durch, und ich habe in der Zeit, in der ich orientierungslos mit der BA-Arbeit kämpfte, sehr einen Sparringspartner vermisst, mit dem ich über Kunstgeschichte hätte reden können. Also nicht nur aus einer interessierten Perspektive, sondern aus einer akademischen. Daher habe ich wenigstens zum Schluss dieses Semesters versucht, ein bisschen aus meinem selbstgewählten Schneckenhaus rauszukommen, habe mir endlich mal ein paar Namen meiner Kommilitoninnen gemerkt und bin brav mitgegangen, wenn es hieß, lasst uns nach dem Seminar doch noch ein Bier zusammen trinken, wo ich sonst immer geflüchtet bin. Das werde ich im Master noch mehr machen müssen, auch wenn es meinem Einzelkämpfertum eher widerstrebt.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass mich Lernen beflügelt, befreit, erhebt und glücklich macht. Es trocknet sogar Tränchen, weil man nicht lesen kann, wenn man heult.

Ich habe gelernt, dass die Entscheidung für das Studium die richtige war, auch wenn sie mich eine Beziehung gekostet hat. Ich will nicht mehr die Art von Werbung machen, wie ich sie gemacht habe, ich will nicht weiter irgendwie zufrieden irgendwo einfach nur sein, sondern ich will mich herausfordern und wachsen.